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Kapitel 6

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Im Jahr 1902 hatte der Onkel von meinem Großvater Schumacher für die Gemeinde in der Hallenstraße 22 einen Kindergarten gebaut. Diesen habe ich als Kind auch selbst besucht. Die Kinder wurden immer von evangelischen, christlichen Schwestern in Tracht betreut. So gab es auch die rote Sophie. Im ersten Hausgeschoss war der Spielraum für die Kinder, im Gang führte eine Treppe hoch zu den Schlafräumen der Schwester. Diese berichtete von einem Gepolter in ihrem Schlafzimmer und einer weißlichen Gestalt, die sie entfliehen sah. Es spukte. Der Oberkirchenrat in Karlsruhe entsandte einen Spezialisten in diesen Sachen. Aber der Spuk blieb. Dies hatte erst ein Ende, als 1958 der Kindergarten hinter die Kirche verlegt wurde, und meine Eltern Eigentümer von der Hallenstraße 22 wurden. Das Haus wurde umgebaut. Die ersten vier Wochen musste mein Vater mit mir und meinem Bruder allein in dem Haus übernachten, weil wir austesten mussten, ob sich das Gespenst noch im Haus befindet. Als wir alle drei versicherten, von dem Spuk nichts bemerkt zu haben, war meine Mutter bereit in das Haus einzuziehen. Mit dem Umzug wurde auch das Geschäft meines Vaters in den ehemaligen Spielraum des Kindergartens verlegt. Das Wirtschaftswunder war in vollem Gange. Anstelle eines VW, fuhr mein Vater nun einen Mercedes 180 D. Mit den Schulzes fuhr man in Urlaub.

In Durbach, im Schwarzwald, wurde ein Ferienhäuschen angemietet, in dem alle acht Personen Unterschlupf fanden. Dort reizte mich Gerd Schulze dermaßen, dass ich ihn kurzerhand verprügelte. Auch mein Bruder bekam etwas ab. Der Güte und dem guten Zureden meiner Mutter war es zu verdanken, dass der Urlaub dennoch harmonisch verlief. Von da an, machten wir den Urlaub immer allein.

Dem Hof von meinem Onkel Karl gegenüber lag das Haus der Frau Lotte Kiel. Diese war Näherin und Freundin meiner Mutter. Zu einer Theaterveranstaltung bei der Schule brauchte ich einen Schornsteinfegeranzug. Also musste ich zu Frau Lotte Kiel. Um meine Maße zu nehmen, sollte ich mich ganz ausziehen. Ich wehrte mich mit Händen und Füßen. Mit Mühe gelang es der Lotte Kiel und meiner Mutter mir meine Unterhose auszuziehen. Ich aber entwischte den beiden und rannte nackt, wie ich war, durch den halben Ort nach Hause. Als mich später meine Mutter fragte, warum ich das gemacht hätte, sagte ich: „Die Lotte sollte mein Spitzle (Penis) nicht sehen.“ Die Frau Lotte Kiel hatte auch einen Sohn Jürgen in meinem Alter. Immer wenn ich diesem begegnete, bekam er eine Tracht Prügel.

In dieser Zeit bekamen wir auch ab und zu Besuch von Omi. Sie wohnte damals bei dem Fürstenbergs in Bruchhausen. Es war im Herbst, die Zeit der Apfelernte. Omi, die in höheren Sphären schwebte, war zu niedrigen Dienstleistungen nicht zu gebrauchen. Da aber die Sonne schien, spazierte sie hinaus zu dem Obstgarten und beobachte das eifrige Treiben der Apfelernte. Da die Obstbäume verschiedene Apfelsorten trugen, wurden die geernteten Äpfel in getrennten Körben sortiert. Omi begab sich unter einem Apfelbaum mit der Obstsorte „Kriegers Dickstiel“, um sich vor der Sonne zu schützen. Da baumelte vor ihrer Nase ein prächtiger Apfel, der sie anlachte und den sie pflückte. Sie fragte mich, in welchen Korb, sie den Apfel legen solle. Da antwortete ich: „Omi, do frogt ma net, des wois ma“ (Omi, da fragt man nicht, das weiß man). Einmal, als ich schon selbst Kinder hatte, erzählte mir die Omi diese Episode und sagte zu mir: „Ich habe damals über deine Antwort lange nachgedacht. Dann ist sie mir zur Lebensweisheit geworden. Ich habe künftig, bevor ich gefragt habe immer überlegt, ob ich klugerweise eine solche Frage stelle!“

Im Kolonialwarenladen meiner Oma, beziehungsweise dem von Tante Berta, gab es links Lebensmittel und rechts Kurzwaren. Jeden Abend gegen 17 Uhr kam der Mann meiner Tante Berta, Heiner, Onkele genannt, in den Laden und scherzte mit mir. Er brachte mir ab und zu auch etwas mit, deshalb wartete ich jeden Tag gespannt auf ihn. Tante Berta lauerte aber aus anderen Gründen auf ihn. Sie schnüffelte ihn ab, weil sie die Besorgnis hegte, dass fremdes Parfüm an ihm hafte. Er tat dies aber mit ein paar scherzhaften Bemerkungen ab, so dass ich dazu lachte, was mir die Tante Berta oft übel nahm. Er fragt auch öfter, ob Tante Auguste aus Bretten im Haus gewesen sei, wenn es besonders aufgeräumt war. Tante Auguste liebte nämlich peinlich reine Räume. Da regte sich dann Tante Berta jedes Mal darüber auf, weil er sich darüber lustig machte und von dem Parfümproblem ablenkte.

