Читать книгу Die Ansiedler in Kanada - Фредерик Марриет - Страница 6
IV.
ОглавлениеMr. Campbell war ein Mann mit vielen liebenswürdigen Eigenschaften, ein religiöser guter Mensch, seiner Frau, deren Ansichten er häufig den Vorzug vor den seinigen einräumte, sehr zugetan und sehr eingenommen von seinen Kindern, die er bis zu übergroßer Nachsicht liebte. Er war verständig und wohl unterrichtet, doch besaß er wenig Energie. In seiner Herzensgüte war er leicht zu täuschen, denn er vermutete niemals einen Betrug, obwohl man ihn bereits vielfach hintergangen hatte. Sein Charakter war der eines einfachen, guten, ehrenwerten Mannes.
Mrs. Campbell war für ihn eine sehr geeignete Frau, denn in ihrem Charakter lag die Willenskraft und Entschiedenheit, welche ihrem Gatten bisweilen fehlte. Trotzdem hatte sie weder in ihrer Art und Weise noch in ihrem Äußern etwas Männliches an sich, im Gegenteil; sie war eine zarte Erscheinung und sehr sanft in ihrem Auftreten. Sie besaß große Festigkeit und Selbstbeherrschung und hatte ihre Kinder vorzüglich erzogen. Gehorsam gegen die Eltern hatte sie ihnen als vornehmstes Gebot, nächst den Pflichten gegen Gott, eingeprägt. Wenn je eine Frau geeignet war, Schwierigkeiten und Gefahren zu trotzen, wie sie ihr jetzt drohten, so war es Mrs. Campbell, denn in ihrem Charakter war Mut, Tatkraft und Klugheit vereinigt.
Henry, der älteste Sohn, war beinahe zwanzig Jahre alt. Er hatte viel von der Gemütsart seines Vaters. Ohne schlimme Fehler zu besitzen, neigte er doch mehr zur Untätigkeit als zum Gegenteil. Dieser Hang war seiner Erziehung und dem Universitätsleben, zumeist jedoch seiner natürlichen Anlage zuzuschreiben.
Alfred, der Seemann, war voller Willens- und Tatkraft, geduldig und arbeitsam, wo es erforderlich war. Er nahm nie eine Sache in die Hand, ohne sie zu vollenden, wenn es irgend anging. Er war etwas schroff, doch nicht roh, in Sprache sowohl wie in Manieren, und zugleich voller Selbstvertrauen, er fürchtete sich vor nichts in der Welt.
Mary Percival war ein sehr angenehmes, sinniges Mädchen. Still, ohne schwermütig zu sein, neigte sie wenig zu Unterhaltungen, außer wenn sie mit ihrer Schwester Emma allein war. Mit großer Hingabe liebte sie ihren Onkel und ihre Tante, und war für manches befähigt, wovon sie selbst keine Ahnung hatte, denn sie war bescheiden und dachte sehr gering von sich. Ihre Gesinnungsweise war liebenswürdig und dies prägte sich auch in ihrem Benehmen aus. Sie war jetzt siebzehn Jahre alt und wurde viel bewundert.
Ihre Schwester Emma, die erst fünfzehn zählte, war ganz anders veranlagt, von Natur heiter und geneigt, bei allem ein Vergnügen herauszufinden. Fröhlich wie die Lerche, sang sie vom Morgen bis zum Abend. Ihr Wesen war, dank der Sorgfalt und Aufmerksamkeit ihrer Tante, ebenso liebenswürdig wie das ihrer Schwester, und ihr lebhaftes Temperament verleitete sie nur selten zu Unvorsichtigkeiten. Sie war das Leben in der Familie, wenn Alfred fort war, der außer ihr allein ein so heiteres Gemüt besaß.
Percival, der dritte Knabe, war jetzt zwölf Jahre alt, er war ein ruhiger, kluger Bursche, sehr gehorsam und aufmerksam. Von Natur sehr wißbegierig, war ihm jede Belehrung willkommen.
