Читать книгу Erhoffte Hoffnungslosigkeit - Philipp Felsch, Frank Witzel - Страница 12

15.12.2018

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Unica Zürn: »Für das erste Anagramm, das sie in diesem Sommer macht, nimmt sie als Ausgangs-Satz: Der eingebildete Wahnsinn. (…) Dieses Ergebnis ist arm und unvollkommen. Das Gesetz für das Anagramm heißt: Alle Buchstaben, die der Ausgangssatz enthält, müssen auch in seinem Anagramm verwendet werden. Hier aber sind Buchstaben übrig geblieben, und das ist verboten. Am nächsten Tag liest sie in der Zeitung, daß man den Körper Nehrus auf Sandelholz und Rosenblättern verbrannt hat. Der Ausgangssatz für ihr zweites Anagramm heißt also: Auf Sandelholz und Rosenblättern.«

Diese Stelle, auf die ich mehr oder minder zufällig gestoßen bin, auch wenn ich das Buch natürlich bewusst herausgeholt hatte, erschreckt mich unwillkürlich. Es erschreckt mich, dass selbst Unica Zürn von einem »eingebildeten« Wahnsinn spricht. Aber vielleicht kann man vom Wahnsinn immer nur als »eingebildet« sprechen. Schließlich ist er auch eingebildet. Weshalb es ein Irrtum ist, zu glauben, ich sei nicht wahnsinnig, nur weil ich mir meinen Wahnsinn einbilde.

Was bedeutet es, dass Unica Zürn den Mann im Jasmin in der dritten Person verfasst? Lässt sich anhand der verwendeten Person der Grad an Wahnsinn ausmachen? Tatsächlich habe ich das Gefühl, würde ich das alles hier in der dritten Person verfassen, »wirklich« und nicht nur »eingebildet« verrückt zu sein. Doch weshalb, wenn ich doch durch die Verwendung der dritten Person eine größere Distanz herstelle? Gerade deshalb. Ich objektiviere etwas, das nicht zu objektivieren ist. Ich versuche auf Distanz zu gehen, steigere mich aber in Wirklichkeit nur stärker in das hinein, was ich zu verlassen suche. Ich ahme mich in der dritten Person mimetisch nach. (Natürlich greifen diese Gedanken nicht wirklich, denn ich könnte mich natürlich auch in der ersten Person nachahmen, oder ist die erste Person von sich aus schon immer nachgeahmt? Höchstwahrscheinlich.)

Vielleicht kann man nur in der Rede der dritten Person etwas erfahren, und vielleicht möchte ich gerade gar nichts »erfahren«, weil ich ohnehin beständig viel zu viel erfahre, sondern möchte, statt zu erfahren, einfach nur sein.

Es ist etwas anderes, das mich an diesem Buch ganz unwillkürlich und unerwartet befremdet. Nachdem ich eine Weile darin gelesen habe und auf der Suche nach dem Inhaltsverzeichnis ganz nach hinten blättere, stoße ich auf eine Anzeige für andere Bücher des Ullstein Verlags, genauer seiner Reihe »Die Frau in der Literatur«. Die dort aufgeführten Titel erzeugen für mich eine starke, kaum zu überwindende kognitive Dissonanz, weil sie den Text Unica Zürns zwischen Paveses Die einsamen Frauen, Marie de Lafayettes Die Prinzessin von Cleve, Urys Nesthäkchen und ihre Küken, Henry James’ Bildnis einer Dame und anderen einordnen. Eingeordnet aber zerfällt ein Text, besonders ein Text wie der Unica Zürns, hier noch verstärkt durch die Tatsache, dass diese »Frau in der Literatur« wahllos mal Subjekt, mal Objekt ist, das heißt generell Objekt (weil sie zum Subjekt »gemacht« wird), gleichgültig ob sie schreibt oder ob über sie geschrieben wird.

Meine Ausgabe des Buches stammt aus dem Jahr 1985. Ich war damals, so vermute ich zumindest, auf Unica Zürn gekommen, weil ich für einige Wochen in einem Appartement gewohnt hatte, das schräg gegenüber dem Haus lag, aus dem sie sich 1970 gestürzt hatte. Obwohl ich bestimmt jeden Tag mehrmals auf die Straße und auf dieses Haus gesehen habe, will sich kein Bild, keine Erinnerung, keine Verbindung, noch nicht einmal ein Gefühl einstellen. Auch das scheint immer noch eine Nachwirkung dieser eigenartigen Wahrnehmung, die meinen nostalgischen Erinnerungsapparat zeitweilig außer Kraft gesetzt hat. Alles erscheint mir in einer kalten, winterlichen Klarheit, wie hinter einer Glasscheibe. Jede Erinnerung wie nicht wirklich von mir erlebt in einem Diorama aufgebaut und weggesperrt.

Erhoffte Hoffnungslosigkeit

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