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3. Chicago und Al Capone

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Eine andere Epoche, die zum Klischee des »bösen Chicago«, der Windy City, beigetragen hat, ist die Zeit der Prohibition in den 20er Jahren. Damals hatte der noch junge Gangster Johnny Torrio, die beherrschende Persönlichkeit der Unterwelt von Chicago, einen Einfall. Er rechnete sich aus, dass er das große Geld machen könnte, wenn er den illegalen Verkauf von Spirituosen in der Stadt unter seine Kontrolle brächte. Torrio holte sich als Lieutenant einen 23jährigen Neapolitaner aus New York, dessen Karriere in der berüchtigten Five-Points-Gang und als Schüler von Lefty Louie und Gyp the Blood begonnen hatte. Er versprach ihm die Hälfte aller Einnahmen aus dem Bootlegging-Geschäft, sofern es ihm nur gelinge, unliebsame Konkurrenten auszuschalten. Der junge Mann, der sich in dem Spielsalon »Vier Würfel« etablierte, hatte auf seinem Schreibtisch demonstrativ eine Familienbibel liegen und ließ sich Visitenkarten mit der Inschrift drucken: »Händler in Möbeln aus Zweiter Hand, 2220 South Wabash Avenue.« Der junge Mann hieß Al Capone. Heute bedient sich Chicago seiner Gestalt als Touristenattraktion! Innerhalb von drei Jahren verfügte er über eine Streitmacht von 700 Mann, die alle ausgezeichnet mit Gewehren mit abgesägten Läufen und den eben aufkommenden Thompson-Maschinenpistolen umzugehen verstanden.

Mitte der 20er Jahre war der Stadtteil Cicero fest in Capones Hand. Seine Agenten kontrollierten alle Spielsalons und 161 Bars. Und Capone war es, der darüber bestimmte, wer Bürgermeister in Chicago wurde. Die Summen, die er durch Schutzgelder einnahm, gingen in die Millionen. Torrio wurde immer mehr in den Hintergrund gedrängt. Allerdings war die Errichtung von Al Capones Vorherrschaft nicht ohne Blutvergießen abgegangen. Die Standardmethode, einen Rivalen auszuschalten, bestand darin, seinen Wagen mit einem Auto voll schwerbewaffneter Männer zu verfolgen, ihn an den Randstein zu drängen, die Konkurrenz mit ein paar Salven vom Leben in den Tod zu befördern und dann im Verkehrsgewühl unterzutauchen.

Die Gang eines gewissen Dion O’Banion stellte eine Zeit lang eine Bedrohung für die absolute Herrschaft Capones über Chicago dar. Der Mord an diesem Konkurrenten hat gewisse Ähnlichkeiten mit der Geschichte vom Judaskuss. O’Banion war ein Schwarzbrenner und Gangster bei Nacht, tagsüber betrieb er einen Blumenladen. Er kannte sich mit Orchideen ebenso gut aus wie mit Revolvern und Schnellfeuerpistolen. Eines Morgens hielt ein Auto vor seinem Blumengeschäft. Drei Männer stiegen aus, ein Vierter blieb hinter dem Steuer zurück. Die drei Männer traten im Laden auf O’Banion zu; offenbar war er mit ihnen vertraut. Der Mittlere unter den drei Besuchern schüttelte ihm die Hand und hielt ihn fest, während seine Begleiter sechs Schüsse auf ihn abgaben. Er war auf der Stelle tot. Die drei Gangster verließen seelenruhig das Blumengeschäft und fuhren in ihrem Auto davon. Sie kamen nie vor Gericht. O’Banion bekam ein pompöses Begräbnis, lag in einem Tausend-Dollar-Sarg, 26 Lastwagenladungen mit Blumen wurden herbeigeschafft, darunter auch ein Gebinde mit der Inschrift »Von Deinem Al«. 1926 bediente sich die O’Banion-Gang, trotz des Verlustes ihres Bandenchefs noch intakt, einer neuen Methode, die selbst in Kreisen der Unterwelt als höchst unfein bezeichnet wurde. Am helllichten Tag wagten sie es, Al Capones Hauptquartier im Hawthorn-Hotel mit Maschinengewehrfeuer aus acht Autos heraus zu belegen. Die Wagen fuhren langsam am Haus vorbei. Zunächst wurden Schüsse in die Luft abgegeben, um die Passanten zu warnen. Kaum hatten sich Capones Männer an Fenstern und Türen auf der Vorderseite postiert, rasten einige Wagen einen Block weiter und beschossen von dort die Rückseite des Gebäudes. Nachdem sich die Aufmerksamkeit im Hotel dorthin gewandt hatte, kniete sich vorn ein Mann aufs Pflaster und gab mehrere hundert Schuss in Richtung Empfangshalle ab. Der Bandenkrieg dauerte bis zum St. Valentins-Tag 1929. An diesem 14. Februar, um 9 Uhr 30 vormittags, warteten sieben Mitglieder der O’Banion-Gang in einer Garage in der North-Clark- Street auf eine Ladung schwarzgebrannten Schnaps. Plötzlich fuhr ein Cadillac in die Garage. Ihm entstiegen drei Männer in Polizeiuniform und zwei Zivilisten. Die Polizisten entwaffneten die sieben Gangster. Sie befahlen ihnen, sich in einer Reihe mit dem Gesicht gegen die Wand aufzustellen. Die Männer der O’Banion-Gang gehorchten. Sie waren an Polizei-Razzien gewöhnt und erwarteten, schließlich unbehelligt davonzukommen. Stattdessen brachten die Zivilisten eine Maschinenpistole in Anschlag und erschossen die mit erhobenen Händen wartenden Gangster. Dann fuhren sie mit den vermeintlichen Polizisten zusammen ab.

