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Amerika – der Kontinent der Arnikas

Stellen Sie sich vor, Sie blicken von oben auf einen Globus, auf den Nordpol, und jemand hätte das Verbreitungsgebiet der Gattung Arnica eingezeichnet, dann würde sich dieses rings um den Nordpol erstrecken, mit einem Schwerpunkt auf der westlichen Erdhalbkugel. Die Heimat der Arnikas umfasst weite Teile West-, Nord- und Mitteleuropas, Nordamerika sowie Japan. Heutzutage werden etwa 30 Arten (27 bis 32, je nach Wertigkeit der Unterarten) zur Gattung Arnica vereint. Die meisten davon leben im Westen von Nordamerika, von Alaska bis nach Kalifornien und New Mexico, drei Arten auch in Japan.

Auffällig ist, dass die Arnikas Regionen bevorzugen, in denen heute die auf Industrialisierung und damit verbunden Ausbeutung der Natur basierende »westliche« Zivilisation zu Hause ist: die westlichen Industriestaaten einschließlich Japans. Die Gattung besitzt einen absoluten Schwerpunkt hinsichtlich Verbreitung und Artenvielfalt dort, wo die moderne Informationsindustrie ihren Hauptsitz und ihr Zentrum hat: im amerikanischen Westen, in der Heimat von Giganten des Informationszeitalters, wie Apple, Google, Microsoft und anderen, sowie unzähligen größeren und kleineren Internet- und Technologie-Unternehmen. Spontan möchte man fragen: Ist es reiner Zufall, dass Vertreter der Gattung vor allem dort zu finden sind, wo heute gewissermaßen das zentrale Nervensystem der industrialisierten Menschheit lokalisiert ist?


Die Verbreitung der Arnikas (nach MAGUIRE). In der Mitte der Darstellung befindet sich der Nordpol. (Aus EKENÄS 2008)


Arnica mollis, eine amerikanische Art, die in Gestalt und Aroma der europäischen Arnica montana recht nahe kommt.

Interessanterweise wachsen die Arnikas aber eben gerade nicht wie Gänseblümchen am Wegesrand oder Löwenzahn in einer überdüngten Wiese (um zwei verwandte Heilpflanzen zu nennen), sondern sie brauchen zu ihrem Gedeihen abgelegene Gebiete, möglichst wenig vom Menschen gestört. Es ist eine Besonderheit des äußersten amerikanischen Westens, dass sich dort unberührte Bergwildnis in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Schaltstellen der hochtechnisierten westlichen Zivilisation findet. Wir werden noch genauer erfahren, dass Arnica montana eine besondere Affinität zum zentralen Nervensystem des Menschen hat (siehe vor allem »Arnika in der Anthroposophischen Medizin« ab Seite 143). Arnikaarten lieben Böden, die reich an Silikaten (wie man die Verbindungen der Kieselsäure nennt) sind. Das in der Kieselsäure bzw. den Silikaten enthaltene Silizium ist zugleich der Rohstoff schlechthin für die Computerindustrie – woraus die Bezeichnung Silicon Valley (»Silizium-Tal«) für die bedeutendste Hightech-Region in Kalifornien herrührt.

Was hat es mit diesen merkwürdigen Entsprechungen auf sich? Lassen sie womöglich auf eine tiefere Beziehung zwischen geografischer Region, Pflanzenwelt und menschlicher Kultur schließen? Und was sagen sie über das Wesen der Arnika aus?

Womit haben wir es überhaupt zu tun, wenn wir als Europäer von dem »Westen«, dem »Norden«, dem »Osten« und dem »Süden« sprechen? Vielfach geht es ja dabei nicht einfach um die Himmelsrichtungen als solche, sondern es gibt eine ganze Reihe von mitschwingenden Bedeutungen, die wir mit ihnen verbinden. So meinen wir, wenn wir die Begriffe »Orient« und »Okzident«, die alten lateinischen Bezeichnungen für »Osten« und »Westen« gebrauchen, auch nicht nur lediglich geografische Richtungen, sondern auch die jeweiligen Kulturen. Und auch »Osten« und »Westen« stehen manchmal nicht nur für verschiedene Traditionen, sondern für unterschiedliche, ja polare Geisteshaltungen, die in den entsprechenden Regionen der Welt günstige Bedingungen gefunden haben. Nicht umsonst gibt es Ost-West-Konflikte. Und auch mit dem viel zitierten Nord-Süd-Gefälle hat es eine Bewandtnis, die weit über unterschiedliche geografische Bedingungen hinausweist.

