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15. Oklahoma Dustbowl
ОглавлениеAuf der Route 66 gelangt man nun nach Oklahoma und in jenen Teil von Texas, der wie ein Pfannenstiel in diesen Bundesstaat hineinreicht. Auch heute noch ist dies eine Gegend, der eine gewisse Rückständigkeit oder besser: Entlegenheit anzumerken ist, sobald man die Route 66 oder die Interstates verlässt.
Das nordwestliche Oklahoma ist ein Teilgebiet der Großen Ebenen, in dem gemischte Grasprärien die vorherrschende Landschaftsform sind. Das Land ist überwiegend baumlos. Kleine Wäldchen mit Pappeln und China-Berries finden sich lediglich in den Senken nördlich des North Canadian River und seiner Nebenflüsse. Rote Zedern wachsen in den zerklüfteten Canyons des Cimarron, die zusammen mit denen des North Canadian River von Nordwesten nach Südosten die Region durchziehen.
Regen, im Durchschnitt 58 Zentimeter jährlich, fällt reichlich oder gar nicht. Eine Redensart der Gegend lautet: »Manchmal regnet es für vier Jahre auf einmal und dann wieder überhaupt nicht.« Die Alteingesessenen behaupten, dass das Salbeigebüsch während der Dürreperioden das Erdreich zusammenhält, dazu kommen Yucca, Sandpflaumen und dichte Gebüsche einer Eichenart.
Die Natur hat die Gegend zum Weideland bestimmt. Über 10.000 Jahre hin grasten hier Büffel. Indianische Stämme lebten fast ausschließlich von diesen Tieren. Durch die Einführung der Pferde im 16. Jahrhundert verbesserten sich die Jagdbedingungen grundlegend.
Ab 1877 aber begann auf der Prärie die systematische Abschlachtung der Büffel durch die Weißen. Die weißen Jäger, denen die Regierung 50 Cent pro Büffel zahlte, häuteten die Tiere ab, schnitten ihnen die Zungen als Beweis heraus und ließen die Kadaver dann liegen.
Im Osten bestand ein wachsender Bedarf an Rindfleisch. In Texas gab es große Rinderherden, andererseits war 1866, kurz nach dem Ende des Sezessionskriegs, das Bargeld rar. Also trieb man die Longhorn-Rinder auf den Markt von Texas, durch das heutige Oklahoma an die Endpunkte der Eisenbahnstrecken und brachte sie von dort als Schlachtvieh nach Chicago und in die Städte des Ostens. Mitte der 70er Jahre schob sich dann der Schienenstrang immer weiter nach Westen vor, bis er Dodge City in Kansas erreichte.
Nun grasten die Longhorns dort, wo zuvor die Büffel gegrast hatten. Oklahoma war offiziell als Indianer-Territorium bekannt. Es war eines der Gebiete östlich der Rockys, das noch nicht Bundesstaat geworden war. Es war ein weißer Fleck auf der Wirtschaftskarte des Landes, ein Vakuum, das die Eisenbahnmagnaten und Landspekulanten verzweifelt zu füllen versuchten. Tatsächlich aber war das Land besetzt, nämlich von den fünf »zivilisierten Stämmen«, den Choctaw, den Cherokee, den Chickaw, Creek und Seminolen.
Die Stämme wurden »zivilisiert« genannt, weil sie den weißen Mann dadurch zu beeindrucken versucht hatten, dass sie seine Zivilisation nachahmten und als Gegenleistung auf eine zivilisierte Behandlung hofften. Sie hatten gesetzgebende Körperschaften eingerichtet, eine Schriftsprache zur Übersetzung der Bibel entwickelt und hielten Sklaven. All dies half ihnen wenig, als die Weißen sie um 1830 aus ihren Heimatgebieten im Südosten der USA vertrieben, weil sie eine Konkurrenz für die weißen Bauern in dieser Gegend darstellten. Man schickte sie auf einen erniedrigenden »Marsch der Tränen« in das Indianer-Territorium westlich des Mississippi, ein Gebiet, das – wie man ihnen versicherte – den Indianern so lange gehören sollte, »wie das Gras grünt und die Wasser der Flüsse fließen«.
Tatsächlich war das, wenn man die Haltung der meisten weißen Amerikaner damals berücksichtigt, die sich in dem Spruch »Nur ein toter Indianer ist ein guter Indianer« ausdrückt, eine vergleichsweise humane Lösung. Die Indianer ließen sich in ihrer neuen Heimat nieder und gründeten in dem Land der »rollenden Hügel«, die allmählich in eine Ebene auslaufen und zur Trockensteppe werden, ihre Nationen neu.
