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ОглавлениеKapitel 11
Hansen und Riedmann verloren keine Zeit und machten sich gleich nach Ende der Besprechung an die Arbeit. Nach zwei Stunden ergebnisloser Recherche vor dem Bildschirm brauchte Hansen erst mal einen Kaffee. Ausnahmsweise begnügte er sich mit einem Wachmacher aus dem Automaten auf dem Flur. Als er mit zwei Plastikbechern in der Hand in Riedmanns Büro zurückkehrte und sie abstellen wollte, schlug dieser mit der Faust auf die Schreibtischplatte, sodass Hansen beinahe die Becher fallen ließ.
»Ich glaube, ich habe hier was«, sagte Riedmann. »Neumann hat nicht nur im K1 gearbeitet. Er wurde 1987 nach Bautzen versetzt, das berühmt berüchtigte Gefängnis für politische Häftlinge. Den Akten zufolge wurde Ende 1990, also nach der Wende, kurzzeitig gegen Neumann ermittelt. Es gab drei Anzeigen ehemaliger Insassen. Ihm wurden brutale Verhörmethoden nachgesagt. Neumann war laut Aussage von damaligen Gefangenen wohl so eine Art Verhörspezialist und hat sich vor allem einen gewissen Ruf im Kampf gegen Republikflüchtlinge gemacht. Was immer das auch heißen soll«, erklärte Riedmann.
»Und was ist bei den Ermittlungen rausgekommen?«
Er antwortete nicht sofort, sondern überflog den Bericht. Hansen konnte beobachten, wie die Augäpfel seines Kollegen wild hin und her wanderten, so schnell las er die restlichen Textzeilen. Nach kurzer Zeit fasste Riedmann seine Lektüre so zusammen: »Die Untersuchungen wurden aus Mangel an Beweisen eingestellt. Aber es kommt noch besser. Es gibt hier ein Zusatzprotokoll, das einer der Ermittler damals erstellt hat. Gegen Neumann wurde bereits vor dem Mauerfall ermittelt, und zwar kurz vor seiner Versetzung nach Bautzen. Ein Häftling wurde nach der Vernehmung leblos in der Arrestzelle des Dresdner Präsidiums gefunden. Der Mann hieß Guido Sommer, neunzehn Jahre alt. Die Ermittlungen wurden aber recht bald wieder eingestellt. Die DDR-Justiz hat den Fall laut dieses Berichtes nur sehr halbherzig verfolgt. Es kam nicht einmal zu einer Anklage. Dem Totenschein zufolge, der hier als Kopie vorliegt, handelte es sich um Herzversagen. Die Familie hat natürlich Zweifel daran geäußert. Ihr Sohn war laut Aussage der Eltern nicht herzkrank.«
»Der war erst neunzehn. Kein Wunder, dass die Eltern daran gezweifelt haben. Erstaunlich finde ich allerdings, dass die Anzeigen der Insassen aus Bautzen nicht weiter verfolgt wurden. Gerade wegen des Zusatzberichts und der Ermittlungen im Fall Sommer gegen Neumann«, stellte Hansen fest.
»Wer weiß, wer da seine Strippen gezogen hat? Du ersetzt ja nicht zwangsläufig alle wichtigen Ämter und kappst sämtliche bedeutenden Verbindungen, nur weil es einen politischen Wechsel gibt. Das hat ja schon bei der Entnazifizierung nicht funktioniert.«
»Aber es ist dennoch interessant, dass Neumann kurze Zeit später nach Bautzen gewechselt ist. Entweder war an den Vorwürfen der Eltern doch etwas dran, und man wollte Neumann aus dem Weg haben. Oder es war gerade wegen seiner Verhörpraktiken eine Art Beförderung, wenn man berücksichtigt, was du eben von den anderen Anschuldigungen ehemaliger Insassen des Gefängnisses vorgelesen hast. Stehen da zufällig auch die Namen der Personen, die damals Anzeige erstattet haben?« »Da haben wir ausnahmsweise einmal Glück. Rico Stern, Marco Stein und Thea Wunderlich. Ich führe sie unserer Liste der potenziell Verdächtigen hinzu.«
»Ja, tu das. Vielleicht hat er seine Heimatstadt auch deswegen verlassen«, mutmaßte Hansen.
»Gut möglich. Ich hoffe nur, dass die Kollegen in Dresden bei unserer Anfrage weiterhelfen können.«
»Och, ich hätte nichts gegen eine Dienstfahrt in die schöne Elbstadt, um zu helfen«, erwiderte Riedmanns Chef mit einem Grinsen.