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Gedanken zum Thema Selbstschutz

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Befasse dich mit Gewalt, oder die Gewalt wird sich mit dir befassen. Dieses Leitmotiv unseres Buches ist keineswegs provozierend gemeint, sondern ganz nüchtern und realistisch. Wir huldigen nicht der Gewalt, wir verdammen sie aber auch nicht, denn Gewalt ist Teil unseres Lebens. Gewalt kann unter Umständen die einzige Lösung eines Problems sein.

Die Geschichte hat gezeigt, dass es einzelne Menschen geben kann, die sich der Gewalt konsequent und erfolgreich verweigern. Aber eine Gesellschaft ohne Gewalt hat es nie gegeben.

Viele Menschen – und nicht zuletzt viele Kampfsportler – sind der Ansicht, dass man sich erst wehren sollte, wenn die Gewalt schon zum Ausbruch gekommen ist. Es gilt als unmoralisch, einem Angriff zuvorzukommen, d. h., selbst mit der Gewalt zu beginnen, wenn man ihr nicht aus dem Weg gehen kann. Das ist jedoch eine sehr gefährliche und wenig realistische Sichtweise. Besser ist es, die Gewalt im Ansatz zu stoppen, mit der einzigen Macht, die hierfür taugt: Gewalt.

Für sich anbahnende Gewalt gibt es für gewöhnlich deutliche Anzeichen. Wir werden Ihnen in diesem Buch erläutern, woran Sie erkennen, ob ein Angriff unmittelbar bevorsteht und Sie reagieren müssen. Wenn ein Schläger Sie angreift, kann es bereits zu spät zur Gegenwehr sein. Jegliche Empörung über ein solches Konzept wäre Naivität oder Heuchelei. Die Hunderten Verletzten und Getöteten der letzten Jahre, die allein in Deutschland das Opfer ihres Zauderns, ihres Leichtsinns oder auch ihrer unüberlegten Zivilcourage wurden, sprechen eine eigene Sprache. Die Tatorte liegen in unseren Städten, in unserer Nachbarschaft. Jeder, der nicht bereit ist, in die Opferrolle zu schlüpfen, der nicht Gewalt durch andere erleben möchte, sollte dieses Buch als Kampfansage verstehen. Wir werden uns wehren, mit allen Mitteln!

Wir möchten in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass Gewalt nicht nur im negativen Sinne angewandt werden kann, sondern auch für gute Dinge, den Schutz eines Menschenlebens zum Beispiel. Genau darum geht es uns hier. In der Öffentlichkeit wird Gewalt oft mit Anarchie und Zerstörung gleichgesetzt. Doch eine allzu pazifistische Einstellung nützt häufig nur denen, die sie ausnutzen, um anderen zu schaden. Wenn man Pazifismus aber so versteht, dass man alles tun wird, um den Frieden zu bewahren, schließt dies die Anwendung von Gewalt zwangsläufig mit ein. Würde es wirklich immer ein realistischer Ausweg sein, dass der Klügere in einem Streit nachgibt, hätte Hitler den Krieg gewonnen und die USA hätten Vietnam besetzt. Tibet hat sich klug verhalten … und ist heute ein Teil Chinas. – Der Klügere schützt sein Leben. Nichts anderes hat die Natur für uns vorgesehen.

Terence Hill1 hat einmal gesagt, er halte es für Heuchelei, wenn in einem Film Gewalt dargestellt werde, die Produzenten aber beteuerten, sie seien gegen Gewalt und würden nur zeigen, wie es auf der Welt zugehe. Gewiss hat der Schauspieler nicht unrecht. Es hilft in der Tat niemandem, immer und immer wieder mit Gewaltszenen konfrontiert zu werden. Aber auch die Produzenten liegen nicht falsch. Gewalt ist Teil des Lebens. Unsere Gesellschaft wurde auf Gewalt gegründet und wird durch eine Machtbalance aufrechterhalten. Ob es nötig ist, Gewalt in unzähligen Filmen zu verherrlichen, ist eine andere Frage. Fakt ist jedoch, sie ist faszinierend, und wir alle geraten immer wieder in ihren Bann. Das ist Teil unseres evolutionären Erbes. Wir Menschen bewundern Gewalt, ob wir es wahrhaben wollen oder nicht. Wir werden von primitivem, instinktivem Verhalten angezogen wie die Motten vom Licht.

