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Kapitel 4

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Meine Oma, genannt Omi, heiratete am 3.9.12 den Leutnant vom 15. bayrischen Regiment in Neuburg, Herbert. Am 5.1.1913 gebar sie in Straßburg meinen Vater Hermann. Am 21.2.1916 fiel mein Großvater in Verdun. Mein Vater kam dann zu den Pflegeeltern Jokers in Kork. Omi bekam eine Stellung als Gesellschafterin bei Baron de Rothschild.

Sie reiste mit ihm, der behindert war, als Gesellschaftsdame in ferne Länder. 1939 begleitete sie Baron de Rothschild bei seiner Flucht vor den Nazis nach New York und Los Angeles in die USA. In dieser Zeit hatte sie steten Schriftverkehr mit ihrem Sohn Hermann. Im Januar 1942 schickte er ihr ein Bild mit meiner Mutter mit folgendem Text: „Meiner lieben Mutter, die erste Vorstellung meiner Braut, abgeschickt aus Russland“. Nach dem Krieg war Omi Gesellschafterin bei der Familie Fürst von Fürstenberg in Bruchhausen im Sauerland und später bei Baron von Cramm im Schloss Oelber, bei Hildesheim. Ihren Lebensabend verbrachte sie im Lehrerinnenheim in Baden-Baden in der Maximilianstraße 44. Dieses liegt dem Kloster Lichtenthal gegenüber. Als ich meine Großmutter kennenlernte, musste ich zu ihr „Omi“ sagen. Mein Vater war auf Omi, er sagte Ömchen, nicht gut zu sprechen, dagegen war meine Mutter sehr herzlich zu ihr. Omi mochte meinen Bruder Hermann. Mich mochte sie nicht, weil ich zu wild war und nach ihrem Geschmack nicht die feinen Manieren besaß. Sie trug immer Handschuhe und einen Hut. Sie verkehrte nach wie vor mit der besten Gesellschaft der Welt und Baden-Baden, mit dem Bürgermeister, mit dem französischen Kommandanten mit dem Botschafter und so weiter. Wenn meine Familie sie in Baden-Baden besuchte, wurde im Bären, einem renommierten Hotel, in der Nähe eingekehrt. Dort aß sie von den drei Häppchen, die sie bestellt hatte, nur einen ganz kleinen Teil und sprach immer die Worte „vorzüglich“. Dann befahl sie dem Kellner den Koch zu holen, der auch dann tatsächlich am Tisch erschien. „Mein Lieber“, begann sie, „köstlich, ganz vorzüglich, superbe.“ Das Trinkgeld besorgte meine Mutter. Dann durfte der Koch, begleitet von einer leichten Handbewegung von Omi, wieder in seine Küche zurück. Omi verstarb am 30.6.1989 in Baden-Baden, mein Vater am 28.8.1980 in Wössingen. Sie hat mir ein Gedicht hinterlassen, was ihre Empfindungen schildert, bei den langen Wanderungen in Baden-Baden entlang der Oos:

„Entlang der Oos,

ist immer etwas los.

Enten, Erpel, kunterbunte,

schwimmen munter ihre Runde.

Schnattern laut mit Zuversicht,

wenn Herr Meyer ist in Sicht.

Diesen kennen Sie genau,

und auch seine Ehefrau.

Denn sie kommen mit den Säcken,

worin die Brennerbrötchen stecken.

Klein geschnitzelt mit Salat,

Enten finden's delikat.

Auch die Spatzen laben sich,

an dem köstlichen Gemisch.

Ja, so gibt es noch viel zu sehen,

doch du musst nach draußen gehn.

Wie gesagt entlang der Oos,

da ist immer etwas los.“

Im Jahr 1956 kam neuer Schwung in die Fribbebande. Der Anführer, also ich, konnte lesen. Dies war ein entscheidender Wissensvorsprung gegenüber den anderen Bandenmitgliedern. Ich verschlang ein Karl May Buch nach dem anderen. So war mein Kopf gefüllt mit Indianern und Cowboys mit Winnetous und Old Shatterhands. Dieses Wissen gab ich an meine Bandenmitglieder weiter. Sie bildeten einen Kreis um mich und ich erzählte stundenlang die spannendsten Storys, wobei ich das Karl May Vorbild nach dem Modefilter der damaligen Zeit variierte. Es blieb dann nicht allein beim Lesen, die Abenteuer wurden auch in die Tat umgesetzt. So machten wir von feindlichen Banden, Gefangene. Diese wurden an Bäumen festgebunden und gefoltert. An Blessuren wurde nicht gespart. Als Poppel eine feindliche Squaw fast skalpierte und ein älterer Junge von mir einen Messerstich bekam, mischte sich immer mehr der Ortspolizist in unsere Umtriebe ein. Mein Vater hatte in dieser Zeit alle Hände voll zu tun, um derartige Anfeindungen von mir abzuwehren. Da ich wildes, krauses Haar hatte, bildete sich der Spruch: „Krummes Haar und krummer Sinn und da hockt der Teufel drin.“

