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Energieverlust vs. Siegerwillen

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Das tat ich in den folgenden Monaten. Im Willen, mich ehrlich und ohne Augenwischerei mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, erinnerte ich mich auch an die beiden letzten Jahre vor meinem Rücktritt und an zwei Schlüsselmomente: In der Saison 2016/17 benahmen sich einige Spieler während des Europacups undiszipliniert und holten Strafen für nichts. Bisher verfügte ich über die absolute Power, um die unmöglichsten Typen wieder auf Kurs zu bringen. Diese Lust war mir offenbar vergangen, und mehr: Jene, die sich nun total danebenbenahmen, wussten offenbar, dass dies keine Konsequenzen nach sich ziehen, ich sie nicht wie sonst üblich kalt und bestimmt in die Schranken weisen würde. Eine andere Episode machte mich ebenfalls stutzig: Im Februar 2018 trafen wir im Final auf die Rapperswil-Jona Lakers und bekamen vom Nationalliga-B-Klub 7 : 2 aufs Dach.

Während die gegnerische Mannschaft nach der Schlusssirene den Titelgewinn und die Pokalübergabe feierte, kam ich nicht umhin, manchen Tatsachen ins Auge zu blicken. Bisher konnte ich in das Spiel eingreifen und mit dem Kopf durch die Wand gehen, die scheinbar unmöglichsten und riskantesten Strategien durchsetzen: Die Mannschaft ging für mich durchs Feuer, vertraute mir und meinen Entscheidungen zu hundert Prozent. Was die Spieler unmittelbar vielleicht nicht immer in Begeisterung versetzte, erwies sich oft als richtig, und war es nicht so, wussten sie, dass ich den Mut aufbringe, Fehler einzugestehen, Verantwortung zu übernehmen. Nun folgten mir Einzelne nicht mehr, und ich liess es geschehen. Das widersprach mir eigentlich diametral.

Unstimmigkeiten, Meinungsverschiedenheiten gehörten in den zweiundzwanzig Jahren meiner Tätigkeit beim HC Davos dazu. Negative Schwingungen in der Mannschaft nahm ich sofort wahr. Tausendmal konnte ich frühzeitig eingreifen, ausgleichen und dafür sorgen, dass negative Dynamiken erst gar nicht entstanden. Und sonst: Erfolg entsteht durch Reibung. Obwohl ich das Team führte und ganz genau wusste, was ich wollte, konnten die Spieler eigene Ansichten und Meinungen formulieren. Eigenständigkeit hatte ich stets gefördert, und das bedeutete auch, dass konstruktive Kritik geübt werden konnte. Das Verhältnis war offen. Getragen durch Freundschaft und Vertrauen. Ich vertraute ihnen, und viele ungewöhnliche Ansätze stärkten ihr Vertrauen in mich. Die Wege, die dazu führten, waren nicht in Stein gemeisselt, sie folgten keinem Lehrbuch. Kreativität und das Vermögen, ein Problem aus einer neuen Perspektive zu betrachten, sind nicht nur im Sport, sondern auch in anderen Lebenssituationen hilfreich. Vor allem aber vertrat ich Werte, die unumstösslich sind: Mut. Anstand. Ehrlichkeit. Integrität.

2018 musste ich feststellen, dass meine Überzeugungen bei einigen nicht auf fruchtbaren Boden gefallen waren, und ebenfalls spürte ich, dass eine Intrige ihren Anfang bereits genommen hatte. Die Strippenzieher waren keine Nobodys, sondern langjährige Weggefährten, Menschen, die ich gefördert und unterstützt hatte. Ich versäumte es, scharf einzugreifen, die Missstände sofort zu korrigieren. Jene, die mich aufforderten, dem bösen Tun hinter den Kulissen ein sofortiges Ende zu bereiten, standen auf verlorenem Posten, und ihre Worte verhallten ungehört. Meine Idee, sofort einen Sportchef zu installieren, um eine Entlastung herbeizuführen, setzte ich nicht um, und was ich bisher erfolgreich zu verhindern versucht hatte, konnte sich im Moment, als ich selbst nicht in Topform war, auf dem Eis durchsetzen.

