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Arnikawiesen am Sitz der Götter

Der Mount Shasta im Westen der USA gehört zu den heiligen Bergen dieses Planeten. Mit über 4300 Metern ist sein weiß vergletscherter Gipfel eine weithin sichtbare Landmarke in der kalifornischen Wildnis. Er strahlt eine erhabene Ruhe aus, die nicht ahnen lässt, dass es sich um einen Vulkan handelt, der jederzeit wieder ausbrechen kann. Die Mythen der indigenen Völker, die hier seit Jahrtausenden leben, kreisen um den heiligen Berg als Ausgangspunkt der Schöpfung und Wohnstätte des »Großen Geistes«. Bis heute ist er das zentrale Heiligtum mehrerer Stämme. Er ist ihre Kathedrale, und die arnikareichen Blumenwiesen an seinen Hängen sind die Gebetsteppiche, auf denen sie ihre religiösen Rituale verrichten.

An einem kühlen Augustmorgen vor zehn Jahren machte ich mich mit meiner Familie auf, um diese heiligen Wiesen zu erkunden. Eingebettet in die schützenden Flanken des Berges umfing uns eine unberührte Natur mit alpinen Wäldern und Fluren, die noch nicht durch menschliche Bewirtschaftung entweiht waren. Der Weg führte uns langsam hinauf auf weit über 2000 Meter durch die immer karger werdende Vegetation. Die Luft wurde spürbar dünner, und die Sonne, die sich klar gegen die spärliche Bewölkung durchgesetzt hatte, brannte erbarmungslos, als wir in alten Lavabetten aufstiegen. Während wir eine kaum bewachsene, staubige Steinwüste durchquerten, stellten wir fest, dass wir den Pfad verloren hatten. Desorientiert in der bizarren vulkanischen Landschaft, ohne verlässliche Karte oder Kompass und mit viel zu wenig Wasser, folgten wir jetzt nur noch unseren Instinkten und sprachen uns gegenseitig Mut zu. In der Richtung, in der wir unser Ziel, die Arnikawiesen vermuteten, sahen wir nicht eine Spur von Grün. Allerdings entdeckten wir in der Ferne einen steinigen Bergrücken, über den ein Pass zu führen schien, was die Hoffnung weckte, dort wieder einen Weg aufnehmen zu können – wohin auch immer.

Mit sinkender Hoffnung, jemals die berühmten Wiesen zu finden, kletterten wir über den steilen Kamm, und als wir ihn überquert hatten, änderte sich die Landschaft schlagartig. Vor uns breitete sich ein feuchter, schattenspendender Nadelwald aus, durch den wir alsbald abstiegen. Im Schutz von flechtenüberzogenen Tannen zogen kleine Bäche durch den moorigen Untergrund, Insekten und Vögel schwirrten umher und funkelten im einfallenden Sonnenlicht. Hier entdeckte ich die erste Arnika, die amerikanische Arnica mollis mit ihren wolligen Blättern, dem behaarten, überwiegend nackten Stamm, weichen, sanft leuchtenden, gelben Blütenköpfchen und dem typisch würzigen Duft. Als sich der Wald lichtete, breitete sich vor uns die herrlichste Wiese aus, eingerahmt von schneebedeckten Gipfeln, Bergwäldern und vulkanischen Felsformationen, durchzogen von gurgelnden Bächen und kleinen Wasserfällen, die eiskaltes Gletscherwasser führten, das aus unzähligen Quellen sprudelte. Der fragile, steinige Untergrund wurde vom Wurzelwerk uralter Heidekrautstöcke zusammengehalten, die auch in den harten Wintern und während der Schneeschmelze den Elementen trotzen und dichte Rasen bilden, zwischen denen sich dunkle, fruchtbare vulkanische Erde angesammelt hat. Hier, nicht mehr allzu fern vom eisigen Gletscherrand, beschienen von einer kräftigen Sonne und einem makellosen Sternenhimmel, beschallt vom Murmeln und Plätschern der Bergbäche, gedeiht diese Arnika in vitalster, ungehemmtester Weise.

Die Schönheit dieser Wiesen mit der sie beherrschenden Farbe des goldenen Gelbs der Arnika, in perfekter Abstimmung mit dem Rot des Indian Paintbrush, auch »Präriefeuer« genannt (Castilleja-Arten), dem Violett vieler Blüten und dem allgegenwärtigen satten Grün, ist mystisch. Es handelt sich in der Tat um ein Heiligtum. Zum ersten Mal hatte ich intuitiv verstanden, was in den alten Mythen mit »Paradiesgarten« gemeint war und was es mit der ewigen Suche der Menschen nach paradiesischen Orten auf sich hat, nach Shangri-la, dem Gesundheit und Unsterblichkeit spendenden Ort, tief verborgen im Gebirge. Von diesem Moment an wurde die Arnika meine Geliebte. Bis zu diesem Augenblick auf der Blumenwiese am Sitz der Götter hatte ich ihre europäische Vertreterin, die Arnica montana, als Arzt zwar unzählige Male verordnet, voller Überzeugung, das Richtige zu tun – aber ohne dass ich mit dem Herzen wirklich dabei war.

Seitdem kehre ich immer wieder in meinen Träumen an diesen Ort der Kraft zurück. Ich sah Eiszeiten kommen und gehen und Vulkanausbrüche, die das Land bis zum Horizont in Feuer und Asche hüllten. Jäger und Krieger zogen über die Wiese, vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzend, um keinen Stängel zu knicken. Einmal wartete dort eine Gestalt in festlicher Stammeskleidung auf mich, die Augen auf den glitzernden Bach zu Füßen gerichtet. Als sie den Blick hob und mich anschaute, griff sie sich gleichzeitig ans Herz und reichte mir sodann eine Arnika, die wie aus dem Nichts auf ihrer Handfläche erschienen war. Ein anderes Mal begegnete ich einer alten Frau mit langen grauen Haaren, die in der Wiese kauerte und ins Gebet vertieft schien. Ich näherte mich ihr vorsichtig, bedacht, sie nicht zu stören. Plötzlich und unerwartet drehte sie mir ihren Kopf zu, und ich sah zu meinem Erstaunen, dass es sich um einen grauen Wolf handelte, der mich aus gelben, leuchtenden Augen anschaute. All das hat mit der Arnika zu tun, der sonnigen Wolfsblume, die unser Herz erfreut und die Heilung nach Verletzungen aller Art befördert. Sie ist viel älter als die heutige Menschheit und, wer weiß, vielleicht wird sie diese auch überleben. Eines ist jedoch sicher: Wir haben ihre Heilkräfte heute nötiger denn je.

Dr. med. Frank Meyer

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