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LIEDER FÜR KUGELN UND FREIHEIT

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In einem Schongauer Café bekamen wir die richtigen Gefühle für das Konzert, genauer gesagt die »Kalahari Liberation Opera« von Abdullah Ibrahim, der früher Dollar Brand hieß. In einem Lesezirkel fand sich die von verschiedenen südafrikanischen Botschaften herausgegebene Zeitschrift Südafrikanisches Panorama. Mit vielen Photos von der heilen weißen Welt, ohne die Probleme zu verschleiern: »Die Weiterentwicklung der menschlichen Zivilisation wurde ermöglicht, weil die Natur flexibel genug war, sich der veränderten Umwelt anzupassen. Dieser Anpassung sind jedoch Grenzen gesetzt, und heute ist Umweltschutz unumgänglich, wenn die Menschheit überleben will.«

Ibrahims Jazz-Oper schildert die Geschichte des Landes. Eine kurze Einleitung deutet den Charakter des Werks an: Behelmte Polizisten prügeln mit Gewehren auf einen Schwarzen und ihm zu Hilfe kommende Frauen ein. Erst danach kommt der Rückblick auf das »ancient Africa«. Die Zeit der Jäger und Sammler gerät insofern zur Idylle, als zwei Szenen später ein mit Gewehr bewaffneter Weißer sich von Ureinwohnern herumtragen lässt, wobei er den wirtschaftlich sehr weisen (und weißen) Gedanken hat, eine Erfrischungsstation zu errichten (1652 gründeten holländische Seefahrer an der Stelle des heutigen Kapstadt eine Handelsniederlassung und setzten damit den Beginn des schwarzen afrikanischen Elends). »Die Auseinandersetzung mit den Eingeborenen gestaltete sich einfach im Fall der Buschleute … man rottete sie aus«, schrieb 1941 ein deutscher Forscher. Die wenigen überlebenden Buschleute zogen sich in die unwegsame Beckenlandschaft Kalahari zurück.

Eine turbulente Karnevalszene soll zeigen, dass sich die Lebensfreude der Schwarzen dennoch lange Zeit nicht zerstören ließ. Erst das faschistische System der Apartheid begann mit letzter mörderischer Konsequenz die totale Unterdrückung der Schwarzen durchzusetzen, dargestellt in einer Vertreibungsszene mit schauderhaft überzeugendem Klagegesang. Historischer Hintergrund sind die Zwangsumsiedlungen, die das weiße Apartheid-Regime ab den 50er-Jahren zur Durchsetzung seiner Homeland-Politik durchführte, die zum Ziel hatte: die Schwarzen in einem Gebiet einzusperren, aus dem nur zur Arbeit benötigte Personen rauskommen. 80% der Bevölkerung werden gezwungen, auf einer Fläche von 14% des Landes zu leben, die zudem ausschließlich zu den am wenigsten fruchtbaren Gebieten gehören.

Im zweiten Teil des Werks wird der African National Congress (ANC) vorgestellt. Dieser Teil ist eine Hymne auf den ANC und seine politischen Ziele und Arbeitsweisen, die nur verständlich sind, wenn man die Hintergründe kennt: 1910 gegründet, wandelte sich die gewaltfreie Haltung der Organisation zu Beginn der 60er-Jahre in eine militante, nachdem die gewaltfreien Aktionen keinen Erfolg gegen die Unterdrückung gehabt hatten. Nelson Mandela wird mehrmals erwähnt. Er war bis zu seiner Inhaftierung 1962 der populärste und wichtigste ANC-Politiker.

Hauptperson dieses zweiten Akts ist ein junger Schwarzer, dessen 16-jährige Schwester bei einer Demonstration erschossen wurde und der durch die Rede des von Abdullah Ibrahim gespielten Predigers an ihrem Grab, die von den Zielen des ANC zur Befreiung des Volks handelt, zum Widerstandskämpfer wird. Die Problematik zeigt die folgende Szene: der junge Mann wird von einer Guerilla-Kämpferin auf der einen, von seiner Geliebten auf der anderen Seite an der Hand gehalten. Die Geliebte bricht nach seinem Entschluss weinend zusammen. Die Szene wirkt nicht im Geringsten klischeehaft, wenn man die südafrikanische Wirklichkeit bedenkt.

