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Chinesische Impressionen

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In den 90er Jahren trieb in Wǔhàn (Zentral-China) ein Mann namens Jiāng sein Unwesen. Herr Jiāng trug einen großen Hass auf die Gesellschaft in sich. Er hat keine gute Kindheit, wurde oft von seinen Mitmenschen schlecht behandelt und verlor nach und nach jegliches Mitgefühl und alle Hemmungen gegenüber anderen. Er wurde zu einem eiskalten Killer.

Herr Jiāng wusste sehr genau, dass es eines Tages mit ihm zu Ende sein würde und die Todesstrafe auf ihn wartete. Aber bis es soweit war, wollte er sich noch austoben.

Viele seiner Taten sind in China geradezu legendär geworden. Einmal nahm Jiāng vier Wachmänner als Geisel. Während er sie mit einer Pistole bedrohte, mussten sich die Männer gegenseitig fesseln, bis auf einen. Dieser eine musste den anderen mit einem Messer den Kopf abschneiden. Als er sein blutiges Werk beendet hatte, schoss Jiāng ihm eine Kugel in den Kopf. Einige der Polizisten, die am nächsten Morgen zum Tatort kamen, bekamen einen solchen Schock, dass sie über mehrere Wochen keine Nahrung mehr zu sich nehmen konnten.

Ein andermal schrieb er dem Polizeichef von Wǔhàn einen Brief und teilte ihm mit, dass er Sonntag nachmittags auf der Einkaufsstraße im Zentrum von Wuhan mit Sportschuhen auf und ab gehen würde. Daraufhin wurden Hunderte von Polizisten in Zivil ausgeschickt. Doch zu dieser Zeit waren einige tausend Menschen in Sportschuhen auf dieser Straße, was eine Identifizierung unmöglich machte.

Jiāng hatte die Angewohnheit, mit einer Pistole bewaffnet etwas abgelegene Kleinläden zu überfallen, da diese meist keine besonderen Sicherheitsvorkehrungen haben und gegen Abend recht wenig besucht sind. Maskiert und mit gezogener Waffe drang er kurz vor Ladenschluss in eines dieser Geschäfte ein und bedrohte den Ladenbesitzer und seine Frau. Die ältere Dame begann zu zittern. Ihr Mann jedoch blieb ganz ruhig, ohne dabei in irgendeiner Form zu provozieren. Mit klarer und kraftvoller Stimme sagte er zu seiner Frau: »Was ist denn mit dir los? Erstens sollten wir diesem Herrn dankbar sein, dass er uns wertschätzt und uns für so gut hält, dass wir beraubt werden können. Zweitens gibt es sicher einen vernünftigen Grund, weshalb dieser Herr das macht.« Dann wandte der Ladenbesitzer sich an Jiāng, als ob dieser ein ganz normaler Kunde sei, den er mit Respekt und Selbstbewusstsein zu behandeln habe: »Warten Sie bitte einen Moment, ich gebe Ihnen alles, was wir haben.«

Kaum hatte der Ladenbesitzer geendet, steckte Jiāng seine Pistole weg und sagte: »Von dir will ich nichts. Lebe dein Leben gut.« Dann drehte er sich um und ging.

Wenig später betrat Jiāng einen anderen Laden. Auch dieses Geschäft gehörte einem Ehepaar, das kurz vor Ladenschluss mit seinem kleinen Sohn allein war. Als Jiāng wie üblich mit Maske und gezogener Waffe auftauchte, fing die Frau in einem giftigen und arroganten Ton wie eine Ente zu schimpfen an. »Was, du wagst es, mich zu überfallen? Weißt du nicht, wer mein Bruder ist? Er ist der Distriktleiter der Polizei …« Sie schaffte es nicht mehr, den Namen ihres Bruders auszusprechen, da lag sie schon mit einem Loch im Kopf am Boden. Dann erschoss Jiāng auch ihren Mann und ihren kleinen Sohn. Anschließend nahm er sich alles Geld aus der Kasse und verschwand.

Der mächtige Bruder konnte sich am nächsten Tag die Leichen seiner Schwester, seines Schwagers und seines kleinen Neffen ansehen. Geholfen hat sein Status der Familie nicht.

Diese Geschichte lehrt sehr gut, wie der obige Spruch, »… zu wissen, wie man ein Mensch zu sein hat«, zu verstehen ist. Der erste Ladenbesitzer zeigte Selbstverteidigungskunst vom Feinsten, das höchste Niveau, das man nur erreichen kann. Das zweite Beispiel sollte hingegen als Warnung dienen. Die Frau zeigte deutlich, wie man es nicht machen darf. Selbstverteidigung heißt, jedem Menschen grundlegenden und offenen Respekt entgegenzubringen, ohne sich zum Opfer zu machen. Respektlosigkeit und Hochmut sind zwei der häufigsten Ursachen dafür, dass Menschen Gewalt verüben.

Auch wenn es vielleicht einige Zeit dauert, bis ein gewisses Maß überschritten ist – aber eine ständig gedemütigte Seele wird zur Gefahr, was wir immer wieder bei brutalen Amokläufen schmerzvoll feststellen müssen.

In Hettstedt1 spielte sich vor einigen Jahren eine Begebenheit ab, die ebenfalls zeigt, wie man es richtig machen kann: Frank F., ein alter Hettstedter Ringer, verließ ein Lokal, um nach Hause zu gehen. Vor der Tür warteten vier Männer auf ihn, die ihn anpöbelten. Es waren keine Halbstarken, sondern sie waren allesamt erwachsen – und betrunken. Der Ringer sagte ruhig: »Wenn ihr jetzt in die eine Richtung geht und ich in die andere, kommen alle ohne Probleme davon. Wenn ihr mich angreift, werde ich vielleicht verlieren, aber ihr kommt auch nicht unbeschädigt weg. Und wenn ich verliere, gibt es eine Rückrunde. Ich weiß, wo jeder von euch wohnt. Ich komme zu euch nach Hause, zu jedem einzelnen, und dann sehen wir mal, wie das Spiel dann ausgeht.« Die vier haben ihn in Ruhe gelassen und sind ohne ein weiteres Wort abgehauen.

Vorsichtshalber möchten wir noch erwähnen, dass diese Berichte nur Fallbeispiele sind und in ähnlichen Situationen durchaus zu anderen Ergebnissen führen könnten. Es sind keine Patentlösungen für derartige Vorfälle.

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