American Memories
»Dies«, sagte der Neuankömmling, »wäre ein gutes Land, wenn es hier nur Wasser gäbe.« – »Tja«, antwortete ein anderer, der eben seinen Wagen wieder beladen hatte und in den Osten zurück wollte, »das sagt man in der Hölle auch.«
»Keine Frau sollte in diesem Land zu leben versuchen, die nicht auf eine Windmühle klettern oder ein Gewehr abfeuern kann.«
»Freilich wird es hier manchmal auch trocken«, erzählen die Leute, »so trocken, dass die Rinder ganz zusammenschrumpeln und durch die Löcher des Maschendrahts in den Hühnerhof kriechen. Dann verstecken sie sich unter den Hühnern. Das ist schon unangenehm.«
Und die Leute sagen auch, dass einer so lange ein Greenhorn ist, wie er den Unterschied zwischen Texas, Oklahoma, Colorado, Kansas und den Dakotas nicht in der Luft schmeckt.
Mündlich von Leuten im Mittelwesten
Es war ein Land, in dem man Baumwolle anbauen und Vieh züchten konnte. Aber die fünf Stämme machten sehr bald einen fatalen Fehler. Da sie schwarze Sklaven besaßen, vielleicht aber auch aus Empörung über die ihnen während der Deportation zugefügten Leiden, schlugen sie sich im Sezessionskrieg auf die Seite der Südstaaten. Als der Norden den Krieg gewonnen hatte, erklärte die siegreiche Union, die Indianer hätten durch ihre Parteinahme alle Rechte auf Grund und Boden für immer verwirkt.
Die Konfiszierung erfolgte nicht sofort. Zunächst wurden nur die westlichen Teile eingezogen, die man nun Oklahoma-Territory nannte. Territory war die staatsrechtliche Bezeichnung für Gebiete, die noch nicht die Rechte und Pflichten eines Bundesstaates besaßen. Die Osthälfte des Indian Territory blieb den fünf Stämmen, die alle eine eigene Stammesregierung besaßen. Es kam zu einer Folge von spekulativen Landkäufen und auch zur Vereinnahmung des Westteils. Die Weißen drangen nun in das verbliebene Gebiet der American Natives vor, einige pachteten von den Indianern Land, andere ließen sich einfach nieder und beanspruchten die von ihnen bebauten Ackerflächen. Wem an Grund und Boden was gehörte, wurde immer undurchsichtiger.
Hinzu kam die Gesetzlosigkeit der Gegend. Weiße Kriminelle, die sich dem Arm des Gesetzes entziehen wollten, flohen dorthin. Mit dem Stammesgesetz der Indianer waren sie nicht zu belangen, ausgeliefert werden konnten sie nicht. Die James-Brüder, die Daltongang, die Doolins, Belle Starr und Cherokee Bill – der behauptete, schwarzes, weißes und indianisches Blut zu haben – tauchten auf und verblüfften ihre Nachbarn durch ihr friedfertiges Verhalten. Mit ihnen begann in Oklahoma eine Tradition, Outlaws als Volkshelden anzusehen.
Die Auswirkungen der Rinderzucht und die Einwanderung von Weißen veränderte die unberührte Natur dieser Landschaft immer weiter. Meilenweit wurden Zäune gezogen, um das Vieh während der Winterstürme in einer bestimmten Gegend zu halten. Es entstanden sogenannte Dugouts oder andere Unterkünfte für die Cowboys. Das Land wurde nicht selten überweidet.
Am 16. September 1893 wurde das Indian Territory endgültig für die Besiedlung durch die Weißen freigegeben. Zehntausende lieferten sich ein Wettrennen, jeder wollte sich als erster kostenloses Farmland sichern. Bis ins Frühjahr 1902 entstanden überall auf der Prärie im nordwestlichen Oklahoma schwarze Flecken. Bis zum Herbst war das Land mit ihnen übersät. Entstanden waren sie durch Menschenhand. Die Homesteader begannen das alte Weideland der Prärie in Ackerland umzuwandeln. »Das wilde Land erobern« nannten sie es. Dazu wurden die Rinderherden zusammengetrieben. Mit der Viehzucht auf der offenen Prärie war es vorbei. Für Chicago bedeutete dies das langsame, aber sichere Ende der Schlachthöfe.
Die Homesteader benutzten drei wirksame Waffen auf ihrem Eroberungszug: Stacheldraht, Windmühle und Sodenpflug. Aber was würde auf dem umgepflügten Land wachsen? Zuerst wurde vor allem Mais angepflanzt, mit dem auch die Hühner und das Milchvieh gefüttert wurden. Mit dem Ersten Weltkrieg wuchs die Nachfrage nach Weizen, und immer größere Maschinen wurden zur Aussaat und Ernte benutzt. Letztlich führte die Einführung von ausgesätem Gras und Weizen – Pflanzen, die Dürreperioden und Hitze nicht überstanden – zu der großen Katastrophe der 30er Jahre.