Wie ein Kampf verläuft, hängt stets von verschiedenen Faktoren ab. Sein Ausgang kann nicht vorausberechnet werden. Es kann tatsächlich alles geschehen. Selbstschutz ist nicht planbar. Gehen Sie niemals davon aus, dass etwas erwartungsgemäß verläuft. Damit schützen Sie sich vor unangenehmen Überraschungen. Und solche Überraschungen können vielfältig sein. Es ist nicht leicht, alle Unwägbarkeiten im Blick zu behalten. Wenn sich beispielsweise Dritte einmischen, wenn Ihr Gegner die härtesten Schläge unbeeindruckt aufnimmt, oder wenn schwere Verletzungen ins Spiel kommen, egal ob bei Ihnen oder Ihrem Gegner, dann kann man aus dem Gleichgewicht geraten. Sollten Sie in derartigen Situationen Nerven zeigen, kann das den Kampfverlauf zu Ihren Ungunsten beeinflussen. Bei einem harten Gegner beispielsweise sollte man flexibel sein und entweder nachsetzen oder den Kampf abbrechen und fliehen. Wenn Sie einem fixen Plan folgen, sind Sie nicht mehr flexibel. Für Ihren Schutz ist das denkbar ungeeignet. Helmuth von Moltke, einer der größten Feldherren in der deutschen Geschichte, brachte das Problem auf den Punkt: »Kein Plan überlebt die erste Feindberührung«.

Pläne für den Kampfverlauf sind demzufolge unsinnig, nicht jedoch eine planmäßige, systematische Vorbereitung auf die Begegnung mit der Gewalt. Hier müssen Sie im Gegenteil sehr genau sein. Verschließen Sie nicht die Augen vor Gewaltberichten. Spielen Sie Szenarien im Kopf durch, einmal aus der Sicht des Angreifers und einmal aus der Sicht des Opfers. Wenn Sie sich in der Opferrolle nicht wohl fühlen, was anzunehmen ist, dann überlegen Sie sich Strategien, wie Sie dieser Rolle entkommen oder besser gar nicht erst in eine solche hineingeraten.

In diesem Buch erläutern wir verschiedene Strategien und Taktiken für den Selbstschutz. Wir zeigen, was man tun kann und in einigen Fällen auch tun sollte, doch bleibt es Ihnen überlassen, das für Sie Wichtige und Notwendige herauszufiltern. Eines sagen wir aber nachdrücklich: Jede Situation ist anders, und Erfolgsgarantien kann es nicht geben. Der Kampf ist eine sehr dynamische Angelegenheit mit vielen unbekannten Faktoren.

Die Gewalt wird nicht verschwinden, wenn Sie Ihre Augen davor verschließen. Sie ist Teil dieser Welt und ganz sicher ein Teil von uns selbst. Je besser wir sie verstehen, desto besser können wir mit ihr umgehen.

