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Flegelalter

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Dieser Erziehungsstil stiess in St. Moritz zu meiner Zeit leider weiterhin auf null Resonanz, und in der Schule schreckten die Verfechter von Zucht und Ordnung vor entsprechenden Aktionen nicht zurück. Bereits in jungen Jahren war ich aufmüpfig und freiheitsliebend. Im Flegelalter angelangt, warf ich meinem Vater auch die Sprungskier vor die Füsse und liess ihn wissen, dass ich nicht mehr auf die Schanze wolle, sondern nur noch Eishockey spielen würde. Er war enttäuscht, vielleicht, weil ich seine Passion nicht teilte, vor allem aber auch, weil für ihn manche Hockeyspieler zu wild waren. Bei den übrigen Sportlern standen die gesunde Lebensweise, die Seriosität, das Training an oberster Stelle. Bei uns zitterte die Gemeinde, wenn wir an einem Fest aufkreuzten, denn meist blieb kein Stein auf dem anderen.

Unter dem Einfluss von einigen Gläsern Wein neige ich noch heute zu hirnrissigen Aktionen. Auch schon tanzte ich – bereits im reiferen Erwachsenenalter! – splitternackt auf einer Bühne. Ein anderes Mal zielte ich in einem Restaurant auf eine Jagdtrophäe an der Wand. Prompt traf ich: An der Nase des Hirsches hing eine Portion Tiramisu, und während meine Kumpels Tränen lachten, ging der Dessertteller mit Getöse zu Boden. Solche Geschichten ereigneten sich auch in meiner Jugend, und auf dem Heimweg zur späten Stunde bewarfen wir die Strassenlaternen mit Steinen. So lange, bis die Glühbirnen scheppernd zerbrachen, eine nach der anderen, und fast die ganze Strasse im Dunkeln lag. Einmal floh ich wegen irgendeines Schabernacks mit dem Töffli über ein schmales Holzbrett, das auf einer Baugrube lag, vor der Polizei, die hinter mir herfuhr, und bremste diese so aus. Der Dorfpolizist war Hockeyfan und drückte bei manchen Anzeigen, die bei ihm auf dem Pult landeten, beide Augen zu.

Als Jugendlicher lief ich zur regelrechten Hochform auf, war frech, wild, neugierig auf alles, was das Leben zu bieten hatte. Unter dem Einfluss von love and peace entwickelte ich mich zu einem Hippie, trug die Haare lang, sah mich als Revoluzzer, machte mir viele Gedanken zum Leben und zur sozialen Gerechtigkeit und kaufte mir heimlich – wie ich das Geld zusammenkratzte, weiss ich nicht mehr – eine Suzuki. Nach einigen Wochen konfiszierte Vater das Motorrad mit den Worten: »Sonst bist du in einer Woche tot.« Ich war ein Draufgänger, und vermutlich lag er mit seiner Befürchtung richtig, trotzdem konnte er nicht verhindern, dass ich nun heimlich zusammen mit einigen Kollegen einen knallroten Austin Martin für wenig Geld beschaffte, den wir mit unseren Lehrlingslöhnen abstotterten. Schlauer geworden, deponierten wir den Schlitten gut geschützt vor den Argusaugen meines Vaters in der Kiesgrube und fuhren ohne Führerschein mit dem Flitzer durch die Gegend – das Radio immer auf volle Lautstärke aufgedreht.

Die Musik wurde neben dem Eishockey zu meiner grössten Leidenschaft. Die Hammondorgel, der ich bisher hin und wieder Töne entlockt hatte, stand bald nutzlos in der Ecke. Ich organisierte mir eine elektrische Gitarre, wurde ein ganz passabler Spieler, und vorübergehend wusste ich nun auch, wo meine berufliche Zukunft liegen könnte: Ich wollte Historiker oder Rockstar werden. Ich liebte harte, kraftvolle Musik: Led Zeppelin, Black Sabbath. Diese Bands katapultierten mich in einen Zustand der Entspannung, und gleichzeitig vermittelten sie mir noch mehr Power und Energie.

Diesen Zustand suchte ich bald bewusst. Während die Eltern im Glauben gelassen wurden, ich nehme an einem Grümpelturnier in Zürich teil, fuhren meine Freunde und ich am Freitagabend über den Julier, die Lenzerheide und den Kerenzerberg, um sechs Stunden später dort zu landen, wo der Exzess und das grosse Abenteuer auf uns warteten: in Zürich! Nach dem Saisonende feierten wir an den Wochenenden jeweils drei Tage lang durch. Die farbigen Discokugeln drehten, die Musik hämmerte in unseren Köpfen und Körpern, und die anwesenden Mädchen wurden immer hübscher. In den Partykellern im Kreis 4 leerten wir die mitgebrachten Flaschen, zogen als wilde Truppe durch die Langstrasse und das Niederdorf, schliefen ein paar Stunden auf einer Bank oder erwachten in einer fremden Wohnung. Komplett erledigt, kehrten wir am Sonntagabend nach Hause zurück. Kein Thema war es, am nächsten Tag nicht zur Arbeit zu erscheinen. Egal, wie elend, scheisse und hundemüde ich mich fühlte.

Denke ich an meine wilde Jugend zurück, musste alles genau so sein, wie es war, denn die Erfahrungen aus dieser Zeit sollten mir später, als ich Mannschaften mit zum Teil sehr jungen Spielern trainierte, nützlich sein. Ich war mir bewusst, dass neben dem harten Training, der Disziplin und den extrem hohen Anforderungen, die die Jungs zu erfüllen hatten, auch Freiheiten möglich sein müssen.

Mit Köpfchen durch die Wand

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