Читать книгу Muster für morgen - Frank Westermann - Страница 6

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When a man is running from his boss

Who holds a gun that fires cost.

And people die from being old

And left alone because they’re cold.

And bombs are dropped on fighting cats

And children’s dreams all run with rats.

If you complain you disappear

Just like the lesbians and queers.

...

You stop dancing.

The Who - »Helpless Dancer«

1.

DER KAMPF GEGEN DIE ARBEIT

Als Omar Tagusch seine verschlafenen Augen gewaltsam aufriss, blinkte ihm wie immer der Spruch: »Der Kampf gegen die Arbeit dauert so lange, bis wir sie abgeschafft haben«, entgegen. Er hatte ihn damals mit Leuchtstoff an die dem Bett gegenüberliegende Wand gesprüht.

Er grinste flüchtig und lehnte sich noch einmal zurück.

Er hatte es heute nicht sehr eilig mit dem Aufstehen. Die Parole markierte seinen endgültigen Abschied vom Berufsleben und den Beginn seines Kampfes gegen alles, was ihm von außen aufgezwungen worden war.

Damals hatte er noch ein — wie er dachte – sicheres Einkommen als Ingenieur in einer der großen Gleiterfabriken bezogen. Der Titel Ingenieur besagte dabei allerdings nichts weiter, als dass er privilegiert war, in dieser Mammutfabrik an den Mikro-Elektronik-Anlagen zu arbeiten und nicht in einem der kleinen Zulieferbetriebe, die grundsätzlich nur jämmerlich unterbezahlte Teilzeitkräfte einstellten.

Seine Ausbildung für diesen Job hatte darüber hinaus einen weiteren Vorteil gebracht: er war in der Lage gewesen, einigen Behauptungen der Propaganda der Bewegung gegen die Arbeit nachzugehen. Da er nicht viel beschäftigt war, außer dass er ab und zu ein paar automatisch laufende Fertigungsprogramme wechseln musste, die Anzahl, technische Eigenschaften, Form und Farbe des Gleiter-Ausstoßes betrafen, hatte er genug Zeit, sich die Programme genauer anzusehen.

So kriegte er unter anderem raus, dass die Gleiter wirklich auf schnellen Verschleiß gebaut waren. Einzelne Teile, in wechselnder Abfolge natürlich, wurden absichtlich so mies konstruiert oder zusammengesetzt, dass ganze Segmente der betreffenden Fahrzeuge über kurz oder lang einfach ausfallen mussten. Diese nachhaltigen Störungen waren meist nur dadurch zu beseitigen, dass ein neuer Gleiter gekauft wurde oder zumindest ein teurer neuer Antriebsblock. Das Zeitalter, in dem die Leute selbst etwas durch einfachen Austausch eines defekten Teils reparieren konnten, war längst vorbei. Die Funktionselemente waren mikroskopisch klein geworden und hingen alle so miteinander zusammen, dass nicht das eine ohne das andere ersetzt werden konnte. Ein zugegeben raffiniertes System.

Nach derartigen Entdeckungen hatte Omar es für richtig gehalten, sich etwas mehr mit den Absichten und Zielen der Arbeitsunwilligen auseinanderzusetzen, und dabei wurde ihm erst so richtig klar, unter welchen Illusionen er bisher gelebt hatte.

Er hatte seine und die gesamtgesellschaftliche Entwicklung immer als gegeben, natürlich hingenommen und hatte sich auch nie etwas anderes als ein normales Berufs- und Familienleben vorstellen können. Mit der Familie hatte es zwar nicht so geklappt, aber seine Arbeit hatte er nie infrage gestellt, geschweige denn die Tatsache, dass überhaupt gearbeitet werden musste.

Sicher, die ganzen üblen Arbeitsbedingungen, der Stress, diese unbefriedigte Leere, alles das hatte er am eigenen Leib gespürt und bei seinen Kollegen und Kolleginnen mitgekriegt, aber er hatte es vorgezogen, diese Schattenseiten einfach zu ignorieren. Sie gehörten halt dazu und er wollte nicht weiter darüber nachdenken.

