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2. Lösungsvorschläge

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Wie die gerade dargestellten Beispiele zeigen, ist die vom BVerwG vertretene Auffassung nicht zwingend. Deshalb ist bereits früh der Versuch unternommen worden, die Unterscheidung zwischen unbestimmtem Rechtsbegriff und Ermessen durch ein „umfassendes Ermessen“ zu ersetzen. Diese Lehre geht davon aus, auch die Ermessensausübung habe sich am Gesetzeszweck zu orientieren. Es könne immer nur eine Entscheidung zweckentsprechend sein. Diese Entscheidung müsse die Behörde treffen. Die Verwaltungsgerichte könnten die getroffene Entscheidung auf ihre Rechtmäßigkeit hin voll überprüfen[85]. Diese Lehre, die im Ergebnis die Differenzierung zwischen unbestimmtem Rechtsbegriff und Ermessen aufhebt, hat sich nicht durchgesetzt. Sie soll den Besonderheiten einer „generellen Ermessensausübung“ nicht gerecht werden[86].

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Es mehren sich die Stimmen, die für die Aufhebung des Unterschieds zwischen unbestimmtem Rechtsbegriff und Ermessensermächtigung eintreten. Eine hM hat sich freilich noch nicht bilden können. Insoweit bleibt die Entwicklung abzuwarten. Hierbei ist der wesentliche Grund für die Diskussion über die Aufhebung der Differenzierung zwischen unbestimmtem Rechtsbegriff und Ermessen nicht aus den Augen zu verlieren: Es geht um die Kompetenzabgrenzung von Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit. Je mehr „Ermessen“ eingeräumt wird, desto größer der Bereich, der gerichtlich nur noch eingeschränkt kontrolliert wird. Auf diese Weise kann die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG unterlaufen werden.

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Lösung zu Fall 4 (Rn 189):

Nach der polizeirechtlichen Generalklausel besitzt die Polizei bei Vorliegen einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit Entschließungs- und Auswahlermessen. Die Körperverletzungen des zu Boden Gegangenen stellen rechtlich einen Schaden für die öffentliche Sicherheit dar. Damit sind die Voraussetzungen für ein Einschreiten nach der polizeilichen Generalklausel erfüllt. Diese eröffnet jedoch Ermessen. Einschreiten muss P nur dann, wenn Ermessensreduzierung auf Null vorliegt. Nach hM ist eine Ermessensreduzierung auf Null gegeben bei Vorliegen einer Gefahr für Leib oder Leben. P muss deshalb handeln. Dies bezieht sich zunächst auf das Entschließungsermessen, also die Frage, ob eingeschritten wird. Hiervon zu unterscheiden ist die Frage des Auswahlermessens. Dieses richtet sich nach dem Zweck der Gefahrenabwehr und nach dem zur Erreichung dieses Zwecks Möglichen und Zumutbaren. So kann je nach den Einzelfallumständen eine ermahnende Gefährderansprache oder ein „physisches“ Einschreiten erforderlich sein.

Ausbildungsliteratur:

Beaucamp, Ermessen der Verwaltung, JA 2006, 74; ders., „Die misslungene Hausarbeit“, JA 2019, 203 (Semesterabschlussklausur zum Beurteilungsspielraum bei Prüfungen); Friedrich, „Befreiung von der Helmpflicht aus religiösen Gründen“, AL (Ad Legendum) 2018, 277 (Fallbearbeitung zur Ermessensreduzierung); Kment/Vorwalter, Beurteilungsspielraum und Ermessen, JuS 2015, 193; Martini/Finkenzeller, Die Abwägungsfehlerlehre, JuS 2012, 126; Muckel, Baurechtliche Ordnungsverfügung auf Beseitigung eines illegal errichteten Vorhabens, JA 2018, 157 (zum intendierten Ermessen); Schoch, Das verwaltungsbehördliche Ermessen, JURA 2004, 462; ders., Der unbestimmte Rechtsbegriff im Verwaltungsrecht, JURA 2004, 612; Voßkuhle, Entscheidungsspielräume der Verwaltung, JuS 2008, 117.

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