Onkel Karl war der Hofbauer. Er war Herr über 20 Knechte und Mägde. Ich kann mich noch selbst an den letzten Knecht Fritz Glauner erinnern, der in einer Art besserem Stall, gleich neben der Einfahrt lebte. Onkel Karl hatte es mit seiner Frau Mina nicht ganz einfach. Sie herrschte über die Knechte- und Mägdeschar mit eiserner Härte. Wegen dieser Eigenschaft wurde sie auch „Breimarder“ genannt. Früh morgens um 5:00 Uhr ging es auf die Felder und abends um 17:00 Uhr zurück. Onkel Karl, der auch Jäger und Schnapsbrenner war, fuhr die arbeitssame Schar, samt seiner Frau Mina auf die Felder. Auf dem Rückweg hielt er mit seinem Fuhrwerk im Gasthaus „Zum Lamm“ an und ging zum Frühschoppen. Dann erschien er mit schrägem Hütchen auf dem Kopf bei seiner Schwiegertochter Toni. Diese hat mir in späteren Jahren bild- und tonreich alles geschildert, immer begleitet von den Worten: „Solche Sachen, waisch, Friedbert, waisch.“ (Diese Sachen, musst du wissen, Friedbert). Onkel Karl hatte seiner Schwiegertochter Toni angelernt, wie man Schnaps brennt. Als er nach dem Frühschoppen bei ihr ankam, ging er mit ihr zur Schnapsbrennerei, damit sie den Schnaps zubereite. Nachdem alles anlief, verließ er sie und fuhr ins Gasthaus „Zum Lamm“ zurück, um dort eine Brotzeit mit Schluck zu nehmen und verließ dieses dann in Richtung Schloss Straße. Dort wohnte die Schulfreundin meiner Mutter, Anna Kurz. Der Besuch dauerte bis etwa 16:00 Uhr, als die Glocke zum Vesper rief. Dann fuhr er mit seinem Fuhrwerk auf die Felder hinaus und sammelt die fleißige Schar von Knechten und Mägden, samt seiner Frau, auf. Alle waren guter Laune, die Felder waren bestellt, und der Schnaps war gebrannt. „Solche Sachen“, sagte die Toni.

Manchmal erschien auch der Zollbeamte von Bretten mit dem Zug. Er kontrollierte die Schnapsbrennerei. Es mussten alle Obstsorten vorhanden sein, die zum Schnapsbrennen angemeldet sind. War dies nicht der Fall, gab es eine empfindliche Geldstrafe oder die Schnapsbrennerei wurde für zwei Jahre geschlossen. Onkel Karl konnte mich für diese Zwecke gut gebrauchen. War nämlich ein Schnapsbrenntag angesagt, schickte ich meine Burschen zum Bahnhof, der etwa 1 km entfernt lag. Kam dann eine männliche Person im dunklen Anzug und Aktentasche aus dem Zug von Richtung Bretten, gab es Alarm. Otto gab diese Information an Gerd weiter, der auf ein bereitgestelltes Fahrrad sprang und bei mir und Onkel Karl in der Schnapsbrennerei erschien. Jetzt dauerte es noch 10 Minuten bis der Zollbeamte erschien. Der Onkel hantierte nun geschäftig mit seinen Helfershelfern an den Obsteimern und Fässern. Ich holte die Toni, die sich an die Toreinfahrt mit einer Flasche Schnaps und einem Gläschen stellte. Da kam der Zollbeamte auch schon. „Gudde Dagg“, sagte die Toni, „sense a mol widder do, nemmet se erschtmol ä Gläsle.“ (Guten Tag, sagte die Toni, sind sie auch mal wieder da, nehmen Sie erst mal ein Glas Schnaps). So geschah es dann auch und Onkel Karl gewann wieder 5-6 Minuten. Wenn die Kontrolle dann getan war, und die Schnapsflasche der Toni geleert war, der Zollbeamte ein ordentliches Vesper zu sich genommen hatte und noch einige Würste für seine Frau mitnahm, verschwand dieser mit dem Mittagszug nach Bretten. Und wir Kinder lachten herzhaft bei der Meldung: „Er ist weg“.

Weltreise in 70 Jahren - Band I

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