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9. Ein Baum wächst in Funks Grove

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Das kleine Wäldchen mit den ahornsirupspendenden Bäumen liegt 15 Meilen südlich von Bloomington an der alten Route 66. Heute bewegt sich der Verkehr auf der neuen Interstate, und man muss einen Umweg machen, um Funks Grove zu erreichen. Dafür bekommt man ein interessantes Landschaftsphänomen zu sehen. Man befindet sich hier schon in der Prärie. Doch Funks Grove bildet als einer der letzten Ausläufer der ehemals geschlossenen Waldgebiete des Ostens eine grüne Insel. Man hat von der Erhebung, die das Wäldchen bedeckt, bei klarem Wetter einen guten Fernblick, und außerdem ist es auch noch, wie die Fama zu erzählen weiß, eine Wetterscheide. Das Grasland der Prärien hatte immer besseren Boden als das Waldland, und so schauen heute die Homesteader aus der Prärie hinüber zu der bewaldeten Insel und sagen: »Das Wetter, das über dem Grove steht, wird in zwanzig Minuten bei uns sein.«

American Memories

»Die Kaninchen sind hier so groß wie Hasen und haben die Ohren eines Esels, die Frösche haben die Körper einer Kröte und den Schwanz einer Eidechse. Die Bäume fallen bergauf, und der Blitz zuckt aus der Erde hervor.«

Brief eines Auswanderers aus Illinois heim nach Europa

Die vorherrschende Windrichtung verläuft von den Prärien zum Grove, und der Wind hat im Laufe der Jahrhunderte immer wieder Prärieerde in den Wald getragen. Deswegen geben dort die Ahornbäume regelmäßig Rekordernten an Maple Sirup, der in den USA für den morgendlichen Pfannkuchen so beliebt ist. Isaac Funk aus Deutschland, der als erster in dem Wäldchen siedelte, pflegte jährlich am 1. Februar loszugehen und die Bäume anzuzapfen. Inzwischen ist es die sechste Generation, die dort

Ahornsirup produziert. Steve und Glaida Funk haben ihr Wohnhaus auf einer Lichtung nahe der Sirupkocherei errichtet. Die Geschichte ihrer Liebe ist filmreif. Steve und Glaida begegneten einander während des Zweiten Weltkriegs in Oklahoma. Er war Kampfpilot und sie ein Mädchen aus einer Kleinstadt. Nach dem Krieg kehrte Steve nach Illinois zurück und bekam einen Job als Baumschneider in der Nähe von Chicago. Aber eines Tages stürzte er und wurde arbeitsunfähig. Er fuhr zu Glaida über die 66, und sie pflegte ihn gesund. Dann brannten sie zusammen durch. Noch heute, so kann man Steve erzählen hören, ist seine Schwiegermutter nicht völlig davon überzeugt, dass er der rechte Mann für ihre Tochter sei. »Aber auf Bäume steigen konnte ich nicht mehr, und so heiratete ich Glaida.« Kurz nach ihrer Eheschließung fragte Tante Hazel das junge Paar, ob sie nicht das Grove übernehmen wollten. Und so wurden sie die neuen Besitzer. Die Sache lief ganz gut an. Gegen Ende des Winters zapften sie ihren Maple Sirup, und wenn sie damit fertig waren, bestellten sie ihre Acker. Die Geschichte von Funks Grove ist auch eine amerikanische Erfolgsgeschichte. Als Glaida und Steve das Wäldchen übernahmen, betrug die jährliche Ernte - oder wie sonst soll man bei Ahornsirup sagen (das jährliche Zapfergebnis?) - 500 Eimer. Das reichte mehr oder minder für den Hausgebrauch. Aber die beiden bildeten sich weiter, besuchten Kurse, wandten von der Wissenschaft neu ausgedachte Methoden an, und bald stieg die Ausbeute auf 5000 Eimer pro Jahr. Heute, nachdem nicht mehr soviel Kundschaft kommt, weil ja der meiste Verkehr über die Interstate läuft, die das Wäldchen nicht direkt berührt, reicht es ihnen, 300 Eimer im Jahr zu produzieren. Aber sie haben eine treue Kundschaft, und Steves und Glaidas Leben ist mit Hunderten von Episoden, die sich auf der Route abspielen, verbunden. Sie haben eine schriftstellernde Tochter, die über dreißig Romane und Kinderbücher verfasst hat und unter dem Titel Ein Baum wächst in Funks Grove auch die Familiengeschichte aufzeichnete. Wenn man im Mai im Wäldchen herumläuft und die ersten Frühlingsblumen und den herrlichen Baumbestand betrachtet, könnte man fast an eine Idylle glauben. Aber wie so vieles hat auch das Grove seine zwei Seiten. Gar nicht weit von der Ahornsirup-Kocherei entfernt liegt ein gespenstischer Truppenübungsplatz im Grove. Nicht etwa von der amerikanischen Armee, sondern von Männern, die in Chicago und anderen Städten der Umgebung wohnen und in ihrer Freizeit ganz lebensecht Soldaten spielen, mit Maschinengewehren, Minenfeldern und Stacheldrahtverhau. Auf Fragen nach dem Hintergrund für diese Kriegsspiele reagierte der amerikanische, ursprünglich aus Österreich stammende Guide unserer Reisegruppe sehr zurückhaltend. Ob wir es mit einer der im Mittleren Westen gar nicht so seltenen Vigilanten-Gruppen zu tun hatten oder es doch nur Männer waren, die zu viele Kriegsfilme im Fernsehen gesehen hatten, sollte nie geklärt werden.

Route 66

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