Das sogenannte »St. Valentins-Massaker«, das später sogar in einen Marilyn-Monroe-Film einging, und die Ermordung Jake Lingles, eines Mannes, der ein Doppelleben als Journalist und Gangster führte, in einem überfüllten U-Bahn-Waggon 1930 waren die spektakulärsten Ereignisse dieses Jahrzehnts. Insgesamt kam es in diesen Jahren zu rund 500 Morden, von denen die wenigsten aufgeklärt wurden. Man schätzt, dass Al Capone bis 1927 aus den Schutzgeldern pro Jahr etwa 60 Millionen Dollar einnahm. Seit seinem Auftauchen in Chicago 1920 war er zu einer Person, »so bekannt wie ein Boxweltmeister oder ein Millionär«, geworden.

American Memories

»Die Near North Side besteht zum vorwiegenden Teil aus sich hoch auftürmenden, teuren Apartment-Gebäuden und Nachtclubs. Hier versammeln sich die Junggesellen und junge Damen, die Karriere machen. Letztere teilen sich oft eine Wohnung. Das Viertel liegt bemerkenswert angenehm nahe zum Loop, zum See und zu den Straßenzügen, wo was los ist. Hier spielt sich das meiste Nachtleben der Stadt ab.«

Studs Terkel,

Ein ABC-Führer für Leute, die Chicago nicht kennen

Er kontrollierte nicht nur die 10.000 Flüsterkneipen in Chicago, sondern auch den illegalen Alkoholhandel bis Kanada und Florida. Festgenommen wurde er in Philadelphia nur einmal wegen unerlaubten Waffenbesitzes. Im übrigen stand er in diesem Jahrzehnt über dem Gesetz. In Chicago fuhr er in einem Panzerwagen umher. Wenn er ins Theater ging, umgab ihn eine Bodyguard von achtzehn jungen Männern in Smoking und mit merkwürdig ausgebeulten Ärmeln. Er besaß fünf Anwesen in Miami. Politiker und Richter erhielten aus seinem Hauptquartier ihre Weisungen.

Mit Aufhebung der Prohibition war die große Zeit der Bootlegging-Gangs zu Ende. Aber nun begann die Epoche der Rackets, ein Begriff, der zunächst ganz allgemein eine Beschäftigung bezeichnete, mit der sich leicht Geld verdienen ließ. Die Gangster fingen an, die Gewerkschaften zu unterwandern, und in Chicago verlagerten die Banden ihre Schutzgeld-Erpressungen auf Färbereien und chemische Reinigungen. Hatte vorher der Kunde für die Reinigung eines Anzuges 1,25 Dollar bezahlt, so zahlte er nun 1,75 Dollar. Geschäftsleute, die sich den Erpressungen widersetzten, riskierten, dass ihr Geschäft in die Luft flog. Entweder wurden Bomben geworfen, oder es wurde Sprengstoff in die Nähte der zum Reinigen abgegebenen Kleider eingenäht. War die beliebteste Waffe der Bootlegger die Maschinenpistole, so verwendeten die Rackets meist Bomben und Sprengstoffladungen. Von Chicago aus verbreiteten sie sich bald über das ganze Land.

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