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Wie die Luftballone des Mittelalters entstanden.
ОглавлениеWenn einmal eine Luftschiffzeitung, wie dies andere Fachblätter schon seit Jahren tun, eine Aprilnummer herausgeben würde, möchte sich da ein Artikel „Wie man im alten Rom den Drachen steigen ließ“ oder „Wie man im Mittelalter dem Aufstieg eines Luftballons zusah“ nicht gut ausnehmen?
Gemach! Auch der scheinbar größte Widersinn wird unter der kritischen Betrachtung des Geschichtsforschers leicht aufgeklärt. Tatsächlich kannte man im alten Rom so etwas wie den Luftdrachen und im Mittelalter etwas ähnliches wie den heute im Kriege wohlbekannten, wurstförmigen Fesselballon von Parseval.
Der sagenhafte Drache galt für eine riesige Schlange. Die Römer lernten von fremden Völkern ein „Drachen“-Feldzeichen kennen, das auf einer Stange getragen wurde. Es hatte einen metallenen, weit aufgesperrten Rachen und einen aus Fellen zusammengenähten, schlangenartigen Leib. Wenn der Wind in den offenen Rachen dieses Drachenfeldzeichens blies, wand sich der Leib so, als sei das Tier lebendig. Auf der berühmten Trajanssäule in Rom werden diese Drachenfeldzeichen mehrere Male deutlich abgebildet, und sie sind uns auch von einigen Schriftstellern der Römer klar beschrieben. Auch wissen wir, daß diese Drachen später von den Persern und gar den Indern ins Feld mitgeführt wurden.
Deutsche Ritter im 9. Jahrhundert auf nächtlichem Kriegszug —
Der Spitzenreiter trägt ein Drachenfeldzeichen vorauf,
das einen Feuerbrand im Rachen hält.
Die hier abgebildete Malerei eines Drachens stammt aus einer überaus wertvollen Handschrift der Bibliothek in St. Gallen, und zeigt einen deutschen Ritter, der seiner Truppe einen Drachen voraufträgt. Auffallend ist an dieser Malerei, daß der Drache Feuer speit. Man gab also dem Feldzeichen, um es bei Nacht sichtbar zu machen, einen Feuerwerkskörper ins Maul.
Hierbei mußte sich die an sich einfache Tatsache zeigen, daß der ganze Drache leichter wurde, und mit seinem hohlen Leib nach oben hin strebte; wurde doch die Luft in dem sackförmigen Leib erwärmt, als sei dies ein Luftballon. Wann und wo man diese Tatsache beobachtete, ist nicht erwiesen. Außer unserer, oben wiedergegebenen Malerei, die etwa aus dem Jahre 850 stammt, wissen wir, daß die Chinesen im Jahre 1232 einen Feuerdrachen aufsteigen ließen. Auch aus der berühmten Mongolenschlacht von Wahlstatt bei Liegnitz, am 9. April 1241, wissen wir durch den Chronisten, daß die Mongolen einen Feuerdrachen benutzten, um die Christen zu erschrecken.
Diese Feuerdrachen auf Stangen wurden im Lauf der Zeit von den Kriegstechnikern so verbessert, daß sie als Luftballone frei schwebten. Wann und durch wen das geschah, wissen wir leider noch nicht.
Als ich meine Ansicht von den Luftballonen im Mittelalter vor etwa zehn Jahren zum erstenmal in der Fachpresse aussprach, wurde ich verlacht. Inzwischen konnte ich soviel Belege für das Vorkommen dieser Luftflugzeuge beibringen, daß auch die ärgsten Zweifler verstummt sind. Hier kann ich nur andeuten, daß sich Darstellungen und Beschreibungen solcher Luftdrachen in der Zeit von 1405 bis 1648 an vielen Stellen fanden.
Die wichtigste Stelle findet sich bei dem süddeutschen Kriegsingenieur Konrad Kyeser von Eichstädt, von dem wir noch mehr hören und sehen werden.
Zwei Seiten aus der kriegstechnischen Handschrift des Ingenieurs Konrad
Kyeser von Eichstädt aus dem Jahr 1405. Rechts der Drachenballon am
Fesselseil. Links oben die Petroleumlampe zum Drachenballon. Unten ein
Krieger, der eine Büchse mittels des Gluteisens abschießt.