Ich proklamiere ein schnelles, offenes und enthusiastisches Hockey, eine Spielweise, die sich durch hohes Tempo, technische Brillanz und intelligente Manöver auszeichnet und eine einwandfreie Kondition voraussetzt. Viele Spieler verfügen über den Instinkt, wie temperiert man einen Pass gibt und wann, wo der andere hinläuft und was sich hinter dem eigenen Rücken abspielt. Kombiniert mit neuen Ideen und kreativen Schachzügen, die schneller ausgeführt werden müssen, als das Hirn denken kann, ergibt sich aus diesen Voraussetzungen das Talent. Es kann riesig sein, geradezu grossartig. Doch das Wichtigste sind Siegerwille, Biss, Spielfreude, Leidenschaft und Mut. Mein Widerwille gegenüber einem stark defensiv ausgerichteten Spiel hatte weniger mit meinem Alter zu tun als mit meinem Charakter, der nicht auf Mittelmass und Bequemlichkeit ausgerichtet ist. Das wussten alle, die mich kannten und mir das Wort nicht im Mund umdrehten. Auf der Tür zur Garderobe der Mannschaft stand nicht umsonst: »No excuses«. Ausreden, um weniger leisten zu müssen, kamen bei mir immer ganz schlecht an, und wer verliert, hat nach Adam Riese auch irgendetwas falsch gemacht.

Heute würde ich zwei Varianten ins Spiel bringen, eine, die komplett auf die Defensive ausgerichtet ist, plus eine, die stark offensiv funktioniert. Im Spiel würde ich – je nach Situation – ständig variieren, vielleicht rein defensiv mit Konter beginnen und plötzlich auf volle Power wechseln. Was ich sagen will: Mannschaften, die nur auf Verteidigung spielen, können sich schlecht weiterentwickeln. Die mentale Haltung entspricht dann dem Verhindern, dem Abwehren, dem Schliessen und Verriegeln. Ein offensives Spiel oder zumindest eines, das verschiedene Stile kombiniert, das auf Drive und Spannung setzt, bedeutet nicht nur mehr Kopfarbeit, sondern auch mehr Training, denn der Körper muss entsprechend gefördert werden. Trotzdem gibt es mehr Verletzungen und blaue Flecken. Eine gewisse Leidensfähigkeit ist also eine Voraussetzung, um hochstehendes Eishockey zu spielen.

Die defensive Spielweise ist keine Erfindung der Neuzeit, doch die hauptsächliche Ausrichtung auf das Abwehren von Pucks und Goals war schon immer langweilig. Und ja, diese Spielweise fordert auch den Trainern weniger ab. Sie stehen heute unter massivem Druck, werden nach kürzester Zeit ausgewechselt, wenn sich der Erfolg nicht einstellt, und ich vermute, dass der heutige Trend zu einem möglichst risikoarmen Spiel auch diesem Umstand geschuldet ist. Natürlich rekapitulierte ich die letzte Zeit beim HCD auch selbstkritisch, weiss heute, dass ich mich zu wenig um die Mannschaft kümmerte, mich durch viele andere Verpflichtungen davon ablenken liess. Allerdings kam ich auch zum Schluss: Es war gelungen, das Schweizer Eishockey zu verändern, zu verbessern und an die grossen Hockeynationen heranzuführen, und obwohl mir in den letzten Monaten beim HCD ein eisiger Wind entgegenwehte, versuchte ich, meinem Stil und meinen Idealen treu zu bleiben: Sie sind eine Subsumme meines Lebens und bleiben mit jenen Menschen verbunden, die mich geprägt haben.

Mit Köpfchen durch die Wand

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