John, der vierte Sohn, im Alter von zehn Jahren, war ein derber Junge. Das Lernen liebte er nicht, doch war er gut veranlagt. Seinen Büchern zog er alles andere vor, doch war er gehorsam und versuchte seine Aufmerksamkeit festzuhalten, so gut es nur gehen mochte. Er war in allem sehr langsam, sehr bedächtig, und sprach meist nur, wenn er angeredet wurde. Dabei war er nicht dumm, obgleich mancher ihn dafür halten mochte, vielmehr ein höchst eigentümlicher Knabe, bei dem sich schwer voraussehen ließ, in welcher Art er sich später entwickeln werde.
Am dritten Tag nach ihrer Einschiffung segelte das Schiff mit schönstem Winde den Irländischen Kanal hinab. Der ‚London Merchant‘ fuhr nach Cork, wo sich die amerikanische Konvoiflotte zu versammeln hatte. Der Krieg zwischen den Engländern und Franzosen, die damals alle Schrecken der Revolution zu erleiden hatten, hatte vor kurzem begonnen. Bei ihrer Ankunft in Cork erholte sich unsere Gesellschaft von der Seekrankheit, der ein jeder auf seiner ersten Meerfahrt zum Opfer fiel. Der ‚London Merchant‘ lag vor Anker mit über hundert Kauffahrteischiffen, zwischen denen man die stolzen Masten eines großen Fünfzigkanonenschiffes und zweier kleiner Fregatten bemerkte, welche den Konvoi zu seinem Bestimmungsort führen sollten. Während die übrigen Familienmitglieder, noch leidend, sich bald wieder in die Kajüte zurückzogen, blieb Alfred auf Deck. Gegen die Brüstung des Schiffes gelehnt, hafteten seine Augen an den flatternden Wimpeln der Kriegsschiffe und eine Träne lief ihm die Wange herab, als er sich vergegenwärtigte, daß er nicht länger seinem Lieblingsberufe folgen dürfe. Das Opfer, das er den Seinigen gebracht hatte, war groß. Er hatte zwar leichthin darüber gesprochen, doch nur, um sie nicht ahnen zu lassen, was es ihn koste. Seinem Vater hatte er nicht einmal mitgeteilt, daß er vor seiner Entlassung in Portsmouth das Offiziersexamen gemacht, und sein Kapitän ihm baldige Beförderung im Dienst versprochen hatte. Er hatte nichts darüber geäußert, daß seine Pläne, seine Hoffnungen, sein Lieblingswunsch, Schiffskapitän einer schönen Fregatte zu werden, vernichtet wurden. Dies alles hatte er verborgen und eine Heiterkeit zur Schau getragen, die er nicht empfand; jetzt aber, wo er allein war und sich der Wimpel des Kriegsschiffes seinen Blicken darbot, konnte er seinen Schmerz nicht zurückdrängen. Er seufzte tief und sprach zu sich selbst: „Ich habe meine Pflicht getan. Es ist schwer nach so langer Dienstzeit, wenn man gerade auf dem Punkte steht, im Dienste zu avancieren — wenn man darauf rechnen darf, sich durch Eifer auszuzeichnen und Ansehen zu erlangen, es ist schwer, dies alles aufzugeben und mit der Axt in der Hand in die Wälder zu gehen. Doch wie hätte ich meine Eltern und Geschwister verlassen, sie Mangel und Gefahr aussetzen können, während ich einen starken Arm besitze, ihnen zu helfen? Nein, nein, ich habe meine Pflicht denen gegenüber erfüllt, die darin nie gegen mich gefehlt haben, und ich hoffe, daß mein Gewissen mich belohnen wird und jener Kleinmut mir erspart bleibt, den wir nur zu leicht empfinden, wenn es dem Himmel gefällt, das zu Schanden zu machen, was uns die schönsten Aussichten eröffnete.“
„Hört, guter Bursche“, sagte Alfred nach einiger Zeit zu einem Bootsmanne, „wie heißt jenes Schiff mit fünfzig Kanonen?“
„Ich weiß nicht welches Schiff fünfzig und welches hundert Kanonen hat“, entgegnete der Irländer, „aber wenn Sie das größte von den dreien meinen, so ist es der ‚Portsmouth‘.“
„Portsmouth, dasselbe Schiff, für das Kapitän Lumley beordert wurde“, rief Alfred, „o, da muß ich an Bord gehen.“
Alfred eilte zur Kajüte hinab und bat den Kapitän des Transportschiffes, welcher Wilson hieß, ihm das kleine Boot zu erlauben, um damit an Bord des Kriegsschiffes zu gehen. Sein Wunsch wurde erfüllt, und bald befand sich Alfred auf dem ‚Portsmouth‘. Auf dem Hinterdeck fand er mehrere seiner ehemaligen Kameraden, die ihn herzlich bewillkommten, darauf ließ er durch den Steward an Kapitän Lumley die Anfrage ergehen, ob er ihn sprechen könne und wurde sogleich zur Kajüte befohlen.
