Читать книгу Der Werwolf von Hannover - Fritz Haarmann - Franziska Steinhauer - Страница 19
13. Kapitel
Оглавление1924 Juni
Ludwig hatte eine Zeitung am Bahnhof gekauft, saß nun in der Abendsonne und las voller Interesse darin.
»Mensch! Nun haben sie schon wieder Schädel entdeckt. Einen Sack Knochen wohl auch. Du liebe Güte! Das sind Berichte, die den Eltern gar nicht gefallen werden! Darüber wird ja sicher auch im Radio berichtet. Sie sind bestimmt in großer Sorge um uns.«
»Das scheint im Moment ihre Lieblingsbeschäftigung zu sein. Worum sollten die Gedanken auch sonst kreisen, gibt es doch nur dies eine Kind!«, fauchte Theo zurück und lief rot an vor Zorn.
Ludwig sah überrascht von der Zeitung auf. »Warum bist du denn so schlecht gelaunt? Wir haben noch drei Tage. Die können wir genießen. Dann nehmen wir den Frühzug und sind am Abend pünktlich zurück.«
»Hmhm.«
»Ich hoffe sehr, deine Verwandtschaft hält uns mit Nachrichten aus Hannover auf dem Laufenden. Interessiert mich schon, was sich am Ende in diesem Fall ermitteln lässt. Schädelfunde mitten in der Stadt!«
»Hmhm.«
»Ich wusste gar nicht, dass man nur am Schädel feststellen kann, dass er einem Mann gehört hat und wie alt der etwa war. Bisher war ich der Meinung, man brauche dazu das Becken. Man könnte sagen, ich habe tatsächlich schon mit dem Studium begonnen!« Als er Theos sonderbarem Blick begegnete, setzte er schnell hinzu: »Ich meine eher zufällig – nicht geplant – du weißt schon, irgendwie im Vorbeigehen.«
Der Freund blieb einsilbig.
An diesem Abend krochen die beiden jungen Männer frühzeitig in ihr Zelt.
»Nacht, Theo. Lass dir nicht die letzten Tage vom Gedanken an die Heimreise verderben! Ich denke, in den Semesterferien können wir doch etwas gemeinsam unternehmen – nicht gerade mit dem Zelt im Winter, aber wir finden schon was!«
»Gute Nacht, Ludwig. Mal sehen, was die Zukunft bringt. Du wirst vielleicht zwischen den Semestern gar nicht nach Hause kommen, sondern die Ferien zum Lernen nutzen. Wir werden abwarten müssen.« Der Freund raschelte noch einige Zeit vor sich hin, dann fragte er plötzlich: »Du, Ludwig? Meinst du, ich sollte lieber hierbleiben und richtig Geld verdienen? Die Schreinerei wirft nicht viel ab und soll sich tragen, drei Menschen ernähren und die Lehrlinge, zum Beispiel den Jakob … Aber wenn ich nun Arbeit fände, gut bezahlte versteht sich, wäre es mir sicher möglich, genug Geld an die Eltern zu schicken, damit sie sorgenfrei leben können. Sie müssten ja die Schreinerei nicht aufgeben, könnten jemanden einstellen, der den Betrieb führt – oder eben verkaufen.« Theo klang ziemlich aufgeregt. War offensichtlich von diesem Weg aus der elterlichen Fürsorge begeistert.
