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EINLEITUNG

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Die Sozialgestalt der Kirche ist radikalen Veränderungen unterworfen. Ihre Glaubwürdigkeit steht auf dem Prüfstand. Die Aufarbeitung von Missbrauch und schuldhaftem Verhalten nimmt viel Energie in Anspruch. Kirchenaustritte, der Rückgang des sonntäglichen Gottesdienstbesuchs und des Sakramentenempfangs sowie das spürbare Misstrauen in die Kirchenleitung sind Fakten, die sich nicht wegdiskutieren lassen. Andererseits sind in neuerer Zeit viele neue geistliche Bewegungen entstanden, eine noch immer treue Schar ehrenamtlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist zu verzeichnen, eine starke Solidarität in der Aufnahme und Betreuung der vor Kriegen und Terror geflüchteten Menschen, die bei uns eine neue Heimat suchen, gibt Hoffnung. Die Zahl der Ehrenamtlichen hat sich ebenso erhöht wie die Anzahl der Kräfte im Sozialbereich und die Bereitschaft, in der Caritas mitzuwirken. Die Bereitschaft zur Mitverantwortung im organisatorischen Bereich ist ebenfalls stabil. Die Entwicklung der letzten 50 Jahre nach dem Zweiten Vatikanum hat viel Positives und Erfreuliches aufzuweisen. Trotzdem ist es auch ein Zeichen der Zeit, dass die Zahl der Berufungen zum Priester- und Ordensberuf trotz intensiver Gebetsaufrufe weiter im Schrumpfen ist. Auch die sozialen Orden verzeichnen stark zurückgegangene Zahlen, sodass so manche Dienste, wie sie z. B. in den Ordensspitälern geleistet wurden, heute selbstverständlich von Laienkräften erbracht werden. Die Zahl der Berufungen zum Ständigen Diakonat ist hingegen stark gestiegen.

Es ist eine sehr erfreuliche Tatsache, dass sich so viele bewährte Männer zum Diakonat berufen fühlten und ihre Kräfte und Charismen in diesem Dienstamt einbrachten und einbringen. Innerhalb der ersten 50 Jahre ist die Zahl der Berufungen zum Diakonat österreichweit auf über 750 aktive Ständige Diakone angewachsen. Wenn auch derzeit leider nur auf Männer beschränkt, hat sich hier ein ursprünglich aus der Not der Missionsländer neu eingeführtes Dienstamt bei uns entfaltet und ist in den Diözesen zu einem fixen Bestandteil des pastoralen Personals geworden. Umgelegt auf die Anzahl der Pfarren ist – unbemerkt und sehr erfreulich – in jeder vierten Pfarre ein Ständiger Diakon tätig und prägt das Leben der Pfarre diakonal mit. Die Entwicklung des Ständigen Diakonats in Österreich und in der Weltkirche seit der Wiedererweckung dieses Dienstamtes in den letzten 50 Jahren ist Gegenstand der ersten Kapitel dieses Buches.

Ich war persönlich schon sehr früh durch meinen Beruf als Sekretär von Weihbischof Florian Kuntner mit der Entwicklung und Begleitung des neuen Dienstamtes konfrontiert und wurde von ihm vor dreiunddreißig Jahren zum Diakon geweiht. So ist es mir ein Anliegen, die Anfänge des Diakonats in Österreich zu dokumentieren. Von Kardinal Schönborn im Jahr 2003 als Leiter des Diakoneninstituts der Erzdiözese Wien berufen, durfte ich die wachsende Gruppe von Ständigen Diakonen im Auftrag des Bischofs begleiten und die Aus- und Weiterbildung gemeinsam mit meinem Freund und Kollegen, Ausbildungsleiter Mag. Johannes Fichtenbauer, mitgestalten. Meine Aufgabe sah ich darin, der wachsenden Gruppe von Ständigen Diakonen Unterstützung und Begleitung anzubieten, damit diese in den Pfarren und in kategorialen Bereichen ihren diakonalen Dienst gut und mit Freude wahrnehmen konnten. Österreichweit war ich durch Weihbischof Florian Kuntner schon 1988 in die Erstellung und Ausformulierung der ersten Österreichischen Rahmenordnung eingebunden und darf nun schon einige Jahre als Leiter der Arbeitsgemeinschaft der Diakone Österreichs die Kontakte unter den Diözesen koordinieren. So habe ich mit allen von der Bischofskonferenz für den Ständigen Diakonat berufenen Referatsbischöfen zusammengearbeitet und konnte hiermit wie ein Brückenkopf zwischen den Vertretern der Diakone und den zuständigen Bischöfen vermitteln.