„Nun, Mr. Campbell“, sagte Kapitän Lumley, „sind Sie doch noch zu uns zurückgekehrt? Besser spät, als niemals. Sie kommen gerade noch zu rechter Zeit. Ich dachte mir schon, daß die törichte Grille, die Sie in Ihrem Briefe aussprachen, bald genug vergehen würde. Gerade jetzt, wo Sie das Examen bestanden und die besten Aussichten auf Beförderung haben, den Dienst verlassen zu wollen! Wie konnte Ihnen das nur in den Sinn kommen?“
„Die Pflicht, Sir“, versetzte Alfred, „die Pflicht gegen meine Eltern gebot es mir. Es war ein sehr schwerer Schritt für mich, aber Sie mögen selbst urteilen, ob ich anders handeln durfte.“
Alfred berichtete Kapitän Lumley getreulich, was geschehen war, welchen Plan seine Eltern gefaßt hatten, und daß seine Angehörigen an Bord des Transportschiffes seien, das sie ihrem neuen Geschick entgegenführen sollte.
Kapitän Lumley hörte Alfreds Erzählung an, ohne ihn zu unterbrechen. Nach einer Pause sagte er: „Ich denke, Mr. Campbell, Sie haben recht, und Ihr Entschluß macht Ihnen alle Ehre. Ihr Mut und Ihr Schutz wird für die Ihrigen zweifellos wertvoll sein. Aber schade ist es, daß Sie für unseren Dienst verloren sein sollten.“
„Ich bedaure es am meisten, Sir, davon können Sie überzeugt sein, aber —“
„Aber Sie opfern sich, ich weiß das. Ich bewundere den Entschluß Ihrer Eltern. Wenige würden den Mut haben, einen solchen Schritt zu unternehmen, namentlich wenige Frauen. Ich werde Ihre Eltern besuchen und ihnen meine Hochachtung aussprechen. In einer halben Stunde bin ich bereit; Sie sollen mich begleiten und vorstellen. Inzwischen können Sie Ihre alten Kameraden begrüßen.“
Alfred verließ die Kajüte, angenehm berührt von Kapitän Lumleys Freundlichkeit und begab sich zu seinen früheren Kameraden, bei denen er verweilte, bis der Hochbootsmann mit der Pfeife die Mannschaft zur Kapitänsbarke heranrief. Dann ging er auf Deck und stieg, sobald der Kapitän heraufkam, in das Boot. Der Kapitän folgte und binnen kurzem waren sie an Bord des ‚London Merchant‘. Alfred führte Kapitän Lumley seinen Eltern zu und nach Verlauf einer halben Stunde waren sie in vertrautem Gespräch, als Kapitän Lumley sagte: „Ich glaube, daß Sie, so sehr Sie in Kanada die Hilfe Ihres Sohnes bedürfen werden, seine Gegenwart an Bord des Schiffes doch wohl entbehren könnten. Einer meiner Offiziere wünscht Familienverhältnisse halber, mein Schiff zu verlassen. Er hat mich um Urlaub gebeten, doch ich hielt es für meine Pflicht, ihm denselben abzuschlagen, da wir im Begriff stehen, in See zu stechen, und ich nicht imstande war, Ersatz zu schaffen. Ihres Sohnes wegen werde ich ihn jetzt gehen lassen, und wenn Sie Alfred erlauben, an Bord des ‚Portsmouth‘ zu kommen, werde ich ihn als aktiven Leutnant in Dienst stellen. Sollte sich während der Fahrt irgend etwas zutragen, was keineswegs außer dem Bereich der Möglichkeit liegt, kann er befördert werden; wenn nichts passiert, werde ich seine Ernennung zum