Die antiken Philosophen haben bereits gewusst, dass Himmelsrichtungen mehr sind als nur geografische Koordinaten. In der alten Lehre von den vier Elementen (Erde, Wasser, Luft und Feuer) waren Norden, Süden, Westen und Osten mit Qualitäten verbunden, was heute weitgehend in Vergessenheit geraten ist. So war in der Vier-Elemente-Lehre dem Norden das Element Erde (mit den Eigenschaften kalt und trocken) und dem Westen das Element Wasser (mit den Eigenschaften kalt und feucht) zugeordnet (siehe Tabelle).

ElementEigenschaftHimmelsrichtung
Feuerwarm und trockenSüden
Luftwarm und feuchtOsten
Wasserkalt und feuchtWesten
Erdekalt und trockenNorden

Die vier Elemente in ihrer Beziehung zu den vier Himmelsrichtungen und den vier Eigenschaften.

Beiden, dem Wasser und der Erde, ist in diesem Ordnungssystem die Kälte gemeinsam. Die Arnikas orientieren sich also, wenn man der Vier-Elemente-Lehre folgt, zur Kälte hin: Sie bevorzugen den Nordwesten. Zusätzlich gedeihen sie gern in gebirgigen Gegenden mit kalten Wintern.

In spiritueller und kultureller Hinsicht lässt sich die Bedeutung der Himmelsrichtungen auch so verstehen, dass vom Osten das Geistige in die Welt kam. Alle geistigen Traditionen haben letztlich ihre Quelle im Osten, das Christentum eingeschlossen. Im Westen hingegen tritt an die Stelle der Traditionen das Freiheitsstreben der Menschen. Das Geistige steht im Westen nicht länger im Zentrum der religiösen Verehrung. Infolge von Aufklärung und naturwissenschaftlicher Entwicklung machen sich die Menschen von traditionellen Bindungen frei und stoßen vom reinen Erfahren des Geistigen zu den angewandten Wissenschaften vor, mit dem Ziel der Emanzipation des Menschen von göttlichen und natürlichen Zwängen.

Zusammenfassend kann man sagen: Während das Geistige im Osten (Element Luft, warm und feucht) in Form des Denkens (als Religion und Philosophie) in die Welt kam, verbindet es sich im Westen mit den Kräften und Stoffen der materiellen Welt und wird hier zum Instrument des freien Willens und der willensbasierten freien Handlungen. Die Folge sind die technologischen Entwicklungen, die uns Raum und Zeit überwinden lassen, zunächst in Form von physischen Transportmitteln, zunehmend aber durch digitale Vernetzung im Internet. Diese Entwicklung geht hauptsächlich von der Westküste der USA aus, jener hochindustrialisierten Region, die sich vor allem vom bereits erwähnten Silicon Valley in Kalifornien bis hoch in den Nordwesten in den Staat Washington erstreckt, wo in der Nähe von Seattle Firmen wie Boeing (Flugzeuge, Weltraumfahrt) und Microsoft (Software) zu Hause sind.

Die besonderen Qualitäten des Nordens wiederum treten in Erscheinung, wenn wir uns die Polarität Süd-Nord vor Augen führen. Der Süden (Element Feuer, warm und trocken) spricht den Menschen vor allem an, indem er die Sehnsucht nach Emotionalität, nach farbenfrohem Eros, nach lichterloh brennender Liebe weckt. Im Norden hingegen herrschen Kälte, Nüchternheit, Zurückhaltung und Erstarrung vor, Eigenschaften, die der naturwissenschaftlich-technologischen, einseitig verstandesmäßig gesteuerten Entwicklung zugutekommen.

Kulturelle Einseitigkeiten, wie sie in den nordwestlichen Industriestaaten vorherrschen, begünstigen die Anfälligkeit für bestimmte Krankheiten. Das gilt vor allem für die sogenannten stressassoziierten Beschwerden, zu denen die meisten Herz-Kreislauf-Erkrankungen, aber auch viele neurologische Krankheitsbilder gehören.