»Welche Art Arbeit soll das sein?«, staunte Ludwig. Überlegte kurz und meinte dann überzeugt: »Eine legale sicher nicht! So viel Geld zu verdienen, dass es drei Leute ernährt und den Betrieb rettet, das kann doch nicht gehen! Wie kommst du überhaupt auf so eine Idee?«
»Ach, naja. Heute in Hannover. Da habe ich einen auf dem Bahnhofsklo getroffen. Der hat mich angesprochen und gesagt, ich sähe aus wie ein aufgeweckter Kerl. Und falls ich auf der Suche nach einer guten Anstellung sei, wäre er bereit, mir zu helfen. Kein Problem für ihn. Und junge Männer, intelligent und gut gebaut, fänden in der Stadt immer eine gut bezahlte Arbeitsmöglichkeit.«
»Hm«, murrte Ludwig. »Klingt nicht seriös. Der wollte gar nichts von dir wissen? Schule, Ausbildung und solche Dinge?«
»Nein. Er hat nur gesagt, er würde für mich was finden.«
»Hast du ihn gefragt, um was für eine Art Stellung es sich handelt?«
»Auch nicht. Aber der war von der Polizei, verstehst du? Ich habe seinen Ausweis gesehen. Solche Leute überreden dich nicht zu was Ungesetzlichem!«
»Vielleicht nicht«, räumte der andere ein. »Hatte der Herr von der Polizei auch einen Namen? Der muss doch auf dem Ausweis gestanden haben.«
»Den auf diesem Ding habe ich so schnell nicht lesen können«, gab Theo zurück, »aber sein Name war Fritz oder so ähnlich. Er versicherte mir, wenn ich ihn ernsthaft suchte, würden mir die jungen Leute am Bahnhof schon den Weg zu seiner Wohnung weisen.«
»Ehrlich gesagt glaube ich, dass dich jemand aufs Kreuz legen will. Niemand hat in diesen Zeiten Geld zu verschenken.« Hätte Ludwig um die Nachrichten der kommenden Tage gewusst, seine Warnung wäre viel entschiedener ausgefallen. Doch er wollte nicht altklug, rechthaberisch oder überheblich und selbstgerecht wirken. Daher beließ er es bei dieser allgemeinen Belehrung, die bei Theo ohnehin nicht gut ankommen wollte.
Wortlos rollte sich der Freund wieder in die Decke ein. Sein regelmäßiges tiefes Atmen zeigte, dass er wenig später eingeschlafen war.
Zum nackten Entsetzen Ludwigs war Theo beim Aufwachen verschwunden!
Decke, Gepäck, Rad – als wäre Theo nie hier gewesen. Einzig der Anhänger stand noch an seinem Platz neben dem Baum.
Kopflos und verzweifelt suchte Ludwig in der Nähe des Zelts, lief zur Leine, rief, suchte unter jedem Busch. Kein Theo.
Was ist nun zu tun, überlegte er, soll ich die Polizei verständigen? Seine Eltern antelegrafieren? Doch was, wenn Theo nur für die letzten zwei Tage seine Ruhe haben wollte?
Noch einmal kehrte er an den Baum zurück, an dem sie die Räder abgestellt hatten.
Der Platz, an dem das zweite gestanden hatte, war völlig nass vom Regen.
»Dann bist du wohl aufgebrochen, kaum, dass ich eingenickt war, hast nur so getan, als schliefest du schon fest.«
Und wenig später: »Ich Vollidiot. Warum habe ich mir nichts dabei gedacht? Das Zelt war so aufgeräumt. Ich dachte, er ordnet schon alles für den Heimweg. Nein! Er hatte, was er brauchen würde, in den Tornister und die große Tasche gesteckt. Mensch, Theo! Wie um Himmels willen erkläre ich deinen Eltern, dass ich dich ›verloren‹ habe? Warum bringst du mich in eine derartige Situation?«
Ludwig setzte sich auf einen Stein, barg das Gesicht in beiden Händen. Konnte nicht fassen, dass der Freund wirklich so egoistisch gehandelt hatte.
»Vielleicht kenne ich dich doch nicht mehr so gut, wie ich angenommen habe. Du magst dich in den letzten Jahren verändert haben und hast es bis jetzt vor mir verborgen.«
Eine winzige Hoffnung blieb. Noch zwei Tage bis zur Heimfahrt. Am Ende würde Theo am Bahnsteig auf ihn warten, als sei nichts geschehen!
»Verdammt, Theo!«, fluchte Ludwig. »Was soll ich denn jetzt tun?«