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f) Senioritätsprinzip
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Ein weiterer in vielen Tarifverträgen zu findender Mechanismus ist, ein gewisses Senioritätsprinzip abzubilden. Dabei geht es keinesfalls darum, Lebensalter oder Berufstätigkeitsjahre per se zu vergüten. Vielmehr entspricht diese Vergütungsstrategie einem personalpolitisch-arbeitsrechtlichen Dilemma:
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Zeitlohn bringt einen inneren Konflikt – ein sog. Moral-Hazard-Problem – mit sich: ein gewisser Anreiz, seine Zeit „abzusitzen“. Ein Gegenmittel hierzu ist Kontrolle – denn nicht erbrachte Arbeitsleistung kann auch im Zeitlohn in Abzug gebracht werden.3 Oder die Arbeitsbereitschaft wird sichergestellt durch eine zeitliche Ausgestaltung des Lohnes über die Karriere eines Arbeitnehmers hinweg: Zu Beginn der Karriere erhält der Arbeitnehmer (arbeitswirtschaftlich gesehen) eine „Unterbezahlung“, die im späteren Arbeitsleben durch „Überbezahlung“ kompensiert wird.4
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Beispiele für solche Systeme der „Jahre in der Gruppe“ o.Ä. finden sich in den Tarifverträgen etliche.
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Beispiel:
Jahre in der Gruppe nach dem Bundesentgelttarifvertrag der chemischen Industrie (Auszug)
Jew. in % | E 7 | E 8 | E 9 | E 10 |
Anfangssatz | 100 | 100 | 74 | 76 |
Nach 2 Tätigkeitsjahren | 106 | 106 | 81 | 83 |
Nach 4 Tätigkeitsjahren | 112 | 113 | 89 | 91 |
Nach 6 Tätigkeitsjahren | 118 | 120 | 100 | 100 |
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Das BAG geht durchaus davon aus, dass in diesen Systemen – häufig „Bewährungsaufstieg“ oder „Zeitaufstieg“ genannt – nicht ausschließlich der Zugewinn der Arbeitnehmer an Erfahrungswissen honoriert wird;5 rechtliche Bedenken sind hiergegen nicht zu finden. Allerdings sind solche Systeme auch durchaus mit Vorsicht anzugehen, denn teils werden auch Ausfallzeiten in die Bewährungszeit eingerechnet – etwa Zeiten nach dem ArbPlatzSchG.6
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Alternativen hierzu, die diesen „Moral Hazard“ nicht aufwerfen, sind Stücklohnvergütungssysteme. Reine Stücklohnsysteme7 (s. Kap. 2 Rn. 9, 25) finden sich zumindest in Deutschland praktisch nicht. Ein wichtiger Grund hierfür ist die große Schwierigkeit und der erhebliche Aufwand, mit arbeitswissenschaftlichen Instrumenten die jeweiligen Tätigkeiten exakt zu bewerten und zu bemessen. Während in der fertigenden Industrie und insoweit bezüglich häufig stücklohnzugänglichen Arbeiten die Bewertung an sich noch angehen mag, sind auch hier schon Wechsel z.B. der Produktionslinie, zumal in schneller Folge, kaum effizient abbildbar. Das kann innerhalb eines Betriebes ggf. jeweils durch Refa-Methoden gemessen werden, ist für betriebsübergreifende Entgeltsysteme jedoch unbrauchbar; und bei tariflichen Entgeltsystemen sprechen wir gerade von überbetrieblichen Systemen, zudem noch in fertigungstechnisch völlig unterschiedlichen Teilbranchen. Hinzu tritt die Erforderlichkeit verlässlicher Messungen, die unabhängig von Vorleistungen anderer Mitarbeiter, Maschinenausfällen etc. ist.8 Und schließlich impliziert ein reines Stücklohnprinzip, dass auch eine hinreichende Weisungsfreiheit besteht – wie etwa bei Heimarbeit, die regelmäßig im Stücklohn vergeben wird.
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Ein weiterer Grund, weshalb Stücklohn wenig geeignet erscheint, ist neuerdings auch das Mindestlohngesetz (s. Kap. 3 Rn. 60), das einfordert, dass eine etwaige Stücklohnvereinbarung letztlich doch wieder auf Stundenlohn umgerechnet werden muss.9
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Ebenfalls ist beachtlich, dass beim Stücklohn regelmäßig auch das Ergebnis selbst im Vordergrund steht, sodass letztlich eher ein Werkvertrag denn ein Dienstvertrag, der den Archetyp des Arbeitsverhältnisses darstellt, vorläge (z.B. beim Zeitungszusteller ist dem Unternehmer wichtig, dass die Zeitung ankommt, und dies vor einer bestimmten Uhrzeit – die Route, Geschwindigkeit etc. ist ihm regelmäßig jedoch gleichgültig. Gleichwohl der Zeitungszusteller allerdings nach Auffassung der überwiegenden Rechtsprechung – und dies selbst bei mehreren Auftraggebern – Arbeitnehmereigenschaft besitzen soll.10
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Indes, beim Zeitlohn verbleibt das Weisungsrecht vollständig beim Arbeitgeber – wodurch eine ineinandergreifende Arbeitsorganisation letztlich erst möglich wird. Allerdings bleibt auch das Qualitäts- und Leistungsrisiko damit letztlich vollständig beim Arbeitgeber. Dies ist ein Grund dafür, dass auf den Grundlohn häufig Zusatzleistungen aufsetzen, wie eben Akkordlohn (s. Kap. 1 Rn. 38) oder Leistungsvergütung (s. Kap. 20 Rn. 1).