Читать книгу Katathym Imaginative Psychotherapie mit Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen - Franz Wienand - Страница 12

2.2 Wie wirkt die KIP?

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Hinweise auf die heilsame Wirkung innerer Bilder finden wir ganz allgemein in Religion, Literatur, Kunst und Psychotherapie, die naturwissenschaftliche Basis dazu liefern Erkenntnisse der Neurowissenschaften (z. B. Hüther, 2015; Bauer, 2002).

Als Medizinstudent arbeitete Leuner während des Krieges in einer Kaserne. In der Rückschau wertete er diese Arbeit, verbunden mit der Möglichkeit, viel zu lesen und sich mit der Tiefenpsychologie zu beschäftigen, als seine wirklichen Lehrjahre (AGKB, 2019). Als Ergebnis der oben beschriebenen experimentellen Untersuchungen ( Kap. 1) und zahlreicher Patientenbehandlungen formulierte Leuner (1985) drei spezifische Wirkfaktoren der KIP, die bis heute den therapeutischen Schwerpunkt bilden:

• Konfliktdarstellung und Bearbeitung auf der Bildebene: In der Imagination werden die abgewehrten und unbewusst wirksamen Konflikte aktualisiert und dadurch einer Bearbeitung zugänglich gemacht. Der Therapeut nutzt ein breites Repertoire an therapeutischen Interventionen bis hin zur Symbolkonfrontation, um den Patienten zu unterstützen (sog. »erste Dimension« der KIP). Sein wichtigstes Instrument ist das Motiv. »Durch die Motivvorgabe angeregt und durch die therapeutische Situation ausgelöst, vollzieht sich aufgrund einer autonomen psychischen Dynamik eine Fokussierung konflikthafter Prozesse in Form plastisch erlebter Symbolisierungen mit hoher affektiver Intensität und immer wieder bestätigter Evidenz. Symbolisch verhüllt und/oder symbolhaft selbstenthüllend treten die in der therapeutischen Dyade wiederbelebten Beziehungswünsche, die Abwehrmechanismen, aber auch die Ich-Stärken und Regulationsfähigkeiten ›vor Augen‹« (Bahrke & Nohr, 2005, S. 8).

• Ressourcenaktivierung,insbesondere Ich- Stärkung und narzisstische Restitution durch die »Befriedigung archaischer Bedürfnisse«: Die Imagination konfliktfreier Szenen ermöglicht ein »Auftanken«, eine Regression im Dienste des Ichs und eine narzisstische Restitution. (sog. »zweite Dimension« der KIP). Eine entlastende Wirkung kann hier schon allein das Entspannen in Gegenwart des Therapeuten entfalten. Im Therapieprozess kommt es in den Imaginationen »zur Aktivierung verinnerlichter guter Objektbeziehungen oder zum erstmaligen Aufbau guter innerer Objekte. Auf diese Weise wird dann vor allem die Übertragungs-Gegenübertragungsbeziehung in die Ressourcenmobilisierung und Ressourcenbeschaffung mit einbezogen. Es kommt zu Erfahrungen von Gehalten-Sein, zum Erleben von Sicherheit und zu einer Stärkung des Selbstgefühls im Umgang mit positiven, verlässlichen und zugewandten Symbolgestalten« (Dieter, 2015, S. 64f.).

• Entfaltung der Kreativität: Im imaginativen Raum kann aggressiven und expansiven Impulsen probehandelnd begegnet werden, eigenständige Problemlösungen können gesucht und gefunden werden (Kottje-Birnbacher, 2001) (sog. »dritte Dimension« der KIP).