Um Pflanzen kultivieren zu können, muss man die Erdoberfläche für den Aussaatvorgang aufwühlen. Dadurch wird die normale geologische Verwitterung beschleunigt. Die fruchtbare Oberflächenschicht der Erde, die sich in Jahrhunderten gebildet hat, ist dem Zugriff durch Wind und Wasser schutzlos ausgeliefert. Erosion ist die Folge.
In den Vereinigten Staaten haben physikalische, ökonomische und soziale Umstände dazu geführt, dass sich die Erosion in einem Maße ausbreitete, die in der Geschichte ihresgleichen sucht. Physikalisch unterliegen drei Viertel des kontinentalen Landgebiets der USA in bestimmtem Umfang einem Erosionsvorgang. Indem der Mensch diese verwundbaren Landflächen bearbeitete, hinterließ er mit der Ausbreitung der Landwirtschaft eine breite Spur der Erosion.
Axt und Pflug der Pioniere griffen empfindlich in das Spiel der natürlichen Kräfte ein, die über lange Zeit fruchtbare Böden geschaffen hatten. Gleichzeitig bewegte sich die Frontier von der Atlantikküste immer weiter in Richtung Westen, und die Pionierszüge samt einer wachsenden Besiedlung nahmen dem Boden seinen stabilisierenden Mantel aus Bäumen und Gräsern. Sogar die Böden in den Trockengebieten waren ursprünglich sehr fruchtbar gewesen, sie waren reich an Nitrogen und anderen Elementen, die für den Pflanzenwuchs wichtig sind. Die Fruchtbarkeit dieser halbdürren Böden war zunächst ein Segen, bald aber auch die Ursache für ihren schlimmsten Missbrauch. In Jahren mit starken Regenfällen sind dort die Erträge so üppig, dass in folgenden Jahren mit durchschnittlichem Niederschlag die Farmer versucht sind, die Produktion zu erhöhen. Ein fataler Irrtum. Es führt nämlich häufig zu verheerenden Missernten, wenn auf Jahre mit reichlichen oder auch nur durchschnittlichen Niederschlägen solche mit unterdurchschnittlichen Regenmengen folgen. Genau dies wurde Ende der 20er und während der 30er Jahre den damals ohnehin nicht sehr wohlhabenden Farmern in Oklahoma, spöttisch Okies genannt, zum Verhängnis. Ihr Land wurde heimgesucht von Staubstürmen in bisher unbekanntem Ausmaß. Hinzu kam, dass auch der Erdölboom, von dem die Gegend bis dahin profitiert hatte, zurückging. Schließlich war es für das gesamte Land die Zeit der großen Depression. Für viele Okies war die Landwirtschaft völlig unmöglich geworden, weil sich ihre Äcker in eine Staubwüste verwandelt hatten. Es kam zu einer gewaltigen Flüchtlingsbewegung in Richtung Kalifornien, das vielen als das Land erschien, in dem immer noch Milch und Honig fließen.
American Memories
»Ob Werbeschild oder Zapfsäulen-Globe, Roadside-Relikte aus der Auto-Urzeit, sie sind längst zu begehrten Collectables geworden und erzielen Höchstpreise auf dem Markt der Nostalgie.«
Bernd Polster, Kino durch die Windschutzscheibe
»Der Highway war ihr Zuhause und Bewegung ihre Ausdrucksform.«
John Steinbeck
Das Drama hatte gewissermaßen drei Akte: die Verarmung der kleinen Farmer in Oklahoma, die Probleme der Abwandernden (auf der Route 66 nach Westen) und die Verhältnisse in den kalifornischen Lagern. Man hat ausgerechnet, dass zwischen 1935 und 1938 300.000 bis 500.000 Okies in Kalifornien ankamen. Ironischerweise gab es sogar noch Regierungsprogramme, die diese Auswanderungsbewegung unterstützten. Washington zahlte den Landbesitzern, die auf ihrem Grund und Boden nichts mehr anbauten, Unterstützungsgelder und setzte somit Tausende von Pachtbauern und Erntearbeitern frei. In Kalifornien hingegen, einem reichen, von der Natur begünstigtem Staat, war die Abneigung gegen die unzähligen, wie die Heuschrecken einfallenden Menschen groß. Sie führte dazu, dass jene ausländischen Erntearbeiter, die aus China, Mexiko und den Philippinen stammten, mit den neu eingewanderten Habenichtsen konkurrieren mussten. In John Steinbecks großem amerikanischen Romanepos Die Früchte des Zorns kann man das nachlesen. Ein typisches Okie-Schicksal erlebte auch Woody Guthrie, der Folksänger, der mit seinem Song »This Land is Your Land« auch jenseits des Atlantik berühmt wurde.