Читать книгу Muster für morgen - Frank Westermann - Страница 19

10. SONNENFEUER

Оглавление

Sonnenfeuer war die erste, die am nächsten Morgen aufwachte. Sie stand sofort auf, um sich ausgiebig zu waschen und ein wenig zu essen. Danach suchte sie sich ein ruhiges Fleckchen, wo sie nicht so schnell gestört werden konnte. Die angekündigte Besprechung sollte erst gegen Nachmittag stattfinden. Und das war auch gut so, denn sie brauchte unbedingt Zeit, um ihre Gedanken zu ordnen und neue Kräfte zu sammeln. Der Anfang gestern hatte sie dabei etwas ermutigt.

Hier etwas abseits von den Robotern und Mutanten konnte sie wenigstens versuchen, sich ein ungeschminktes Bild der Lage zu verschaffen, in der sie sich befand. Es konnte immer noch keine Rede davon sein, dass sie sich besonders wohl fühlte, obwohl dieser Ort natürlich eine Verbesserung gegenüber der Raumstation darstellte. Aber die Umweltbedingungen waren wohl nirgends auf dieser Welt dazu angetan, ein Wohlbefinden bei ihr herzustellen.

Andererseits, sagte sie sich, hatte sie beim Verlassen ihres Heimatplaneten in etwa gewusst, auf was sie sich einließ. Sie war schließlich freiwillig mitgekommen, obwohl der Gedanke an einen Arbeiter-Planeten ihr Schauer über den Rücken jagte. Trotzdem hatte sie es für notwendig befunden, ihren Eingebungen zu folgen, selbst als die Invasion ihrer Heimat bevorstand. Sie war sich nach wie vor sicher, dass ein Kontakt mit Traumschwester für sie unumgänglich und lebenswichtig war, obwohl er zur Zeit in weite Ferne gerückt schien, da die Trennung von Sucherin es nahezu unmöglich machte, einen Realitätswechsel zu Traumschwesters Ebene vorzunehmen. Es war ihr auch nicht klarer geworden, was genau dieser Kontakt mit Traumschwester bewirken sollte, aber sie zweifelte nicht daran, dass er vollzogen werden musste.

Sie dachte an die Tage des Weltraumfluges zurück: ihre anfängliche Neugier, besonders Speedy gegenüber, hatte sich schnell reduziert, als ihr bewusst wurde, in was für einer (Gedanken)-Welt er und Lucky lebten. Sie wussten rein gar nichts über kosmische Zusammenhänge, magische Energien und die daraus resultierende Vielfältigkeit des Lebens. Ihre Welt war zusammengeschrumpft auf ein völlig verzerrtes Bild ihrer selbst und ihrer Umwelt, bedingt durch die wissenschaftlich/rationale/logische Realität, in die sie hineingeboren worden waren, und die dazu diente, den Herrschern dieser Welt das Herrschen zu ermöglichen. Diese einseitigen Raster und Strukturen hatten die Menschen im Laufe der Jahrhunderte so verkrüppelt, dass sie nicht mehr in der Lage waren, etwas anderes wahrzunehmen.

Speedy hatte – meist ohne sein bewusstes Dazutun – einige Male Ausbrüche aus diesen Fesseln gemacht, aber er konnte seine Erfahrungen weder einordnen noch sich erklären. Sonnenfeuer sah sich außerstande, ihm dabei zu helfen, da es ihr schon Schwierigkeiten bereitete, sich länger als unbedingt notwendig, auf seine Verständigungsebene zu begeben. Und trotzdem blieb ein Rest an ihm, der ihn für die Zauberin interessant machte. Eine Art verwandtschaftliches Gefühl, von dem sie nicht sagen konnte, woher es rührte.

