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A BOY NAMED SUE UND ANDERE MÄDCHEN

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Ob Johnny Cash wusste, dass er neben Elvis, James Dean und Marlon Brando zu den beliebtesten Ikonen lesbischer Frauen gehörte? Ja. Erzählte jedenfalls der Trash-Filmer John Waters. Eines Tages habe er die Gelegenheit gehabt, Cash zu erzählen, dass er eine Weile in einer Bar in Baltimore herumgehangen hätte, in der »viele Frauen aussahen wie Johnny Cash.«

Damit beginnt die lesbische Journalistin Teresa Ortega ihren Artikel »Johnny Cash as Lesbian Icon«, einer der schönsten und der überraschendste Artikel in dem Berg, den ich jetzt gelesen habe. Für die 1964 geborene Ortega waren es natürlich die Gefängnis-Alben, die Cash zu ihrer Ikone machten. Was die Attraktion bewirkte, waren sein Aussehen, die dunkle, uniformhafte Kleidung, seine zugleich menschenfreundliche und gefährliche Aura. Sein Touch von Einsamkeit habe ihrem Gefühl entsprochen, in einer sexuell verkehrten und autoritären Gesellschaft allein und verloren zu sein. In einer Zeit, in der ein lesbisches Mädchen weder im Fernsehen noch sonstwo in der Öffentlichkeit passende Leitbilder habe entdecken können, sei Cash ein Star gewesen, der zum Rollenmodell getaugt habe.

Es war für Teresa Ortega die Entdeckung des großartigen Gefühls, nicht der einzige Außenseiter auf der Welt zu sein. Und dass es sogar einen gab, der groß und berühmt war und sogar, perfekt getarnt sozusagen, von den vielen Normalen geliebt wurde! Cashs Anti-Star-Outfit habe ihrem Wunsch nach einer Kleiderordnung entsprochen, in der ein Boy-Girl oder eine lesbische Frau nicht weiter auffiel; der Hang zur Uniform als Parallele zur homosexuellen Sehnsucht nach Glamour.

Cashs Image des Außenseiters war attraktiv für andere Außenseiter. Und er ging persönlich dorthin, wo sie waren, in die Gefängnisse. Er sah aus wie einer von ihnen, und das passte zu Ortegas Gefühl, als homosexueller Mensch in einem Gefängnis zu sitzen und obendrein der falschen Kleiderordnung unterworfen zu sein. Sie empfand Cash als einen »mysterious, sexy, perverse man« mit einem »dangerous appeal.«

Eine besondere Anziehungskraft hatte der Song »A Boy Named Sue« von Shel Silverstein. Eine bizarre, üble, witzige Geschichte. Ein Vater nennt seinen Sohn, bevor er die Familie verlässt, Sue. Und deswegen singt Sue »I had to fight my whole life through«, er muss ständig von einer Stadt zur anderen, so schämt er sich für seinen Namen, bis er nur noch den Wunsch hat, den Mann, der ihm den Namen Sue verpasste, zu töten. Schließlich findet er den Hund, und zu Cashs Gebrüll lachen sich die Gefangenen beim Konzert in San Quentin kaputt: »My name is Sue! How do you do! Now you gonna die!« Es kommt zum Kampf und dabei schneidet ihm der Alte auch noch ein Stück vom Ohr ab, »but I busted a chair right across his teeth«, und dann hat Sue den Revolver schneller zur Hand als sein Vater. Der ihm die Sache nun erklärt: Weil er ihn in einer harten Welt allein lassen musste, gab er ihm diesen Namen, der ihn entweder hart genug machen oder ihn damit untergehen lassen würde. Dann gibt er Sue das Recht, ihn zu töten. Am Ende die Versöhnung.4 Und Sue schwört, sollte er je einen Sohn haben, ihn Bill oder George oder sonstwie zu nennen, aber niemals Sue.

Tomboy Ortega konnte mit dem Song und seiner Live-Aufnahme erleben, dass die Geschichte nicht nur speziell zu ihr zu sprechen schien – schließlich fühlte sie sich wie A Boy named Teresa – sondern sogar die Country- und Pop-Charts stürmte. Aber was fühlten eigentlich andere bei dem Lied? Konnte es sein, dass es für sie »nothing but a goddam joke« war?!5

Aus: The Beast In Me – Johnny Cash und die seltsame

und schöne Welt der Countrymusik.

Kunstmann, München 2002

The Boy Named Sue

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