Am 22. Dezember 2019 wird das 50. Jahr seit der ersten Weihe eines Ständigen Diakons in Österreich eingeläutet. Aus diesem Anlass möchte ich meine langjährigen Erfahrungen als Diakon und als Sprecher der Ständigen Diakone Österreichs einbringen und sie allen sich in der Ausbildung befindlichen Kandidaten, ihren Familien, den Seelsorgerinnen und Seelsorgern in den Pfarren und in den verschiedenen Bereichen der Gemeinde- und Sozialpastoral zur Verfügung stellen.

So gehe ich in Demut und Dankbarkeit an den Versuch, ein lebendiges Bild von den vielen, oft in Stille und Bescheidenheit wirkenden Mitbrüdern ins Licht zu stellen und aufzuzeigen, welcher Schatz an kreativer Mitwirkung durch den Ständigen Diakonat als Teil des Klerus vom Konzil gehoben wurde. Die im Konzil festgelegte Neuausrichtung der Pastoral und die Präsenz der Kirche in der Gesellschaft wurden durch die Wiedererrichtung des Ständigen Diakonats verstärkt. Die aus dem Volk erwählten und zu Ständigen Diakonen geweihten Männer sind mit ihrem familiären und beruflichen Hintergrund auf der Basis ihrer Erfahrung und Kompetenz dort, wo sie stehen, und in ihren Pfarren Brückenbauer eines gelebten Glaubens. Weiterhin in ihrem Beruf tätig oder in der bereits angetretenen Pension, bringen sie ihre berufliche Kompetenz ein. Als Teil der Familie, als Ehepartner und Väter oder Großväter versuchen sie, durch ihr Zeugnis Kirche in der Lebenswelt der Menschen präsent zu machen. Durch ihre gelebte, „geerdete Spiritualität“ sind Diakone in ihrer lebenslangen Bindung im Zusammenwirken mit dem Bischof und seinem Priesterkollegium ein Weihestand, der viel familiären Geist in die Kirche einbringt und auch manche Fehlentwicklung innerhalb der Kirchengemeinschaft bewusst machen kann.

Im zweiten Teil des Buches soll die Bedeutung der doppelten Sakramentalität von Ehe und Weihe dargelegt werden, wo einerseits Erfahrungen mit dem „verheirateten Klerus“ und andererseits auch die Sicht der durch die Weihe betroffenen Ehefrauen aufgezeigt werden. Die Priester werden von der Kirche besoldet und sind sozial durch die Diözese oder den Orden abgesichert. Hier unterscheiden sich die Ständigen Diakone durch ihre weltlichen Arbeitgeber und die Eigenversorgung durch Gehalt und Pension. Durch den Kirchenbeitrag ist die Bezahlung des hauptamtlichen Personals noch gesichert, aber wie es in Zukunft sein wird – ob es weiterhin genügend Finanzen geben wird, um vor allem auch die Mittel für die notwendigen Laienkräfte sichern zu können –, bleibt offen. Da den Ständigen Diakonen nur in Form einer Aufwandsentschädigung Kosten, die aus der pastoralen Arbeit entstehen, vergütet werden, sind sie willkommene Mitarbeiter in den vielen zu leistenden sozialen und pastoralen Diensten. Die Ständigen Diakone machen durch ihr Ehrenamt der Kirche nicht nur das Geschenk ihrer beruflichen Kompetenz, sie könnten vielleicht auch ein Modell für zukünftige, vielleicht nur mehr teilzeitlich angestellte oder ehrenamtlich angestellte Priester sein.

Ein weiterer Abschnitt befasst sich mit der derzeitigen Praxis der Auswahl und der Ausbildung der Bewerber zum Ständigen Diakonat. Die Weihe von Frauen zu Ständigen Diakoninnen sollte nicht mehr lange auf sich warten lassen. Die Ordination von Frauen wird inzwischen nicht nur von Theologinnen und Theologen gefordert, sondern auch von einigen Bischöfen für möglich gehalten. Nach meiner Meinung – und der Meinung fast aller Ständigen Diakone – wäre sie zweifelsohne eine Antwort auf die Zeichen der Zeit. Das Kapitel geht im Folgenden der Frage nach, was das Besondere, die Identität des Diakons und seine gelebte Spiritualität ausmacht.

