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Zurück nach Zürich

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Zwei Monate nach meinem Rücktritt beim HCD glaubte ich, mich erholt zu haben. Trotzdem hoffte ich darauf, dass ein bestimmtes Telefonat nicht stattfinden würde. Mit den ZSC Lions, aber auch mit der Stadt an der Limmat verbanden mich zwar beste Erinnerungen. Nicht nur auf dem Eis. Im Niederdorf und in der Altstadt verbrachte ich als junger Mann einen Grossteil meiner Freizeit, und später, in den Jahren beim HCD, hielt ich mich mehrmals pro Woche im Rahmen der Sponsorenpflege in der Metropole auf, die in der Zwischenzeit zu einer zweiten Heimat geworden war. Aber irgendwie fürchtete ich den Anruf. Doch es kam, wie es kommen musste: Mein Handy klingelte, und wenig später hatte ich den Vertrag bei den ZSC Lions unterschrieben. Der Präsident, Walter Frey, ein hervorragender Mann, liess mich wissen: »Das war eine schwere Entscheidung für uns – und es ist eine schwere Entscheidung für Sie.«

Er hatte recht, und als einer, der in seinem Leben wenig bereut, bereue ich diesen Entschluss, denn der ZSC und die Fans hätten einen Del Curto in Bestform verdient. Bei einer Pressekonferenz verkündete man vor siebzig Journalisten die Neuigkeit. Die PK hätte unter normalen Umständen ein grandioser Event werden können. Doch mein Auftritt war kraftlos. Ich fühlte mich seltsam leer. Normalerweise hätte ich riesige Ambitionen gehabt. Es waren schlechte Vorzeichen, und die kurze Zeit in Zürich wurde schwierig. Die Männer waren durch ihre zurückliegenden Spiele angeschlagen. Genau wie ich. Es war keine gute Kombination.

Bereits einen Monat nach meinem Amtsantritt spielten wir gegen den HCD. Ich lebte bei meiner Partnerin in Lotzwil und setzte mich mit gemischten Gefühlen ins Auto, um nach langer Abwesenheit zum ersten Mal wieder nach Davos zu fahren. Ich liess das winterlich graue Unterland hinter mir, fuhr einen Weg, den ich in den Jahren zuvor tausendmal gefahren war. Ich kannte jeden Meter dieser Strecke, jede Tankstelle, jedes Strassenschild, und wenn – überspitzt formuliert – auf dem Dach eines Heuschobers ein Ziegel fehlte, bemerkte ich es. Diese Landschaft war mir wie keine andere vertraut gewesen, doch nun war sie mir plötzlich fremd. Genau wie die weiss verschneite Stadt in den Bergen. Dort angelangt, erkannte ich von weitem manche Funktionäre und Spieler meiner ehemaligen Mannschaft. Doch ich war nicht in der Stimmung, um Small Talk zu betreiben, konzentrierte mich auf das unmittelbar bevorstehende Spiel und – auf die Fans. Mein Abgang war in den Foren der verschiedenen Fanklubs tausendfach analysiert worden. Diesen Menschen verdanke ich unglaublich viel, sie waren immer eine Motivation, um absolute Topleistungen zu erbringen, und sie verhielten sich auch in schwierigen Zeiten stets anständig und loyal. Nun stand ich auf der Gegenseite, hatte mich quasi mit dem Erzfeind Zürich verbündet und fragte mich: Wie werden die Zuschauer im Stadion reagieren, wenn ich ihnen in meiner neuen Funktion zum ersten Mal seit dem Rücktritt vor drei Monaten begegne? Kurz vor Spielbeginn lief ich in eine Wand von HCD-Fans. Tausende erhoben sich schweigend von ihren Plätzen und brachten ihre Dankbarkeit für das Gewesene zum Ausdruck. Der magische Augenblick dauerte nur wenige Sekunden, wird mir aber für immer in Erinnerung bleiben.

Über das Spiel gibt es nicht viel zu sagen: Mit einem 4 : 4 gingen wir in die Verlängerung, die in der zweiundsechzigsten Minute mit einem 5 : 4 für den HCD endete. Die Zeichen standen für die Lions weiterhin auf Sturm: Ich hatte sie Mitte Januar 2019 übernommen, als dreiunddreissig von fünfzig Runden der Qualifikation bereits gespielt waren. Zu diesem Zeitpunkt waren die Zürcher auf dem sechsten Rang mit einer Reserve von drei Punkten auf den neunten Platz. Die Punktebilanz war mit vierzehn Siegen und zwölf Niederlagen positiv. Bei den weiteren siebzehn Spielen gingen wir mit fünf Siegen und acht Niederlagen vom Eis und blickten auf je zwei Siege und zwei Niederlagen in der Verlängerung und im Penaltyschiessen. Langer Rede kurzer Sinn: Wir verpassten die Playoffs.

In meiner damaligen Verfassung, die ich falsch eingeschätzt hatte, konnte ich dem Klub nicht bieten, was er verdient hätte, und nach einer Analyse mit den Verantwortlichen beschlossen diese, meinen Vertrag nicht zu verlängern. Das war eine neue Erfahrung für mich, und der Abstecher nach Zürich ist sicher kein Ruhmesblatt. Doch warum soll ich diese Zeit verschweigen oder beschönigen? Warum sie in diesem Buch an das Ende setzen und so eine über vierzigjährige Erfolgsgeschichte relativieren? Rückschläge gehören zum Leben. Scheissegal. Ehrlich sein. Sagen, was Sache ist. Kein Blabla, kein Bullshit. Aus Fehlern lernen. Das habe ich immer gefordert und auch versucht zu leben. Daran änderte sich nichts, als es mich selbst betraf. Das Image angeschlagen, der Lack abgeblättert. Und wenn schon? Jahrzehntelang wurde ich beinahe zu einem Halbgott stilisiert, auf ein Podest gestellt. Die Bewunderung, die Wertschätzung und die Begeisterung: Das war schön. Es war wunderbar. Doch im Nachhinein erwies sich der Umstand, dass ich zu Boden ging, als gut und sogar befreiend. Nun sieht man mich als den, der ich bin, wie ich mich immer sah: als ganz normaler Siech.

Mit Köpfchen durch die Wand

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