aktiven Offizier bestätigen lassen. In Quebec soll er das Schiff verlassen und mit Ihnen gehen. Sie werden begreifen, wenn er den Rang bekommt, er auch den Halbsold behält, was Ihnen eine gute Unterstützung sein kann, wenn er bei Ihnen in Quebec bleibt. Und wenn sich die Dinge so gut gestalten, daß Sie nach ein bis zwei Jahren ohne ihn fertig werden und Sie ihm erlauben können, in seinen Dienst zurückzukehren, hat er die wichtigste Stufe erreicht und wird, woran ich nicht zweifle, bald das Kommando eines Schiffes erhalten. Ich lasse Ihnen Zeit zur Entscheidung bis morgen. Mr. Alfred kann dann an Bord kommen, und mich dieselbe wissen lassen.“
„Ich glaube Ihnen sagen zu können, Kapitän Lumley“, versetzte Mrs. Campbell, „daß mein Mann nur einen Grund hat, der ihn zögern läßt; es ist der, daß er wissen will, ob ich mich während der Fahrt von meinem Sohne trennen möchte. Ich wäre aber eine sehr schwache Frau, wenn ich nicht ein so geringes Opfer zu seinem Besten bringen und Ihnen für Ihre gütigen Absichten im höchsten Grade dankbar sein würde. Ich denke daher, mein Mann wird es nicht für nötig halten, den Vorschlag bis morgen zu überlegen; doch er mag Ihnen selbst antworten.“
„Ich versichere Ihnen, Kapitän Lumley, daß Mrs. Campbell meine Empfindung ausgesprochen hat, und wir Ihr Anerbieten mit bestem Danke annehmen.“
„Dann“, versetzte Kapitän Lumley, „braucht Alfred nur morgen früh an Bord des ‚Portsmouth‘ zu kommen und wird dort seine Ernennung vorfinden. Wir segeln übermorgen ab, falls das Wetter einigermaßen günstig ist. Ich werde während der Fahrt Ihr Schiff im Auge behalten.“
Kapitän Lumley schüttelte Mr. und Mrs. Campbell die Hand und verließ das Schiff. Als er in sein Boot stieg, bemerkte er gegen Alfred: „Es ist ganz traurig zu denken, daß Ihre reizenden Kousinen in den Wäldern Kanadas begraben werden sollen. Morgen um neun Uhr werde ich Sie also erwarten. Leben Sie wohl!“
Obgleich Mr. und Mrs. Campbell der Gedanke, sich von Alfred trennen zu müssen, nicht angenehm war, begrüßten sie doch den glücklichen Zufall, der sich zu Gunsten ihres Sohnes bot; sie schieden in froher Stimmung, als er am folgenden Morgen Abschied von ihnen nahm.
„Kapitän Wilson, Sie segeln so gut, daß ich hoffe, Sie werden sich die ganze Fahrt über dicht an unserer Seite halten“, bemerkte Alfred, während er sich empfahl.
„Es sei denn, daß Sie mit dem Feinde zusammengeraten, dann werde ich mich in respektvolle Entfernung begeben, Mr. Alfred“, versetzte Kapitän Wilson lachend.
„Dann, natürlich! Derartige Tänze sind nichts für Damen, obwohl diese sonst gegen das Tanzen nichts einzuwenden haben — oder doch, Emma? Nun nochmals, lebe wohl. Du kannst mich bisweilen durch das Fernrohr sehen, wenn du Neigung dazu verspürst. Denke daran.“
Alfred war bald an Bord des ‚Portsmouth‘. Am nächsten Tag segelten sie bei günstigem Wind und gutem Wetter fort. Der Konvoi war nunmehr auf hundertzwanzig Fahrzeuge angewachsen.