»Was macht gerade die Imagination zu einem besonders wirksamen Instrument in einem psychodynamischen Gesamtkonzept?« Dieser Frage ging Dieter (2015, S. 61ff.) auf den Grund und arbeitete eine Reihe von Aspekten heraus, die sich in ihrer Wirksamkeit ergänzen und teilweise gegenseitig verstärken:

• die psychophysiologische Entspannung, die mit der Intensität der erlebten inneren Bilder intensiver wird;

• »das Miterleben und Mitspielen bei einem als enorm verbindlich erlebten und selbst erschaffenen inneren Schauspiel«, das märchenhaften Charakter annehmen und Lösungen und neue Wege aufzeigen kann;

• die Begegnung mit dem individuellen und kollektiven Symbol, »mit einer vielfach determinierten Schöpfung des eigenen kreativen Unbewussten«, die bisher unzugängliches Wissen verfügbar werden lässt, sodass die Heilkraft der symbolischen Darstellung sich entfalten kann (Jung, 1949);

• die auch beim Umgang mit Imaginationen hilfreich erlebte Beziehung zu einem Therapeuten, die das symbolisch Erlebte durch die Einbettung in eine bedeutsame Objektbeziehung (Übertragungs-Gegenübertragungs-Konstellation) »wirklich« werden lässt;

• die »Anregung und Einübung neuer Erfahrungen vor dem Hintergrund eines neuen Musters von Beziehung« wie z. B. von Fürstenau (1990) für die Behandlung schwerer Persönlichkeitsstörungen beschrieben.

Einen besonderen Stellenwert schreibt Dieter dem Prinzip der Nachträglichkeit zu. Was ist damit gemeint? »Unter dem Einfluss von Übertragung und Gegenübertragung wird Vergangenes in der Gegenwart neu ›inszeniert‹. Früher erlebte konflikthafte und traumatische Erfahrungen können mit Hilfe von Imaginationen im ›Hier und Jetzt‹ zu einem besseren Ausgang geführt werden« (Dieter, 2015, S. 62). In der KIP mit Kindern und Jugendlichen kommt nicht der heute Erwachsene auf der imaginativen Ebene dem Kind zu Hilfe, sondern es geht hier eher um idealisierte Elternrepräsentanzen in unterschiedlicher symbolischer Ausgestaltung. Als hilfreiche Wesen können z. B. Tiere, Feen, Zauberer, Märchengestalten, Helden, Königinnen und Könige, weise Männer und Frauen imaginiert werden, die so in Erscheinung treten, wie das Kind es gebraucht hätte und noch braucht. Mit dem richtigen Begleiter an der Seite können Konflikte gelöst, Entwicklungshemmnisse überwunden, gute innere Objekte wiederbelebt oder neu aufgebaut und so Defizite im Sinne einer nachholenden Entwicklung aufgefüllt werden.

Für die implizite Behandlungstechnik ist das intersubjektive Verständnis des Behandlungsprozesses von besonderer Bedeutung. Die symbolische Darstellung der inneren Welt in der Imagination erfolgt immer in einem Beziehungskontext. Der Therapeut wird berührt und involviert, auf der bewussten wie auf der unbewussten Ebene. Er begleitet die Imagination des Patienten immer auch mit eigenen Imaginationen. Die Dynamik von Übertragung und Gegenübertragung und die Kommunikation der beiden Unbewussten zeigt sich besonders eindrücklich, wenn der Patient etwas imaginiert und mitteilt, an das der Therapeut gerade gedacht hat. Die Übertragungs-Gegenübertragungs-Dynamik »bildet den Rahmen für die hilfreiche Beziehung in der KIP. Der Therapeut begleitet, stellt eine ›haltende Umgebung‹ zur Verfügung, interveniert. Auf diesem Hintergrund gelingt es dem Patienten im günstigsten Fall, neue Erfahrungen mit inneren und äußeren Objektbeziehungen zu machen, auf der imaginativen Ebene neue Verhaltensoptionen zu erproben und symbolisches Erleben als Ressource zu nutzen« (Dieter, 2015, S. 63). Entscheidend sind die Reinszenierung des Vergangenen in der Gegenwart, die sog. »Szene« sowie die Konzentration auf das »Hier und Jetzt« der Übertragungsbeziehung.

