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Franz Rosenzweig Die Schrift und Luther I

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Übersetzen heißt zwei Herren dienen. Also kann es niemand. Also ist es wie alles, was theoretisch besehen niemand kann, praktisch jedermanns Aufgabe. Jeder muß übersetzen und jeder tuts. Wer spricht, übersetzt aus seiner Meinung in das von ihm erwartete Verständnis des Andern, und zwar nicht eines unvorhandenen allgemeinen Anderen, sondern dieses ganz bestimmten, den er vor sich sieht und dem die Augen, jenachdem, aufgehen oder zufallen. Wer hört, übersetzt Worte, die an sein Ohr schallen, in seinen Verstand, also konkret geredet: in die Sprache seines Mundes. Jeder hat seine eigene Sprache. Oder vielmehr: jeder hätte seine eigene Sprache, wenn es ein monologisches Sprechen (wie es die Logiker, diese Möchtegern-Monologiker, für sich beanspruchen) in Wahrheit gäbe und nicht alles Sprechen schon dialogisches Sprechen wäre und also – Übersetzen.

Wenn alles Sprechen Übersetzen ist, dann kann jene theoretische Unmöglichkeit des Übersetzens, die wir erkennen und anerkennen, nur die Bedeutung für uns haben, die all solche theoretischen Unmöglichkeiten, die man aus der Storchenteichperspektive den vor dem Leben Stehenden erkennt, nachher im Leben selbst haben: sie wird uns in den „unmöglichen“ und notwendigen Kompromissen, deren Abfolge Leben heißt, den Mut der Bescheidenheit geben, die nicht das erkannte Unmögliche, sondern das aufgegebene Notwendige von sich selbst fordert. Also im Sprechen und Hören nicht, daß der andere meine Ohren oder meinen Mund hat, wodurch freilich das Übersetzen unnötig würde, aber das Sprechen und Hören auch. Und im Sprechen und Hören zwischen den Völkern nicht, daß die Übersetzung – keine Übersetzung ist, sondern entweder das Original, womit dann das hörende Volk überflüssig würde, oder ein neues Original, womit dann das sprechende Volk abgetan wäre. Beides könnte nur ein verrückter Egoismus wollen, der in dem eigenen, persönlichen oder nationalen, Dasein sich zu befriedigen meinte und um sich her Wüste ersehnt. In der Welt, die nicht zur Wüste geschaffen wurde, sondern in Scheidungen und nach Arten, ist für solche Gesinnung kein Platz.

Schleiermacher, selber mit seinem Platon einer der großen Übersetzer, hat einmal die Übersetzungen witzig genug in solche geschieden, die den Schriftstiller möglichst in Ruhe lassen und den Leser ihm entgegen bewegen, und in solche, die den Leser möglichst in Ruhe lassen und den Schriftsteller ihm entgegen bewegen1. Wir wissen nun nach dem Vorhergesagten, daß diese blendende Antithese, insofern sie ernstlich Antithese hatte bleiben wollen, wirklich nur blendend war. Denn wenn sie mehr sein wollte als die antithetisch klärende Aufhellung einer vielfältig verflochtenen und vermischten und nie antithetisch geschiedenen Wirklichkeit, dann wäre ja das Ideal einer Plato-Übersetzung entweder eine Teubnersche Textausgabe oder Kants Kritik der reinen Vernunft. Aber vernünftig aufgefaßt, nämlich nicht als ein Entweder-Oder, sondern als ein Mittel zur Entmischung der gemischten Wirklichkeit, kann jenes Schleiermachersche Wort uns in unsre Untersuchung hineinleiten und eine Strecke lang begleiten. Es kann uns lehren, die Frage nach dem Mischungsverhältnis zu stellen; und wenn diese Frage, die wie alle quantitativen Fragen sehr wichtig, aber, wie ebenfalls alle quantitativen Fragen, nur eine Vorfrage ist, ihre Antwort gefunden hat, kann es uns an die eigentliche Frage heranführen: an welchen Punkten des Werks der Leser und an welchen Punkten das Original „bewegt“ wird. Die bloße Nennung der wirkenden Kräfte sagt hier wie stets noch gar nichts; die Feststellung ihres quantitativen Verhältnisses sagt hier wie stets zwar etwas, aber nur wenig; erst die Beschreibung der Punkte, wo die eine ansetzt und wo die andere, gibt ein Bild.

Luther, Rosenzweig und die Schrift

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