Mehrere Tage hindurch war das Wetter leidlich, obwohl der Wind nicht immer günstig war, und die Konvoi-Flotte blieb in bester Ordnung beisammen. Der ‚London Merchant‘ war nie weit entfernt vom ‚Portsmouth‘; Alfred benutzte, wenn er nicht Schiffswache hatte, seine Zeit, das Fernrohr auf dieses Fahrzeug zu richten und die Bewegungen seiner Basen sowie der übrigen Familienglieder zu beobachten. An Bord des ‚London Merchant‘ war man ähnlich beschäftigt, und oft wurde ein Tuch als Gruß oder Erkennungszeichen geschwenkt. Endlich kamen sie bei den Ufern Neufundlands vorüber und wurden dort von einem dichten Nebel überfallen, während dessen die Kriegsschiffe beständig Kanonenschüsse lösten, um den Kauffahrteischiffen die Richtung anzugeben, in der sie steuern mußten, während letztere die Glocken zogen, um sich gegenseitig vor einem Zusammenstoß zu warnen. Der Nebel währte zwei Tage und dauerte noch an, als unsere Gesellschaft an Bord des ‚London Merchant‘ während des Mittagessens Lärm und Unruhe auf Deck vernahm. Kapitän Wilson eilte hinauf und entdeckte, daß französisches Schiffsvolk sein Fahrzeug geentert, und von dem Schiff Besitz ergriffen hatte. Er konnte nichts weiter tun, als wieder zur Kajüte hinabzusteigen, um den Passagieren mitzuteilen, daß sie Gefangene wären. Der Schrecken war nicht gering. Die Neuigkeit nahm ihnen allen den Appetit für ihr Mittagessen, das jedoch bald von den französischen Offizieren und ihren Leuten verzehrt wurde.
Kapitän Wilson, der auf Deck zurückgekehrt war, kam wieder herunter und teilte der Gesellschaft, die schweigend über den plötzlichen Wechsel ihrer Aussichten brütete, mit, daß sich ein leichter Wind erhebe und der Nebel sich zu lichten scheine. Geschähe dies noch vor der Dunkelheit, wäre Hoffnung vorhanden, daß man sie zurückkapern würde. Diese Nachricht schien Mr. und Mrs. Campbell zu beleben, und sie wurden noch mehr ermutigt, als sie in geringer Entfernung Kanonenschüsse vernahmen. Die Franzosen, welche an Bord waren, fingen an, sich sichtlich unbehaglich zu fühlen. Ein französisches Geschwader, aus einem Sechzig-Kanonenschiff und zwei Korvetten bestehend, hatte der Konvoiflotte halber auf der Lauer gelegen und sich während des Nebels unter sie gemischt. Mehrere Fahrzeuge waren gekapert und in Besitz genommen, bevor man es entdeckte; doch endlich geriet das Sechzig-Kanonenschiff nahe an den ‚Portsmouth‘, und Alfred, der auf Wache war und scharf hinausspähte, bemerkte, daß das Fahrzeug nicht zu seiner Flotte gehöre. Eilig lief er, den Kapitän zu benachrichtigen, und die Mannschaft wurde auf ihre Posten beordert, ohne daß man die Trommel schlug oder sonstigen Lärm machte, der dem Feinde ihre Nähe verraten konnte. Es wurden dann, um den Lauf des ‚Portsmouth‘ zu hemmen, die Rahen gebraßt. Nicht ein Laut war vernehmbar, und als sich die Franzosen ihnen näherten, bemerkten sie, daß ein Boot heruntergelassen wurde, um ein Schiff zu kapern; sie hörten sogar Befehle, welche in französischer Sprache erteilt wurden. Kapitän Lumley legte das Steuer nieder und ließ eine Breitseite auf den Feind feuern, der in keiner Weise darauf vorbereitet war, wenngleich seine Kanonen losgemacht waren. Die Antwort auf die Salve war der Ruf „vive la république“, und nach wenigen Sekunden waren beide Schiffe in heißem Kampf verwickelt, wobei der ‚Portsmouth‘ den Vorteil hatte, vor dem Bug seines Gegners zu liegen.
Die heftige Kanonade führte eine völlige Windstille herbei, und die beiden Schiffe verharrten in ihrer Stellung; die des ‚Portsmouth‘ war günstiger, da seine Breitseite dem Feinde zugewandt war, während jenes das Feuer nur mit vier bis fünf Kanonen erwidern konnte.
Der Nebel wurde undurchdringlicher. Vom Deck des ‚Portsmouth‘ aus konnte man von dem Franzosen nur den Klüverbaum und die Flagge des Bugsprietes sehen, während die ganze Takelage in Dunkel gehüllt war. Doch dies genügte, um den Geschützen die Richtung geben zu können, und das Feuer wurde vom ‚Portsmouth‘ aus lebhaft unterhalten. Nach einer halbstündigen unausgesetzten Kanonade hatten sich die beiden Schiffe derart einander genähert, daß der französische Klüverbaum zwischen das vordere und hintere Takelwerk des ‚Portsmouth‘ hineinragte. Kapitän Lumley gab Befehl, das französische Bugspriet an dem eigenen Mittelmaste zu befestigen. Dies geschah ohne ernstlichen Verlust, denn noch war der Nebel so dicht, daß die Franzosen auf ihrem Vorderkastell nicht sehen konnten, was an der Spitze ihres Bugsprietes geschah.