Es folgt die Schilderung seiner Ausbildung in einem ANC-Lager – mit Ibrahim als Karatekämpfer, eine sehr persönliche Szene, denn er ist tatsächlich ausgebildeter Karatekämpfer – und schließlich sein Tod bei einem Banküberfall. Sein Tod fällt mit einem Neubeginn zusammen: ein politisch unbedarfter schwarzer Bankangestellter, der schikaniert wird und mit seiner lakaienhaften Arbeit nicht mal das Existenzminimum verdient, findet ein ANC-Parteiprogramm, liest es und stößt – als Einziger, der die Kugeln der Polizei überlebt – mit erhobener Faust den Freiheitsruf »Armandla« aus.

Ende der Handlung. Zuletzt ein Solo von Autor und Pianist Ibrahim, »Tulu Dubula«: »Es ist vorbei mit den Lügen, in der Abenddämmerung der Stadt tönen die Lieder der aufkeimenden Freiheit, die Rassisten und ihre Marionetten sind des Todes.« Und ein Finale, das überschäumende Hoffnung ausstrahlt, dass der Kampf gegen die Unterdrücker eines Tages Erfolg haben wird.

Vom künstlerischen her war die Inszenierung enttäuschend, wirkte schlecht vorbereitet und erreichte selten die Qualität, die man von Abdullah Ibrahim gewohnt ist. Der musikalische Teil der Oper war nicht so wichtig und soll’s auch hier nicht sein. Bezeichnend für die Haltung des Publikums mag sein, dass die wenigen stimmungsvollen Stücke rauschenden Beifall bekamen, die Agitprop-Szenen nicht. Aber vielleicht waren manchem die schönen Tänzerinnen und Tänzer ein Ersatz für das weitgehend fehlende Soundprogramm, das der beliebte Jazzer Ibrahim sonst anbietet.

Die Vermeidung zweier technischer Fehler wäre wichtig gewesen: die Texte, die Ibrahim zur Erklärung sprach, hätten von einem deutschen Sprecher übersetzt werden müssen, und zweitens fehlte der Bezug zu West-Deutsch­land. Mit einem derart wichtigen politischen Inhalt, der eben nicht nur Südafrika betrifft, dürfte man einem Zuschauer in einem fremden Land nicht die Möglichkeit geben, zu sagen, das alles tut uns sehr leid, aber was können wir dafür? Die Möglichkeit zur Distanz gibt die »Kalahari Liberation Oper« leider, obwohl es diese politische Distanz nicht gibt. Das wird deutlich, wenn man die wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen Südafrika und dem Wes­ten betrachtet: »Müssten die Industrien des Westens auf Südafrikas Mineralien verzichten, kämen sie zum Stillstand oder wären auf die Lieferfähigkeit der Sowjetunion angewiesen«, stand in der Süddeutschen Zeitung vom 18.6.1981. Und etwa zur gleichen Zeit stellte ein US-Son­derkomitee fest, »dass der strategische Wert Südafrikas für den Westen von ähnlichem Rang ist wie der der Ölgebiete des Mittleren Ostens.«

In einem Gespräch erklärte mir einer der Musiker, warum die politische Bedeutung wichtiger ist als die künstlerische Perfektion: »Ich war vor kurzem einige Monate in Südafrika, niemand kann sich vorstellen, was da los ist. Selbst für mich war es nicht fassbar, obwohl ich in Amerika kennengelernt habe, was Rassismus ist.«

Das Bayerische Fernsehen hat die Brisanz erkannt und verweigerte jegliche Berichterstattung mit der Begründung »Zeitmangel«, ohne im Brief an den Veranstalter den wahren Hintergrund zu verbergen.

Blatt, November 1982

The Boy Named Sue

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