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4. Kapitel

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1924 im Juni

»Ludwig und ich werden eine Radtour machen. An der Leine entlang Richtung Hannover und dann ein Stück weiter, je nachdem, wie viel Zeit dann noch bleibt. Möglich, dass wir weiter kommen, als gedacht und mit dem Zug nach Hause fahren!«, erzählte Theodor begeistert beim Abendessen.

»Aber Junge! Du hast doch gar kein Rad!«, meinte die Mutter und schlug die Hände vor dem Gesicht zusammen. »Wie soll das dann gehen?«

»Ich habe mir einen alten Drahtesel von Caroline geliehen. Sie braucht ihn nicht und hat mir erlaubt, ihn aufzumöbeln. Den Rost putze ich mit einer scharfen Bürste ab, ein bisschen Öl – und schon sieht das Rad gut aus und läuft ohne Schwierigkeiten. Und ein Zelt hat mir Jakob gegeben. Gehört seinem Onkel. Armeezelt. Da passen Ludwig und ich gemeinsam rein, so viel Platz!«

»Im Zelt?« Die Mutter war entgeistert. »Und wenn es regnet? Dann werdet ihr schnell keinen trockenen Faden mehr am Leib haben. Und die Sachen zum Wechseln sind dann auch nass. Den Tod werdet ihr euch holen!« Sie räumte laut klappernd das Geschirr in den Spülstein, wandte dem Sohn demonstrativ den Rücken zu. Sollte er ruhig sehen, wie übel sie ihm diese Planung nahm. Als der Junge schwieg, setzte sie weinerlich hinzu: »Und wovon wollt ihr leben? Es ist nicht einfach, sich Nahrungsmittel zu besorgen, wenn man fremd in der Gegend ist und nicht weiß, wo man sie bekommen kann«, ergänzte sie ihre Bedenken.

»Wir dachten, wir nehmen einen Grundvorrat mit und finden dann vor Ort heraus, wo wir was einkaufen können.«

»Richtung Hannover, ja?«, fragte der Vater grantig nach.

»Ja. Immer an der Leine lang. Und irgendwann machen wir kehrt und fahren zurück. Ich werde schon pünktlich wieder vor der Tür stehen!«

»Ja, das bezweifle ich ja auch gar nicht. Aber deine Tante hat mir vor ein paar Tagen einen Brief geschickt – und dort steht, man habe an der Leine schon mehrere Totenschädel gefunden. Die Polizei rätselt noch, wie die wohl in den Fluss gelangen konnten.«

»Ach Junge!« Die Mutter weinte leise, wischte dann hastig die Tränen mit dem Zipfel der Schürze fort. »Es ist gefährlich da draußen.«

»Aber Mutter, ich bin ja nicht allein! Der Ludwig ist doch mit mir! Und wir sind schnell wieder zurück. Sie werden kaum bemerken, dass ich fort bin.« Theo spürte Ärger in sich aufsteigen. »Ich bin ja kein kleines Kind mehr! Und wenn wir nur den Frühsommer genießen, was soll uns da schon passieren?«

Zu seinem Vater gewandt ergänzte er: »Schädel in der Leine! Du liebe Güte! Die können ja von Selbstmördern stammen! Warum sollen wir uns fürchten, wenn sich jemand seiner Schwierigkeiten wegen im Fluss ertränkt?«

»Ich verstehe dich, aber die Leute in Hannover machen sich schon länger Sorgen. Es verschwinden so viele Menschen, tauchen nie mehr auf, man hört kein Wort von ihnen. Und tatsächlich gibt es Gerüchte darüber, dass sie nicht verschwunden, sondern ermordet worden sind. Sollte es finstere Gestalten in der Stadt geben, die wahllos töten, so betrifft es Ludwig und dich eben doch!«, gab der Vater aggressiv zurück.

Theo wusste, wann er solche Gespräche besser beendete.

Er stand auf und ging.

Auch Ludwig stieß bei seinen Eltern nicht nur auf schiere Begeisterung.

»Ach Ludwig. Was, wenn ihr euch verletzt? Krank werdet?«

»Dann nehmen wir den nächsten Zug nach Hause und lassen uns vom Vater kurieren«, lachte der unbeschwerte junge Mann. »Was soll uns schon krankmachen? Wir sind jung und widerstandsfähig. Keine Sorge, es wird nichts geschehen.«

»Aber mit dem Rad. Da ist man schnell gestürzt. Und wenn es regnet, werdet ihr nass. Erkältungen kann man nur mit Ruhe und Wärme vertreiben – beides wird euch bei einer Fahrt mit dem Rad abgehen.«

Ludwig zeigte sich unbeeindruckt. »Wir wollten nicht bis Afrika kommen! Nur bis Göttingen vielleicht oder ein kleines Stück weiter. Wenn das Wetter gut ist, fahren wir etwa zehn oder zwölf Tage lang, schaffen es bis Hannover und nehmen den Zug für den Rückweg. Das haben Theo und ich schon besprochen.«

Der Werwolf von Hannover - Fritz Haarmann

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