„Jetzt ist es unser“, sagte Kapitän Lumley zum Oberleutnant.
„Ja Herr Kapitän. Ich glaube, wenn der Nebel sich lichtete, würden sie ihre Flagge einziehen.“
„Ich sage, sie verteidigen sich bis aufs letzte“, sagte Kapitän Lumley, sich zum Oberleutnant wendend.
„Es klärt sich ein wenig auf, Herr, gegen Norden zu“, erwiderte der Oberleutnant.
„Ich sehe — wirklich!“ entgegnete Kapitän Lumley. „Nun, wir werden jetzt sehen, was aus aller Munition geworden ist, die wir verpufft haben.“
Ein Streifen zeigte sich am Horizonte, der sich allmählich verlängerte und breiter wurde. Als der Streifen sich näherte, wurde das Licht heller und das Wasser kräuselte sich unter dem auffrischenden Winde, bis endlich der Nebel verschwand. Nun waren Zustand und Lage des Konvois wie der streitenden Schiffe deutlich zu übersehen. Kapitän Lumley erkannte, daß der Kampf beinahe im Mittelpunkte des Konvois stattgefunden hatte, welcher ihn noch umgab, mit Ausnahme von etwa fünfzehn Schiffen, deren Spitzen der entgegengesetzten Richtung zugewandt waren. Die beiden Fregatten, welche mit der Nachhut des Konvois betraut waren, befanden sich noch einige Meilen entfernt, spannten aber alle Segel auf, um dem ‚Portsmouth‘ zu Hilfe zu eilen. Viele Schiffe des Konvois, die in der Richtung des Geschützfeuers gelegen hatten, schienen an ihren Segeln und Masten beschädigt zu sein. Das französische Linienschiff hatte unter dem Feuer des ‚Portsmouth‘ entsetzlich gelitten. Sein Haupt- und Mittelmast lagen auf der Seite; von den vorderen, übereinanderliegenden Schießöffnungen waren viele zusammengeschossen, und alles an Bord schien in größter Verwirrung.
„Es kann sich nicht mehr lange halten“, bemerkte Kapitän Lumley. — „Feuert weiter, meine Burschen!“
„‚Circe‘ und ‚Vixen‘ kommen auf uns zu, Sir“, bemerkte der Oberleutnant; „wir brauchen sie nicht mehr und sie würden den Franzosen nur als Vorwand dienen, sich der Übermacht zu ergeben. Wenn sie die genommenen Schiffe wieder kaperten, würden sie von größerem Nutzen sein.“
„Sehr wahr! Mr. Campbell, gebt ihnen Signal, die gekaperten Schiffe zu verfolgen!“
Alfred eilte den Befehl auszuführen. Soeben hatten sich die Flaggen an der Spitze des Mastes entfaltet, als eine Flintenkugel in seinen Arm drang, denn da die Franzosen den größten Teil ihrer Kanonen nicht benutzen konnten, richteten sie, seit der Nebel sich geklärt hatte, unaufhörlich Musketensalven auf das Deck des ‚Portsmouth‘. Alfred bat den Quartiermeister, ihm das Halstuch abzunehmen, um damit seinen Arm zu verbinden; nachdem dies geschehen war, setzte er seinen Dienst fort. Von den Franzosen wurde noch ein Versuch gemacht, ihr Schiff zu befreien, indem sie die Fesseln des Bugspriets zu durchschneiden trachteten. Aber die Mannschaft des ‚Portsmouth‘ war darauf vorbereitet, und nachdem etwa zwanzig tapfere Kerle auf die Planken des ‚Portsmouth‘ niedergefallen waren, wurde der Versuch aufgegeben. Vier Minuten später senkte sich die französische Fahne. Der Oberleutnant und ein Teil der Matrosen drangen vom Bugspriet aus in das Schiff. Die Stricke wurden durchschnitten, und die Fahrzeuge voneinander gelöst.