Eines Tages kam Schorschle zum Bandenrat und erklärte, dass er die nächsten zwei Monate nicht mehr kommen könne, da er die fünf DM bei seinem Vater abarbeiten müsse. Es gebe aber eine Möglichkeit, wenn er Karbid bekäme. Karbid ist ein weißliches steinartiges Gebilde, das man in eine Büchse legt und darauf spuckt. Die Büchse hat an der Unterseite ein Loch, und wird mit einem Deckel verschlossen. Die Spucke veranlasst das Karbid Gase zu entwickeln, die sich an dem Büchsenloch stauen. Wenn man nun ein Streichholz an das Büchsenloch hält und die Büchse gut befestigt hat, fliegt der Deckel mit einem ohrenbetäubenden Knall davon. Bei Hochzeiten wurde dieser Kanonendonner bis in die Sechzigerjahre angewendet. Nun gab es mitten im Ort einen Ziegenstall. Dort wurde der Gemeindebock mit Namen Orleander gehalten und von Heinrich auf der Steig, dem Ziegenzüchter, betreut. Gegen ein Entgelt von fünf DM konnte jeder Besitzer einer Ziege, diese von Orleander beglücken lassen. Heinrich auf der Steig war der Bruder des Feldschützen. Der Vater von Schorschle besaß eine reizvolle Ziege mit dem schönen Namen Dorlanda. Schorschle hatte nun den Auftrag Dorlanda Orleander zuzuführen und dem Bockhalter Heinrich auf der Steig fünf DM auszuhändigen. Dies war die Gelegenheit endlich an fünf DM heranzukommen, um der verhassten Arbeit zu entrinnen. Der Plan war, mit fünf Karbidbüchsen, den Heinrich auf der Steig so zu verängstigen, dass er seine Dienstpflicht, den Bock zu beaufsichtigen, vergaß. Wir wollten dem Schorschle helfen. Er bekam sein Karbid. Vor dem Bockhalterhäuschen war die Koppel für den Gemeindebock. Dahinter gab es eine weitere Koppel, wo zunächst die Ziegen untergebracht wurden, bevor sie zu Orleander gebracht wurden. Dort befestigten wir die fünf Karbidbüchsen. Am Tor der Koppel vom Gemeindebock stand Schorschle mit Dorlanda. Poppel zündete den ersten Böller. Schon sprang Heinrich auf der Steig in Richtung Ziegenkoppel. Da krachte der Böller von Klaus Papier. Erschreckt blieb Heinrich auf der Steig, wie angewurzelt stehen. Er war vor noch nicht allzu langer Zeit Soldat gewesen und kannte die furchtbaren Wirkungen einer Granate ganz genau. Den nächsten Böller zündete Gerd Hartfilder. Das war zu viel. Heinrich auf der Steig flüchtete in Richtung Rathaus. Nun war die Stunde für Schorschle und seine Dorlanda gekommen. Er führte die Ziege am Strick zum Gemeindebock. Es stank fürchterlich. Das Testosteron des Gemeindebocks penetrierte nicht nur die Ziege, sondern die ganze Umgebung. Nach getaner Arbeit brachte Schorschle, die nunmehr trächtige Ziege, zu seinem Vater. Er vergaß allerdings das Tor zu schließen. Der vierte und fünfte Böller verängstigte den Bock dermaßen, dass er seine Koppel verließ und in Richtung Jöhlingen flüchtete. Als keine Böller mehr zu hören waren und von dem Ziegenstall keine Gefahr mehr ausging, erschien der Ortspolizist mit Heinrich auf der Steig. Alsbald ertönte die Feuersirene, so dass die Feuerwehr ausrückte und nach geraumer Zeit den geflüchteten Oleander wieder zurückbrachte. Unterwegs hatte es Oleander aber nicht verabsäumt in den Vorgärten sich mit frischen Kräutern den Bauch vollzuschlagen und in Jöhlingen noch zwei katholische Ziegen zu beglücken. Als der Schorschle aber seinem Vater die fünf DM zurückzahlte, wurde er von diesem verprügelt. Er wollte nämlich nicht angeben, woher er das Geld hatte. Wir waren aber froh, dass er sich unserer Bande wieder anschloss.

Als wir am nächsten Sonntag bei Schulzes zu Besuch waren, beäugten mich Ursel und Hildegard misstrauisch. Bevor ich die Babypuppe anrühren durfte, um sie mit dem Weihwasser zu segnen, schauten die Mädchen in den Innenteil der Puppe. Sie hatten Angst, dass sie explodieren könnte. Die Ursel hatte noch gute Erinnerung an die Weihnachtskugeln. Übrigens sagte Hildegard schelmisch zu mir „Mein Papa hat aus der Gemeindekasse dem Papa der Ursel einen Schrank gekauft, damit gefährliche Substanzen gut verwahrt werden können. Ich weiß aber nicht, wo Papa den Schlüssel verwahrt“ setzte Ursel nach. Die Unbefangenheit zwischen den Mädchen und mir hatte einen ersten Riss bekommen. An diesem Tag verlor ich jedes Spiel im Tischtennis gegen Adolf Schulze. Ich zweifelte an Gottes Gerechtigkeit und schmollte ein wenig. Denn ich war der bessere Spieler.

Weltreise in 70 Jahren - Band I

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