Genauso wenig wie über die rasch steigenden Arbeitslosenzahlen und Menschen, die keinerlei soziale Absicherung mehr besaßen außer einem Teller Syntho-Suppe am Tag, für den sie auch noch dankbar sein sollten. Er bewegte sich ja auch nicht in den Stadtteilen, in denen die Ausgestoßenen der Gesellschaft dahinvegetierten, wenn sie nicht vorher in Gefängnisse, Heime oder andere Anstalten eingewiesen worden waren.

Er bekam in den Nachrichten nur etwas mit von Terroristen, verbrecherischen Jugendbanden und demokratischen Parteien. Nichts über ganze Horden plündernder Bürger, die nachts durch die Straßen zogen und in verzweifelter Wut versuchten, ihren Hunger zu stillen. Nichts über das Anwachsen der Brutalität auf staatlicher Seite, dem Einsatz von Robotern mit Schusswaffen, den Toten, die inzwischen an der Tagesordnung waren. Und nur sehr wenig von dem massiven sozialen Protest, der in Verweigerung von Miet- und anderen Zahlungen, Demonstrationen, Kaufhausdiebstählen, Hausbesetzungen und Sabotageaktionen bis hin zu Brand- und Bombenanschlägen militanter Gruppen auf Fabriken, Cop-Stationen und Banken bestand. Die kommerziellen Medien verbreiteten höchstens Meldungen über Meutereien in Gefängnissen und Bomben in Kaufhäusern, was natürlich alles von Terroristen angezettelt war, denen Menschenleben egal waren.

Natürlich berichteten die Medien nur in regierungsfreundlicher Weise, aber verschweigen konnten sie auf die Dauer nicht alles. Von welcher Seite die Gewalt ausging, wurde für Omar noch einmal ganz deutlich, als eine Menge Indizien darauf hinwiesen, dass gerade die Bombenanschläge in Kaufhäusern Provokationen der Geheimdienste waren, um den terroristischen Banden die Toten in die Schuhe zu schieben.

Früher hatte es Omar vorgezogen, seine Augen geschlossen zu halten und die verlogene Staatspropaganda für bare Münze zu nehmen, bis das Misstrauen so lange in ihm genagt hatte, dass er sich für die Bewegung gegen die Arbeit zu interessieren begann. Er schaltete jetzt auch immer öfter von den diversen Tri-Di-Programmen, die hauptsächlich als Werbeträger dienten, ins Studio 34 um. Dort liefen auch kritische Programme, die sich mit den Oppositionsparteien und der Bewegung beschäftigten.

Seine Traumwelt brach immer mehr zusammen, er begann krank zu feiern und vernachlässigte seine gesellschaftlichen Kontakte. Die bestanden nämlich hauptsächlich aus sinnlosen Sauftouren mit Kollegen, gemeinsamen Spielpalast-Besuchen und Fernsehabenden. Auch die Schaukampf-Wettbewerbe waren ihm jetzt zuwider und um die Bordelle machte er immer öfter einen Bogen.

Er kam dann mit einer der Oppositionsparteien in Berührung und unterhielt sich zum ersten Mal mit Leuten persönlich, die etwas an dem System auszusetzen hatten. Plötzlich fand er auch am Arbeitsplatz einige Leute, von denen er früher nur abfällig gedacht hatte, dass sie immer was zu meckern hatten.

Es dauerte nur kurze Zeit, bis er merkte, dass auch die Opposition auf das demokratische System vertraute und lediglich einige Missstände abbauen wollte, aber zu keinen grundsätzlichen Veränderungen bereit war.

So lag es nur nahe, dass er sich irgendwann der Bewegung anschloss und begann, in ihrem Sinne tätig zu sein.

