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BEETHOVEN IN ANDERTHALB MINUTEN

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Sind die ungeschriebenen nicht die schönsten Gesetze? Stimmt es, dass die weißen Kinder der oberen Unter- und der unteren Mittelschicht sich für ihre Musikrevolten möglichst arm kleiden, tatsächlich arme Kinder jedoch so schick wie’s nur geht, um nicht arm zu erscheinen? Entwickelt sich das Gehirn wirklich weiter bis zum Tod?

Und was ist mit diesem ungeschriebenen Gesetz: Wenn die Produktionen zu aufgeblasen werden und die Musiker so aufgeblasen wie die Produktionen und die Menschen nichts mehr hören außer dieses aufgeblasene Zeug, dann betreten davon genervte und gern in Lederjacken oder auch in Holzfällerhemden gekleidete junge Leute die Szene, die nicht so spielen, als hätten sie ein paar Jahre im Übungsraum geübt, und was sie singen, erzählt ebenfalls vom Ankotzen. Manche von ihnen bekommen dann geschäftliche Probleme, weil sie es mit erfahrenen älteren Managern und Musikindustriellen zu tun haben, die bei Sonnenaufgang Konzepte, Verträge und Branchenberichte studieren, während die bösen jungen Musiker bei Sonnenaufgang immer noch einen drauf machen.

Einmal in jedem Jahrzehnt schlägt die Glocke zu einer neuen Musikbewegung, heißt es. In diesen immer auch vernebelten Vorgang hat niemand so intelligent Klarheit gebracht wie Rick Davies von Supertramp: »Ich könnte nie Grunge, Rap oder Free Jazz spielen, für mich ist das alles Krach mit überhaupt keinem Ausdruck drin.«

Am 16. August 1974 gaben die Ramones ihr Debüt im CBGBs »einer heruntergekommenen Bar in der Bowery Street, die bald darauf zum Synonym für das explosionsartige Auftreten neuer Musik in New York City werden sollte«, mit der »winzigen Bühne und den sagenhaft stinkenden Toiletten«, schreibt Everett True. Tommy Ramone fand es »sehr gemütlich. Es gab einen kleinen Buchladen, wo man während des Soundchecks stöbern konnte. Anfangs gingen wenige Leute dorthin. Ich glaube, die Hell’s Angels hingen vor uns dort rum. Die örtlichen Marines kamen vorbei. Es gab einen Billardtisch.«

Marc sagte über dieses Konzert: »Es war die nackteste Variante von Rockmusik, die ich je gehört hatte.« Hilly sah es so: »Der Auftritt dauerte 40 Minuten, und 20 davon bestanden darin, dass die Bandmitglieder sich gegenseitig anschrien.« Und Valentine brachte es auf diesen Punkt: »Bis ich die Ramones sah, dachte ich, die New York Dolls wären die lauteste Band aller Zeiten. Sie waren fantastisch, 20 Songs in 15 Minuten. Da war dieser stillschweigende Ansatz von Gewalt im Hintergrund, aber auf der Bühne waren sie sehr lustig«, und »obwohl es unterschiedliche Lieder waren, klangen sie alle gleich – es war wie Beethoven in anderthalb Minuten, mit Joey Ramone, der darüber hinweg murmelte.«

Verständlich, dass die Ramones, Richard Hell oder die New York Dolls, die Malcolm McLaren kurz vor Erfindung der Sex Pistols gemanaged hatte, sauer auf London waren, auf diese Sex Pistols und alle diese Pisser, die plötzlich da waren und in den Weltnachrichten als das neue Ding beachtet wurden. Niemand von den New Yorkern sollte jemals auch nur annähernd diese Aufmerksamkeit bekommen. Außer Patti Smith natürlich. Die mit Andy Warhol schon Punk gespielt hatte, als Rimbaud noch Gedichte schrieb.

Aus: Rock’n’Roll Fever (mit Guido Sieber).

Edel, Hamburg 2010

The Boy Named Sue

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