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GRÖSSERE ANSICHT
Zu der hier wiedergegebenen, äußerst feinen Miniaturmalerei, die uns einen Reiter zeigt, der an einer kleinen Winde einen riesigen Drachen freischwebend lenkt, berichtet uns Kyeser genau über die Herstellung und den Auftrieb: Der Drache soll aus Pergament, Leinen und Seide angefertigt und bunt bemalt werden. In dem offenen Maul trage der Drache ein kleines Glas, das mit Petroleum gefüllt und mit einem baumwollenen Docht versehen sei.
Militärischer Signalballon um 1540 mit Winde und Fesselseil.
Der Drachenballon ist mit 2 Stabilisierungsflächen und Steuerschwanz
versehen. Im Maul trägt er die — übertrieben gezeichnete —
brennende Lampe zur Erhitzung der Luft im Innern. Nach einer
Malerei in Codex german. fol. 94 der Königlichen Bibliothek
zu Berlin.
Die Petroleumlampe wird also die im Drachen eingeschlossene Luft erwärmen, und den Drachen schwebend erhalten. Da er an einer Schnur festgehalten wird, wird auch der Wind gegen seine Fläche blasen, und ihn, gleich unsern Kinderdrachen emporheben. Die Warmluftfüllung wurde zu den Luftballonen auch angewandt, als man diese im Jahre 1782 in Frankreich wieder aufs neue erfand. Erst später ging man zur Gasfüllung über.
In den verschiedenen Malereien, die ich in späteren Handschriften von solchen Kriegsdrachen entdeckte, finden sich immer wieder neue Verbesserungen. Besonders wichtig sind größere Flügel, die man seitlich am Leib des Drachens anbrachte. Sie dienen dazu, das Fahrzeug in der Luft ruhig zu erhalten, oder wie wir heute sagen, zu stabilisieren. Dann finden sich Raketen auf dem Rücken des Drachens so angebracht, daß ihre Gase nach hinten hin gewaltsam ausströmen, mithin den Drachen in der Luft vorwärtsbewegen. In zwei Handschriften fand ich den Drachen so groß dargestellt, daß sein Seil an einer in die Erde gerammten Winde gehalten werden mußte.
Ja, es muß damals sogar schon einen Streit der Meinung über das „unstarre“ und das „starre“ System gegeben haben; denn in einer Handschrift vom Jahre 1453, die sich im Besitz des Großen Generalstabes zu Berlin befindet, ist der Drache mit einem großen, walzenförmigen Leib dargestellt, der ersichtlich durch innere Reifen aufgespreizt wird, sodaß annähernd die Form eines „Zeppelin“ herauskommt.
Wie das meiste Wissen der Kriegstechnik, blieb auch dieses ein Geheimnis der Kriegsingenieure. Deshalb finden wir in der gedruckten Literatur nur verhältnismäßig spät Angaben über hohle Drachen mit innenstehenden Lampen. Und wo man solche Bemerkungen ums Jahr 1650 gedruckt findet, läßt sich aus den dürren Worten entnehmen, daß man die Bedeutung dieser Luftdrachen längst nicht mehr kannte.
Starrer Warmluftballon, 1453.
Der Zeichner, der diese rohe Darstellung ausführte, verstand nicht
den Sinn der Darstellung und ließ daher das Seil zwischen Winde
und Drachen weg. Dafür mußte er der Winde — man vergleiche
deren Form in der voraufgehenden Abbildung — eine riesige
Abmessung geben.
Unzweifelhaft wußten aber die Kriegsingenieure des ausgehenden Mittelalters, daß man einen gewöhnlichen Drachen hohl gestalten und ihn mit Hülfe der Wärme eines Lichtes leichter steigen lassen konnte. Sie bezweckten mit diesem Drachen wohl die Durchführung von Signalen auf weit sichtbare Entfernungen.
Beachten wir, daß auch der Parsevalsche Drachenballon durch Winddruck und leichte Füllung zugleich steigt, daß er, wie die Ballone des Mittelalters, einen Steuerschwanz, Stabilisierungsflächen, ein Halteseil und eine Erdwinde benötigt.