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Ansprüche hinterfragen

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Das Festhalten an einem schmeichelhaften Image, das man übernimmt, weil man sich in den wohlwollenden Meinungen und Analysen der anderen gern spiegelt, hält die Menschen manchmal davon ab, Neuanfänge in Angriff zu nehmen und – vor allem, wenn sie unfreiwillig geschehen – das Beste aus ihnen zu machen. Berufliche Einbrüche können zu persönlichen Krisen werden, wenn der drohende Verlust von Status und Macht oder die Angst, zu verlumpen, überhandnehmen und die folgenden Schritte leiten. Wie bereits erwähnt, bedeutet mir Geld nicht allzu viel. Im Nachhinein betrachtet, habe ich in meinen frühen Jahren zu wenig dafür gekämpft. Im entscheidenden Moment war ich jeweils in meiner eigenen Welt mit anderen Dingen beschäftigt, und gleichzeitig wusste ich: Glück, Zufriedenheit und innere Ruhe lassen sich nicht kaufen. Angst, kein oder nur noch wenig Geld zu verdienen und wenig zu besitzen, war nach dem Ende beim HCD, aber auch nach dem ZSC kein Thema, das mir schlaflose Nächte bereitete.

In materieller Hinsicht die eigenen Ansprüche zu hinterfragen oder zu seinen Wurzeln zurückzukehren, halte ich für sinnvoll, wenn Umbrüche zu bewältigen sind. Und für voll daneben, wenn man die Dinge nicht in eine vernünftige Relation stellt. Das rate ich jedem, der auf hohem Niveau jammert. Verliert ein Topverdiener den Job, fährt er im dicken Chlapf in die Tiefgarage seiner Villa, holt die beste Flasche Wein aus dem Keller und leckt seine Wunden. Eigentlich geht es ihm gut, ausser dass er Macht und Image verloren hat. Vorübergehend, denn: Er kann sich einen neuen Job suchen und wird diesen auch finden, und wenn er trotzdem eine Depro-Kugel schiebt, geht es eher um Eitelkeit als um die existenzielle Not.

Anyway, ich ging die neue Lebensphase gechillt an, und sicher halfen mir dabei Erfahrungen, die längst hinter mir lagen und an die ich mich jetzt wieder erinnerte. Eine Kindheit ohne materiellen Überfluss sowie geschäftliche Turbulenzen in jungen Jahren – sie waren zwar unverschuldet, doch trotzdem hatte ich die Verantwortung und trug die schwerwiegenden sowie lang andauernden Konsequenzen. Ich arbeitete damals als Trainer in Herisau und Luzern, hatte Frau und Kind zu versorgen, musste einen grossen Schuldenberg abtragen.

Am Morgen kratzte ich jeweils Zwanzig-Rappen-Stücke in meinem Portemonnaie zusammen, damit ich auf einen Betrag von zwei Franken achtzig kam. Mit diesem täglichen Privatbudget leistete ich mir meinen geliebten Kaffee und fühlte mich privilegiert. Im Alltag lebten wir als Familie unter dem Existenzminimum und kamen dementsprechend knapp über die Runden. Jahrelang. Wir sind nicht gestorben, waren nicht unglücklich. Es ging uns immer noch tausendmal besser als Millionen von Menschen in anderen Teilen der Welt. In dieser Phase besuchte ich mit meiner kleinen Tochter Stéphanie am späten Nachmittag eines 24. Dezembers mit der Member-Karte des Klubs das Hallenbad im Säntispark. Draussen dunkelte es bereits ein. Wir waren noch die einzigen Gäste. Ich wusste: In Millionen von anderen Familien wird bald das Festessen serviert, die Kerzen der geschmückten Weihnachtsbäume werden angezündet und die Geschenke ausgepackt. Die Erkenntnis, dass wir nichts hatten, traf mich mit ziemlicher Wucht. Als ich mit Stéphanie Hand in Hand auf den erleuchteten und menschenleeren Parkplatz trat, wartete meine damalige Frau, Jacqueline, mit drei Scheiben Fleischkäse auf uns; zusammen mit einer Essiggurke und zwei Bürli lagen die Köstlichkeiten auf einer grossen Papierserviette parat. Auf einer Bank sitzend, assen wir unser Weihnachtsessen. Es schmeckte köstlicher als Rindsfilet und Kaviar zusammen, und die an einer nahe gelegenen Imbissstube angebrachten, blinkenden Sterne leuchteten allein für uns.

In meinem Leben feierte ich bisher vierundsechzig Weihnachtsfeste. In Erinnerung blieb mir vor allem das eine. Es zeigte mir: Wenn man nichts mehr hat, geht es trotzdem weiter, und manchmal schafft man Neues und Gutes, entdeckt Dinge, von denen man bisher nicht wusste, dass sie existieren.

Mit Köpfchen durch die Wand

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