Mabuni Kenei, ein alter Karatemeister, der ein sehr ursprüngliches Karate vertritt, welches als Selbstverteidigungssystem und nicht als Sport betrieben wird, schrieb das Folgende: »Hinsichtlich der Ausbildung kämpferischer Fähigkeiten gibt es häufig Missverständnisse. In Situationen realen Kampfes gerät man im normalen Alltagsleben relativ selten. Dennoch, die Gewalttätigkeit hat in jüngerer Vergangenheit wieder zugenommen. Selbst in Japan, einer der sichersten und diszipliniertesten Gesellschaften der Welt, kam es in den letzten Jahren zunehmend in öffentlichen Verkehrsmitteln oder auf Straßen zu völlig unprovozierten Angriffen oder zur Eskalation von Konflikten. Man sollte sich demzufolge darauf einstellen, dass man selbst in gewaltsame Auseinandersetzungen einbezogen oder zum Kämpfen gezwungen wird, um Familienmitglieder oder Freunde zu schützen. Der beste Weg, mit solchen Situationen fertig zu werden, war schon immer, dem Angriff des Gegners auszuweichen und ihn daraufhin an empfindlichen Stellen zu treffen, um damit Zeit zu gewinnen und weglaufen zu können. An dieser Stelle muss ich einräumen, dass Meister des Karate, wie ich selbst einer bin, sich Tag für Tag in einem Bujutsu-Karate schulen, das die Grenzen der Selbstverteidigung überschreitet. Und Kampftechniken, die die Grenzen der Selbstverteidigung überschreiten sind, geradeheraus gesagt, Techniken zum Töten von Menschen. Aber man möge dabei bedenken, dass man, wenn man solche Techniken übt, grundsätzlich nichts anderes tut als Soldaten, die sich Tötungstechniken zur Verteidigung ihres Vaterlandes, des Landes ihrer Vorfahren, aneignen. Die Techniken zur ‚minimalen’ Selbstverteidigung, also jene Techniken, die nicht den Tod des Gegners bezwecken, wurden demzufolge aus Techniken zum Töten von Menschen entwickelt.«2 Und an anderer Stelle schrieb er: »Meister Miyahira Masahide, der als Meister des Okinawa-te anerkannt war, soll sich einmal darüber beklagt haben, dass man im Karate trotz langjährigen Trainings nicht zum realen Kampf komme: ‚Ich verstehe nicht, wozu man eigentlich Karate lernt. Das ist doch Vergeudung.’ Wahrscheinlich hatte er selbst gar nicht wahrgenommen, wie sich sein Charakter in der langen Zeit des Studiums entwickelt hatte. Das Ergebnis einer solchen Entwicklung ist stets eine Persönlichkeit, die das Karate gar nicht mehr als Mittel des Kampfes braucht.«3

Es mag auf den ersten Blick paradox klingen, doch ein Mensch, der in dem Sinne trainiert, wie Mabuni es beschreibt – und wie wir es Ihnen in diesem Buch, auch wenn es darin nicht um Karate geht, nahelegen –, wird weniger wahrscheinlich je mit realer Gewalt konfrontiert werden, als ein Mensch, der sich nie ernsthaft mit dem Thema Gewalt befasst hat. Wir werden im Buch noch ausführlich auf die Frage der Opferrolle zu sprechen kommen. An dieser Stelle nur soviel: Jemand, der sich selbst gewohnheitsmäßig als (potentielles) Opfer betrachtet, hat eine bestimmte Ausstrahlung, die Gewalttäter deutlich wahrnehmen können. Schläger suchen bevorzugt nach solchen Menschen. Jemand, der sich nicht als potentielles Opfer empfindet, der selbstsicher auftritt, ohne zu provozieren, wird seltener überfallen werden. Genau das besagt auch das Leitmotiv dieses Buches, das wir an den Anfang dieses Kapitels gestellt haben.

Fallberichte 1 – Ort

Übergriffe können überall stattfinden. Man ist nirgends vollkommen sicher. Daher gibt es keinen Ort, an dem Wachsamkeit nicht angeraten wäre.

2007 – In Aachen stieß ein 33-jähriger Mann eine Frau vor einen heranfahrenden Zug. Diese wurde überrollt und getötet.

2009 – In Wuhan, China, wurde ein Mann auf der Toilette erstochen. Der Täter wartete den Moment ab, in dem sein Opfer wegen der heruntergelassenen Hose nicht fliehen konnte, und stach dann zu.

2009 – In Lengerich, Emsland, griff ein 32-jähriger Mann seine Frau auf der Toilette an. Er brach ihr an der Schüssel die Halswirbel und ertränkte sie dann im Becken.

2010 – Ohne Vorwarnung wurde eine Frau in Frankfurt am Main auf dem U-Bahnsteig von mehreren jungen Männern angegriffen. Sie schlugen erst auf die Frau ein und stießen die 20-jährige dann auf die Gleise. Die Frau überlebte.

2011 – In Sarstedt bei Hannover wurde am Neujahrstag ein 35-jähriger Mann in seinem Auto erschossen. – Die Täter warteten an einer Ampel, bis diese auf Rot schaltete. Dann näherten sie sich dem Wagen und schossen mehrfach durchs Seitenfenster.

2011 – Wegen eines Streits um die Reihenfolge in der Warteschlange vor dem Gemeinschaftsklo erschoss im November in Moskau ein Mann den Freund seines Nachbarn.

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