Wie aber funktioniert das genau? Eine Antwort darauf findet man in dem Titel eines von Salvisberg, Stigler und Maxeiner (2000) herausgegebenen Buches: »Erfahrung träumend zur Sprache bringen«. Frühe Erfahrungen, die weder bewusst noch sprachlich fassbar sind, aber dennoch als Schemata das Denken, Fühlen und Verhalten wirksam beeinflussen, können genauso wie verdrängte Erfahrungen über sinnliches Erleben und Bilder in Sprache überführt werden. Stigler und Pokorny (2000) untersuchten in einer Einzelfallstudie anhand von Therapieprotokollen mit und ohne Imagination, welche Art von Vokabular in den verschiedenen Sequenzen benutzt wird. Den untersuchten Hypothesen lag das von Mergenthaler und Bucci (1999) postulierte 3-Phasen-Modell der therapeutischen Verständigung zugrunde: Emotionales und implizites Erleben muss aktiviert, bildlich oder narrativ übersetzt und schließlich reflektiert werden. In der Studie konnte bestätigt werden, dass in den KIP-Sitzungen mehr Primärprozess-Vokabular, mehr Emotions-Vokabular und mehr auf referentielle Aktivität hinweisendes Vokabular enthalten war als in den Sitzungen ohne Imagination (Stigler & Pokorny, 2000). Demnach entspricht die KIP dem von Mergenthaler und Bucci (1999) postulierten Modell der therapeutischen Verständigung: »Es werden emotionale und prozedurale Schemata aktiviert, diese gelangen über bildliche Szenarien zum Ausdruck und durch deren narrative Einfassung zur Mitteilung, bevor sie Gegenstand gemeinsamer Reflektion werden« (Stigler & Pokorny, 2000, S. 99). Kurz: Es geht vom inneren Erleben über das Bild zum Wort. So betont auch Ullmann (2012b) die Verbindung von Vorstellungen, Emotionen und körperlichen Vorgängen als wesentliches Wirkelement von Psychotherapie.

»In der KIP hat sich ein tiefenpsychologisches Konzept etabliert, das in der affekt- und primärprozessnahen Imagination auf regressivem Erlebnisniveau Möglichkeiten der emotionalen und kognitiven Nachreifung eröffnet. Das methodische Vorgehen stellt einen mnestischen Prozess besonderer Art dar, der im Hier und Jetzt des dialogisch begleiteten Tagtraums an frühen Beziehungserfahrungen anknüpft, Anlass zum Aufbau von neuen Gedächtnisinhalten gibt und zu strukturellen Veränderungen führt« (Ullmann, 2012b, S. 70).

Unter neurobiologischen Aspekten ist insbesondere die Neuroplastizität des Gehirns hervorzuheben. Damit ist »die Fähigkeit eines Nervensystems, sich an die Anforderungen der jeweiligen Umgebung anzupassen« (Ullmann, 2012b, S. 73) gemeint. Das Festhalten von Lernergebnissen und die Anpassung an neue Verhältnisse vollzieht sich auf der Ebene des Nervengewebes, und dies »ist die Basis für ein erfahrungsbasiertes Beurteilen und Bewältigen von Situationen, zusammen mit dem Einprägen der zugehörigen Erfolgs- und Misserfolgsgeschichte« (ebd., S. 73). Das Gehirn ist also kein fertiges Produkt, das zwangsläufig immer gleich funktioniert, sondern es ist glücklicherweise in der Lage, Anpassungsleistungen zu vollbringen, sodass Psychotherapie »unter neurobiologischen Gesichtspunkten als ein Prozess des Lernens, Übens und Umdenkens betrachtet werden [kann]« (ebd., S. 73). »Prägende Erfahrungen« sind damit auch jenseits der frühen Kindheit möglich.

Mit der besonderen Art der Imaginationen in der KIP werden unterschiedliche Gedächtnissysteme angesprochen, neben dem expliziten oder deklarativen, an die Sprache gebundenen Gedächtnis, haben wir auch Zugang zum impliziten oder nichtdeklarativen Gedächtnis. Dem »impliziten Wissen«, einschließlich des »Bewegungswissens«, des »Ähnlichkeitswissens« und des »Wiedererkennungswissens«, können wir in der katathymen Imagination mit sprachlichen Mitteln begegnen und so zur Episodenaktivierung beitragen.

Katathym Imaginative Psychotherapie mit Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen

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