In den folgenden Abschnitten wird – ausgehend von der derzeitigen Struktur von Pfarren und anderen gemeinschaftlichen sozialen Gefügen – aufgezeigt, welchen Stellenwert ein „diakonischer“ Schwerpunkt für die Lebendigkeit und Anziehungskraft der Kirche haben kann. Eigentlich ist es zu wenig, von einer diakonischen Ausrichtung der Kirche zu sprechen – die Kirche selbst ist „Diakonie“, das heißt Zeichen und Sakrament der Liebe Gottes. Als Ausblick auf die weitere Entwicklung des erst 50 Jahre jungen Ständigen Diakonats kommen u. a. Personen zu Wort, die eine Vision für einen Diakonat der Zukunft haben. Dazu gehört wesentlich, was Papst Franziskus der diakonischen Kirche mit auf den Weg gibt.

Als roten Faden für die Dokumentation der Geschichte, die Reflexion der Entwicklung und die Ausgestaltung des Ständigen Diakonats in Österreich und der Weltkirche habe ich das Bild der versickerten Quelle gewählt. Das Verschwinden des Ständigen Diakonats im fünften Jahrhundert und die Neuentdeckung dieser Quelle durch das Zweite Vatikanum ist für mich ein ermutigendes Bild für die Entwicklung des Diakonats in der Kirche heute. Gerade in Zeiten, in denen der Klimawandel neue Wüsten entstehen lässt und die Menschen zur Schöpfungsverantwortung aufgerufen sind, sind wir eingeladen, den geistlichen Quellen nachzugehen, diese für die Gegenwart zusammenfließen zu lassen und fruchtbar zu machen. Das Wiederentdecken dieser Quellen ist wesentlich für eine Kirche, die nicht nur für sich selbst sorgt, sondern ihren Auftrag des Hineinwirkens in die Gesellschaft erfüllt. Dazu braucht es einen klaren Blick auf das, was diese neu entdeckte Quelle fruchtbar machte und wodurch sie neu lebendig werden kann. Das Bild der Quelle bietet sich an, um Gewachsenes zu dokumentieren, Vorhandenes zu reflektieren und Richtung und Wege in die Zukunft aufzuzeigen.

Das Zeugnis für die Lebendigkeit dieser Quelle verdanke ich den vielen Begegnungen mit meinen Mitbrüdern im Diakonat und deren Familien, den Bischöfen und Priestern, die mich auf diesem Weg begleitet haben. Ich danke den Freunden und Familien, denen ich als Diakon auf dem Weg des Glaubens und in der Vorbereitung und Feier der Sakramente die liebende Zuwendung Gottes vermitteln durfte. Ich danke meinen Mitbrüdern aus den Diözesen Österreichs und im deutschsprachigen Raum, mit denen ich im Austausch beschenkt und motiviert wurde, meine Erfahrungen wie Quellwasser zu sammeln und sie Freunden und auch Kritikern des Diakonats in Buchform zur Verfügung zu stellen. Ermutigt erlebe ich mich durch das lebendige Beispiel und das diakonale Wirken von Papst Franziskus, dem es ein Herzensanliegen ist, die innere Not der Menschen in der heutigen Zeit aufzudecken und seine Mitarbeiter im pastoralen Dienst für ein persönliches Verschenken ihrer selbst als Zeugen der selbstlosen Liebe Gottes zu motivieren. Was könnte besser für unseren Dienst werben als sein Beispiel, als er als Papst bei der Fußwaschung an jungen Menschen im Gefängnis die Diakonenstola als „Wahrzeichen“ trug? Dieser Rückenwind durch Papst Franziskus ermutigt mich und viele Diakone, unsere Erfahrungen und Visionen von einer diakonalen Kirche mit anderen zu teilen.

Besonders danke ich meiner Frau Maria für ihre liebevolle und wachsame Unterstützung und wertschätzend-kritische Ermutigung, meinem Freund P. Franz Weber, Pastoraltheologe und Bischöflicher Beauftragter für die Diakone in der Diözese Innsbruck, für seine kompetente Begleitung und Beratung, für die theologische und pastorale Fundierung, die Erfahrungen, Einsichten und visionären Anfragen in seinem Schlusskapitel. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Tyrolia-Verlags danke ich für die professionelle Umsetzung des Projekts.

Wiener Neustadt, Pfingsten 2019 Diakon Franz Ferstl

* Wegen der einheitlichen Schreibweise findet sich in den hier zitierten Textauszügen der Werke und Dokumente, die vor 2006 entstanden sind, die neue Rechtschreibordnung.

Im Dienst der Zuversicht

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