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III. Typische verwaltungsrechtliche Fragestellungen

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Eine normale verwaltungsrechtliche Klausur als

Ausgangsfall:

Familie A hat Zwillinge bekommen. Sie benötigt deshalb mehr Wohnraum. Herr A ist der Auffassung, er könne das Familienheim ohne behördliche Genehmigung um zwei Zimmer erweitern. Er lässt die Zimmer bauen. Durch Zufall erfährt das zuständige Bauordnungsamt von dem Anbau. Es gebietet Herrn A den Abriss des Anbaus, weil Herr A keine Baugenehmigung besitze. Herr A ist empört und möchte den behördlichen Bescheid aus der Welt schaffen. Auf Anraten seines Anwalts erhebt er Klage vor dem zuständigen Verwaltungsgericht. Hat die Klage des A Aussicht auf Erfolg?

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Diese Klausur ist insofern eine typische verwaltungsrechtliche Klausur, als sie zwei Grundfragestellungen enthält: eine prozessuale und eine materiell-rechtliche Frage[6]. Die prozessuale Fragestellung lautet: Liegen die Voraussetzungen für eine Sachentscheidung des Gerichts vor? Die materiell-rechtliche Frage lautet: Ist die Verfügung der Behörde rechtmäßig? Die Verknüpfung von prozessrechtlichen und materiell-rechtlichen Fragen kennzeichnet verwaltungsrechtliche Klausuren und Hausarbeiten ebenso wie verfassungsrechtliche[7]. Nicht immer erwartet eine Klausur die Bearbeitung beider Fragen. Es ist auch möglich und in der Klausurpraxis des öffentlichen Rechts nicht unüblich, lediglich die Antwort auf die materiell-rechtliche Frage als Aufgabe zu stellen – typischerweise ist dieses im Privatrecht und im Strafrecht der Fall. Manchmal beschränken sich verwaltungsrechtliche Klausuren auch allein auf die Lösung eines materiell-rechtlichen Problems. Ganz selten erschöpfen sich Klausuren auch im Aufwerfen verwaltungsprozessualer Probleme[8].

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Dieses Buch behandelt ausschließlich die materiell-rechtlichen Fragen der durch den Ausgangsfall aufgeworfenen Probleme, soweit diese dem Allgemeinen Verwaltungsrecht zugehören – die prozessuale Seite wird in einem anderen Buch dargestellt: in einem verwaltungsprozessrechtlichen Lehrbuch dieser Reihe[9]. Die Trennung zwischen der prozessualen Seite und der materiell-rechtlichen Seite ist typisch und wird hier beibehalten. Freilich werden so oft wie möglich Hinweise auf das Prozessrecht gegeben.

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Die materiell-rechtliche Seite des Ausgangsfalls wirft typische verwaltungsrechtliche Fragen auf: Es ist von einer Behörde die Rede – was ist eine Behörde und wie stellt sich der Behördenaufbau der Bundesrepublik dar? A hat ohne Baugenehmigung gebaut – was ist eine Genehmigung und benötigt er eine? Die Behörde hat den Abriss ohne Anhörung des A verfügt – hat A Anhörungsrechte? Ist die Abrissverfügung überhaupt rechtmäßig – was ist die Voraussetzungen für ein rechtmäßiges Gebot? Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang das Verfassungsrecht?

Die „klassische“ verwaltungsrechtliche Fragestellung – diejenige, die das Verwaltungsrecht strukturell vom Bürgerlichen Recht unterscheidet – lautet: Hat die Behörde rechtmäßig gehandelt? Die Rechtmäßigkeitsfrage ist die „besondere“ Frage des Verwaltungsrechts.

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Eine Abwandlung des Ausgangsfalls führt zu einem weiteren Problem:

A beantragt die Genehmigung für den Anbau, erhält sie indes erst nach zwei Jahren. Die Behörde verteidigt sich mit Arbeitsüberlastung. In der Zwischenzeit sind die Baupreise erheblich gestiegen. A meint, die behördliche Prüfung hätte innerhalb eines halben Jahres erfolgen können. Er verlangt Schadenersatz in Höhe der Baupreissteigerung der letzten eineinhalb Jahre. Hat er einen Anspruch auf Schadenersatz?

Diese Fragestellung entspricht der typischen privatrechtlichen Fragestellung: Wer kann was von wem woraus verlangen? Das angesprochene Problem ist aber ein öffentlich-rechtliches: Behörden unterliegen einem speziellen öffentlich-rechtlichen Haftungsregime. Auch die spezifisch privatrechtliche Fragestellung besitzt also im öffentlichen Recht Bedeutung.

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Eine letzte Abwandlung soll eine weitere verwaltungsrechtliche Fragestellung verdeutlichen:

Die Klage des A vor dem Verwaltungsgericht gegen die Abrissverfügung bleibe erfolglos. A kommt dem behördlichen Verlangen auf Abriss nicht nach. Die Behörde droht, sie werde nach Ablauf einer Frist den Bauunternehmer Schredder mit dem Abriss beauftragen. A unternimmt nichts. Nach Fristablauf bringt Schredder entsprechend einem behördlichen Auftrag die Abrissbirne zum Einsatz. Durfte die Behörde in dieser Weise vorgehen?

Dieses Beispiel demonstriert den Fragenkomplex, der sich beim praktischen Vollzug von behördlichen Entscheidungen stellt. Dieser Bereich wird „Vollstreckung“ genannt. Sie gibt es nicht nur im Bereich des Privatrechts – in der Person des Gerichtsvollziehers, der den „Kuckuck“ klebt, oder in Form der Zwangsversteigerung eines Grundstücks –, sondern auch im Verwaltungsrecht.

Teil I Grundlagen§ 1 Einführung in das Verwaltungsrecht › IV. Der Aufbau des Buchs

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