Sie zweifelte nicht daran, dass Lucky und Speedy aufrichtige Freunde waren – das Gegenteil hätte sie sofort gespürt – aber sie unterschieden sich einfach zu sehr von ihr. Eine Zeitlang hatte Kortanor ihr über diese erschütternde Erkenntnis hinweghelfen können. Auch er hatte zwar keinen Einblick in die magische Welt, aber er war aufgrund seiner vielfältigen, kosmopolitischen Erfahrungen doch aufgeschlossener ihr gegenüber und sie konnte ihm einiges von dem, was sie beschäftigte, begreiflich machen. Andererseits brach bei ihm oft ein typisches patriarchalisches Denken und Handeln durch, das sie ziemlich ärgerte. Sie hatte ihm daher von Anfang an keine Hoffnung gemacht, dass ihre Beziehung von längerer Dauer sein könnte. Irgendwann würden sich ihre Wege unvermeidlich trennen. Kortanor hatte nicht zu erkennen gegeben, ob ihn dieser Gedanke störte.

Die meiste Zeit auf ihrem Flug hatte sie Sehnsucht nach ihrer Welt gehabt, nach ihren Gefährten und Freundinnen und den Abenteuern und der Vielschichtigkeit ihres Zusammenlebens. Oder sie hatte ungeduldig auf die Ankunft auf der Erde gewartet, um endlich mit Traumschwester zusammentreffen zu können.

Als dann Sucherin an Bord gekommen war, hatte sich das schlagartig geändert.

Ihr war sofort klar gewesen, dass das Aussehen dieser Frau nicht ihr wahres Selbst darstellte. Ihre und Speedys Erzählungen ergaben dann ein fantastisches Bild der Vermengung zweier Realitätsebenen, das sie augenblicklich faszinierte.

Leider nahm Sucherin eine sehr intensive Beziehung zu Speedy auf, die es ihr unmöglich machte, sich länger über diese Rätsel mit ihr zu unterhalten. Sonnenfeuer war daraufhin ziemlich ärgerlich und frustriert, weil sie auch hier ihrem Ziel nicht näher kam. Sie wartete ungeduldig auf den Zeitpunkt, an dem sich die Zweisamkeit von Sucherin und Speedy lockern würde, weil sie in Sucherin eine Möglichkeit sah, einen Realitätswechsel zu Traumschwester vorzunehmen.

Doch die Beziehung zwischen den beiden änderte sich erst, als sie die Erde erreichten, und dann wurden sie getrennt.

Wie sie nicht anders erwartet hatte, war die Erde ein scheußlicher Planet. Sie konnte sich noch glücklich schätzen, nicht in einer dieser Machtballungen Neu-Ing oder Südliche Inseln verschlagen worden zu sein. Sie war sich nicht sicher, wie lange sie es dort aushalten konnte, ehe sie dem Wahnsinn verfiel.

Sich vorzustellen, wie all diese Menschen tagein tagaus stupiden Tätigkeiten und Ritualen nachgingen, um etwas konsumierbares Glück zu erhaschen oder einfach überleben zu können, weil ein paar von ihnen auf Kosten der anderen lebten ... Sie konnte vieles davon nicht wirklich begreifen und Speedys oder Luckys Erzählungen hatten immer wie unwirkliche Schauergeschichten geklungen. Da trennten sie wirklich Welten.

Immerhin ging es ihr an diesem Ort etwas besser. Die Natur übte eine beruhigende Wirkung auf sie aus und durch die leisen Schwingungen der Pflanzenwelt hindurch vernahm sie sogar manchmal das Wispern der kosmischen Ganzheit. Vielleicht konnte sie ihre Kräfte hier soweit regenerieren, dass sich ihr Zustand stabilisierte. Denn sie ahnte schon, dass sie irgendwann auch von hier fort musste, näher zu diesen Menschen, die mit ihren Herrschaftssystemen das magische Feld des Planeten fast völlig zerstört hatten. Sie würde sich den Bedingungen wenigstens so anpassen müssen, dass sie überleben konnte und handlungsfähig blieb.

Sie seufzte und fing an, Zöpfe in ihr Haar zu flechten. Wenn der Kampf gegen diese Soldaten ausgestanden war, musste sie den nächsten Schritt tun, immer in der Hoffnung, Traumschwester dadurch näher zu kommen.

Muster für morgen

Подняться наверх