Der große amerikanische Neurologe und Begründer der modernen Nervenheilkunde George Miller Beard (1839–1883) stellte diese Zusammenhänge zwischen Industriekultur und Zivilisationskrankheiten als einer der Ersten fest, als er in seinem berühmten Hauptwerk American nervousness (1881, »Amerikanische Nervosität« – Nervosität war damals eine gängige Bezeichnung für Stress und seine Begleiterscheinungen) schrieb: »Die amerikanische Nervosität breitet sich über Europa aus, das, zumindest in bestimmten Ländern, rasch amerikanisiert wird.« Dieser Prozess ist heute weit vorangeschritten – mit dem Ergebnis, dass sich die westlichen Zivilisationskrankheiten in den Industrieländern seit Generationen manifestiert haben.

Es ist faszinierend, sich an dieser Stelle den berühmten Vers von Friedrich Hölderlin (1770–1843) ins Bewusstsein zu rufen, der lautet: »Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.« In diesem Falle – »wachsen« darf hier ruhig wörtlich genommen werden – wächst es seit langen Zeiten in Form von Pflanzen, die vornehmlich in den Bergwelten des Nordwestens zu Hause sind: die Arnikas. Hier finden wir diese Pflanzen in Massen gigantischen Ausmaßes, von denen wir im dicht besiedelten Europa nur noch träumen können.

Dass die Arnikas in Nordamerika in so großer Zahl und so artenreich gedeihen, hat auch geografisch-geologische Hintergründe, die der Vorliebe der Arnikas für raue Umgebungsbedingungen mit starken Temperaturschwankungen entgegenkommen. Arnikaarten lieben Gegensätze – und hiervon hat Nordamerika, vor allem im Westen, viel zu bieten. Das hängt mit der sogenannten Plattentektonik zusammen. Die Lithosphäre, der äußere Teil des Erdmantels, besteht aus keiner einheitlichen Gesteinsschicht, sondern aus einzelnen Platten, die sich gegeneinander bewegen, wie Eisschollen auf einem See. Man spricht auch von der Kontinentalverschiebung oder Kontinentaldrift. Der nordamerikanische Kontinent nun besteht aus einer einzigen Steinplatte, der sogenannten Nordamerikanischen Platte. An ihrem Westrand stößt diese mit der Pazifischen Platte zusammen. Die Pazifische Platte bewegt sich nach Osten und taucht im amerikanischen Westen unter die Nordamerikanische Platte ab, was man auch Subduzieren nennt. Folgen der Subduktion der Pazifischen Platte unter die Nordamerikanische sind der weitverbreitete Vulkanismus in dieser Region sowie die hohe Erdbebenaktivität.

Die Subduktion hat aber auch erhebliche Auswirkungen auf die Gestalt des nordamerikanischen Kontinentes als Ganzes. Denn sie ist der Grund dafür, weshalb sich die langen Hochgebirgsketten am Westrand der Nordamerikanischen Platte in Nord-Süd-Richtung aufgefaltet haben, nämlich infolge der beim »Abtauchen« entstehenden physikalischen Kräfte (in Europa geschieht dies in Ost-West-Richtung). Aus diesem Nord-Süd-Verlauf ergeben sich die spezifischen Bedingungen, die der gegensatzliebenden Arnika ideale Voraussetzungen bieten und mit denen sich auch die Menschen auseinandersetzen müssen, die sich in dieser Region niedergelassen haben. Sie führen dazu, dass die temperaturausgleichenden milden und feuchten pazifischen Westwinde nicht das Landesinnere erreichen, und ermöglichen stattdessen vor allem einen ungehinderten Luftmassenaustausch zwischen der Arktis und den Subtropen. Die Folge sind warme, trockene Sommer und extrem harte, lang andauernde Winter mit Dauerfrost über viele Monate. Blizzards, heftigste Schneestürme, wie wir sie in Europa überhaupt nicht kennen, sind damit auch weit im Süden möglich, während es umgekehrt im Sommer Warmlufteinbrüche bis weit hoch in den Norden gibt. Wegen dieser Polaritäten ist Nordamerika der Kontinent der Arnikas. Auch die dort ansässigen Menschen und ihre Kulturen wurden durch die Polaritäten auf vielen Ebenen geprägt.

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