Seine Nachlässigkeit auf der Arbeit nahm zu, er vertrat offensiv seine Meinung und versuchte sich in Programm-Sabotage. Irgendwann stellte die Unternehmensleitung Vermutungen in dieser Richtung an, und als es ihr zu viel wurde, feuerten sie ihn.

Nun saß er auf der Straße und das mit 42 Jahren ohne Aussicht auf einen neuen Job, ohne Anspruch auf irgendwelche Versorgungsleistungen. Sie hatten ihm zwar direkt nichts nachweisen können, sonst wäre es auch noch schlimmer für ihn ausgegangen, aber offizielle Gründe, um Leute ohne weitere Ansprüche rausschmeißen zu können, gab es immer. Und es gab genug Menschen, die noch scharf auf so eine Arbeit waren. Seine Daten wurden automatisch nach diesem Vorfall in die zentralen Rechneranlagen der Unternehmensverbände weitergeleitet, so dass er auch in keinem anderen Betrieb unterkommen würde.

Die seit einigen Monaten staatlich anerkannten Gewerkschaften zuckten in seinem Fall mit den Schultern. Schließlich war er kein zahlendes Mitglied, und selbst wenn er es gewesen wäre, hätte sich ihre Hilfe in staatlichen Grenzen gehalten. Und die endeten schon weit vor mutmaßlichen Saboteuren.

Nach seiner Entlassung war er ziemlich orientierungslos durch die Gegend gelaufen, er kannte eben immer noch wenig Leute außerhalb der Arbeit. Er zehrte dabei von dem Geld, das er gespart und durch den Verkauf seiner Wohnung und einem Großteil seiner Möbel bekommen hatte.

Er wohnte mal hier mal da, bis er sich entschloss, fest in einer der Gruppen der Bewegung mitzumachen. Von da aus kam er dann zu einem Zimmer in einem der besetzten Häuser im miesesten Industrieviertel von Neu-Ing. So lernte er zum ersten Mal Menschen kennen, deren Freundschaft untereinander nicht auf Geld, Macht und Abhängigkeiten beruhte, sondern auf gegenseitiger, freiwilliger Unterstützung. Sie waren durch Vorstellungen, Ideen, politische Ziele und alltäglicher Praxis miteinander verbunden.

Sein restliches Geld wurde hier gut gebraucht, und statt im Konsumrausch die tägliche Langeweile zu überdecken, lernte er hier notwendige Überlebenstechniken: Schwarzarbeit, Lebensmittel stehlen und Papiere fälschen, gehörten schon bald zur Routine.

Seine Fähigkeiten als Ingenieur, die er in seinem Beruf nie gebraucht hatte, konnte er hier praktisch anwenden: bei Instandsetzungsarbeiten, Computerausnutzung oder im Austausch gegen etwas Gemüse von einer Gruppe Ökos, die in der Nähe in verbissener Arbeit versuchten, auf dem misshandelten Boden in Gewächshäusern etwas anzubauen.

Obwohl er ahnte, dass es in nicht allzu ferner Zeit zu harten Entscheidungskämpfen mit der Staatsgewalt, die die herrschende Ökonomie schützte, kommen würde, fühlte er sich hier wohler und zufriedener als in seinem ganzen hohlen Leben zuvor. Es gab zwar jede Menge Auseinandersetzungen, Depressionsphasen und Ängste, aber jetzt wusste er wenigstens, wofür er lebte.

Omar Tagusch sah nach draußen: ein trüber regnerischer Tag, der Smog lag tief und vermischte sich mit den grauschwarzen Wolken. Es sah fast immer so aus und war gerade richtig für das, was sie heute vorhatten. Sie sollten einen Haufen Ersatzteile hinter dem Gelände einer Elektronikfirma in Empfang nehmen, und das ging bei diesem nebligen Wetter weitaus besser als bei strahlendem Sonnenschein.

Muster für morgen

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