Читать книгу The Boy Named Sue - Franz Dobler - Страница 17

ORDENTLICHE TANZMUSIK

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Ich gab dem Alten ein frisches Tuch für den Ausfluss. Er würgte und stöhnte und sein Gesicht zog sich zusammen, als würde es von einer großen Hand gepackt und zerquescht werden. So sahen jetzt seine kleinen Anfälle aus.

Piet gab ihm sein Glas Sherry, das zu zwei Dritteln mit Wasser gefüllt war. Seine Leberzirrhose war im vorletzten Stadium, und er hatte die Illusion, das Wasser könnte die Zersetzung verzögern. Er trank jeden Tag eine Flasche Sherry, die wir ihm besorgten, weil er selbst keine fünf Meter mehr gehen konnte. Wir kochten ihm täglich eine Suppe, von der er nur wenige Löffel nahm, und setzten uns für eine Stunde zu ihm.

Wir erfuhren wenig von ihm; nichts, was erklärt hatte, warum er gegen das Verbot des Arztes jahrelang weiter getrunken hatte. Er erlaubte uns nicht, aufzuräumen oder zu waschen. Nur die Plastiktüte, in die er seine vollgekotzten Tücher steckte, durften wir hinaustragen. Als ich die Vorhänge einmal aufgezogen hatte, war er wütend geworden.

Er lebte in ständiger Angst vor dem Vermieter, der ihm seit Monaten mit Zwangsräumung drohte, weil er eigene Schlösser angebracht hatte und sich weigerte, ihn hereinzulassen.

»Er hat kein Recht dazu«, versuchte ihn Piet zu beruhigen.

»Die bekommen doch immer Recht, alle diese Halsabschneider und Schnüffler«, sagte er. Aber ein normales Sprechen war das nicht mehr, jeder Satz war ein Felsklotz, den er mühsam hervorzerrte.

»Allein der Preis für diese feuchten Löcher müsste ihn ins Gefängnis bringen«, sagte ich, um überhaupt etwas zu sagen.

Piet und ich saßen immer nur unwohl herum und versuchten, möglichst wenig einzuatmen und uns nichts anmerken zu lassen.

»Ein mieses Schnüfflerschwein«, sagte der Alte.

»War irgendwas los?«, fragte Piet.

»Als ich letztes Jahr im Krankenhaus war, ging er zum Sozialamt, damit sie mich ins Heim stecken. Jetzt schon wieder. Weil ich so hilflos bin!« Er schien so einen zuständigen Beamten nachzuäffen. Und brach ab, als er sich bewusst wurde, dass er es jetzt nicht mehr ohne fremde Hilfe vom Sessel zum Bett schaffte und deshalb nur noch im Sessel saß, Tag und Nacht.

»So einfach ist das nicht«, sagte Piet und ging zum Waschbecken, um ihm ein neues Glas zu mischen.

»Was!«, fauchte der Alte. »Die wollten mich nicht mehr aus dem Krankenhaus lassen. Weißt du, was dann passiert, mein Junge? Ich weiß es!«

Er verschüttete die Hälfte, ehe er das Zeug schlürfte, um seine sich selbst auffressende Leber zu füttern.

»Der Arzt hat sogar gesagt, dass man mich entmündigen wird, wenn ich nicht vernünftig bin. Aber sie haben mich nicht… das haben schon ganz andere versucht.«

Er versank wieder in seinen Gedanken, und ich hatte den Eindruck, dass es schlechte waren und er bis zum nächsten Tag dort hängenbleiben würde.

»Seit wann wohnen Sie denn hier?«, sagte ich.

»Elf Jahre.«

»Und was haben Sie früher gemacht?«

Er lächelte und machte eine Handbewegung: Er hatte alles gemacht. Zuviel, um es jetzt noch erzählen zu können.

»Und du, mein Junge?«

»Musik«, sagte Piet.

Wir waren verblüfft, dass ihn das aufmunterte.

»Gleich nach’m Krieg haben wir in Frankfurt eine Jatzband gemacht. War eine Sache. Bei den Nazis war das alles verboten, die Leute waren froh, dass es wieder ordentliche Tanzmusik gab. Heute ist das sicher alles ganz anders.«

»Heute macht man nur noch Krach«, sagte ich, um Piet zu helfen, der nicht wusste, wie er es ihm erklären sollte.

»Ja, Krach«, sagte der Alte, »das haben die Nazis nach dem Krieg zu uns auch gesagt.«

Dann schlief er ein. Wir legten seine Beine auf den zweiten Sessel, deckten ihn zu, und schenkten ihm wie immer, wenn wir gingen, drei große Gläser ein.

Wir stellten uns in meinem Zimmer ans Fenster. Es war halb neun, immer noch hell und warm.

»Weg hier«, sagte Piet und wir sprangen raus.

Aus: Falschspieler. Nautilus, Hamburg 1988

The Boy Named Sue

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