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Kapitel 3

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Im Gymnasium in Bretten war man noch nicht soweit. Die meisten meiner Mitschülerinnen und Schüler feierten erst zwei Jahre später Konfirmation. Allerdings war ich nicht mehr der Älteste in der Klasse. Einige Repetenten füllten mein Alter aus. Mein Papa wollte nicht, dass ich ins Gymnasium gehe. Er hatte mich als seinen Nachfolger im Auge und wollte deshalb, dass ich eine kaufmännische Lehre beginne. Meine Mutter wollte, dass ich zum Gymnasium überwechsle. Sie wurde unterstützt von meinem Patenonkel Pfarrer Heinrich Lilli, der immer zu mir sagte: „Nana lieber Friedbert, Du kannst auch mal Pfarrer werden.“ Zur Unterstützung seiner Ansprache schenkte er mir einige theologische Bücher. Auch die Pfarrfrau, meine Tante Sophie, sah in mir einen künftigen Pfarrer. Mein Vater gab den Widerstand auf. Ich musste zu Lehrer Singer, einem Verwandten von Pfarrer Onkel Heinrich nach Bretten, um mich für die Aufnahmeprüfung ins Gymnasium vorzubereiten. Das klappte dann auch prima. Meine Mutter hatte sich, wie immer bei ihrem Mann durchgesetzt. Sie durfte in dieser Zeit auch den Autoführerschein machen. Mein Vater war dagegen, weil es Geld kostete und er sich gar nicht vorstellen konnte, dass eine Frau Auto fahren kann. Außerdem war er auf den Fahrlehrer, Harald Sick, eifersüchtig. Die vielen Auseinandersetzungen zwischen den Eheleuten haben sich aber gelohnt, denn meine Mutter bestand die Fahrprüfung und fuhr auch künftig Auto.

Im Gymnasium wurden 1963, also in der Quarta, die Klassen neu verteilt. Diejenigen Schüler, die sich für Latein entschieden hatten, kamen in die Klasse B, die anderen in die Klassen A und C. Ich kam in die Klasse A, weil ich mich für Französisch entschieden hatte. Dies tat ich meinem Vater zu Liebe, der perfekt französisch sprach. Dort traf ich zum ersten Mal auf Dietmar Reimers, als er sich neben mich auf die Schulbank setzte. Er hatte zum zweiten Mal die Klasse wiederholt und war etwas älter als ich. Reimers war groß, blond und grinste über das gesamte Gesicht. Er sprach nicht badisch, sondern hochdeutsch, weil er von Hannover stammte. Kurz gesagt, er passte ins Beuteschema der Lehrer. Martin, Deutsch- und Geschichtslehrer, war sein besonderer Feind. Dies schon deshalb, weil seine deutsche Aussprache, der Aussprache des Oberstudienrats Martin, der sich um ein hochdeutsches badisch bemühte, übertraf. Reimers bekam dies zu spüren. Aber er wehrte sich. Wenn Oberstudienrat Martin die Schulklasse betrat, zog er sein Notenbuch, lies seine Blicke über alle Schülerinnen und Schüler schweifen und stellte eine Fachfrage. Die Frage war immer so heimtückisch, dass alle Schülerinnen und Schüler erschraken. Die schreckensbleiche Klasse vor Augen, stellte er nun um die Sache auf die Spitze zu treiben, folgende Frage: „Wer meldet sich freiwillig?“ Keiner meldete sich, alles war mucksmäuschenstill. Jeder hoffte im Stillen, dass nur er nicht aufgerufen würde. Nun besah sich Lehrer Martin ein Gesicht nach dem anderen und verglich es mit seinem Notenbuch. Alle Mitschülerinnen und Mitschüler senkten den Blick. Damit Martin nicht auf den Gedanken käme, ihn oder sie hervorzurufen. Nur einer grinste ihn frech und hämisch an: Reimers. Er kam bei Oberstudienrat Martin so oft dran, dass Reimers für die restliche Klasse eine echte Entlastung war. Zu Gunsten von Oberstudienrat Martin möchte ich noch anmerken, dass er vielleicht ehrlich glaubte, dass Reimers die Frage beantworten kann. Jedes Mal war dies aber nicht der Fall. Um der Sache eine Wende zu geben, schlug ich, als Klassensprecher, folgendes Vorgehen vor: Sobald Oberstudienrat Martin seine Fachfrage stellt und hinzufügt: „Wer meldet sich freiwillig?“ sollen alle Mitschüler den Arm heben und sich melden. So geschah es dann auch. Oberstudienrat Martin war völlig unbeeindruckt. Er zog wie immer sein Notenbuch heraus und bat dann einen der Schüler vorzutreten. Es war aber nicht Reimers.

Oberstudienrat Martin vergaß auch nicht pädagogische Lehren zu erteilen. Dies bekam mein Freund Eberhard Staal zu spüren. Der Lehrer Martin fragte Eberhard Staal einige geschichtliche Daten ab. Dann kam seine gefürchtete Zusatzfrage: „Mit wem hat sich Napoleon auf der Insel Elba getroffen?“ Eberhard Staal war so überrascht, dass er einfach schwieg. Daraufhin malte Oberstudienrat Martin einen Muskelmann an die Tafel mit einem kleinen Kopf. Daneben zeichnete er einen Mann, der auf den Kopf des Muskelprotzes zeigte. „Diesen kriegen wir auch noch wegtrainiert, sagt dieser Mann“ erklärte Oberstudienrat Martin. Da stand Reimers plötzlich auf und prustete in das Klassenzimmer: „Der Muskelprotz sieht Ihnen aber täuschend ähnlich, Herr Oberstudienrat!“ Die ganze Klasse lachte bis die Pausenklingel davon erlöste. Oberstudienrat Martin aber verdrückte sich klammheimlich.

Mein Bruder hatte einen Sportunfall beim Fußballspielen im Melanchthon-Gymnasium. Er bekam einen Fußballschuh in die linke Niere, sie blutete. Er musste ins Krankenhaus in Karlsruhe.

Dort wurde er am 31. Januar 1946 geboren. Ebenfalls bei Professor Linzenmeier. Von dessen Säuglingsschwestern wurde meiner Mama die neue Methode der Babybetreuung beigebracht. Diese lautete: „Das Baby schreien lassen und nicht dauernd füttern.“ Meine Mama nahm das zu genau, so dass der arme Kerl abmagerte. Erst bei einer Nachuntersuchung stellte Professor Linzenmeier dies fest und nun wurde mein Bruder zu einem properen Kerlchen hochgepäppelt. Ich glaube, dass die Phase von der Unterernährung bis zu dem Schlag auf die Niere meinen Bruder so beeinflusst hat, dass er in dieser Zeit ein ruhiges und liebes Kind war. Nach dem Schlag auf die Niere war Hermann ein völlig anderer Mensch. Der Französischlehrer Kleinheinz charakterisierte ihn kurz und knapp mit den Worten: „Wirbler und Blöffer“. Das sah mein Vater aber nicht so. Am 1.2.1959 schrieb er an den Klassenlehrer Bläsi über seinen Sohn folgendes: „Wir müssen einen Ausweg für ihn suchen. Seine ehrlichen Bemühungen, seine Art und sein anständiger Charakter dürften in doch wertvoll machen, dass er es verdient.“ Welch ein Glück war nun, dass meine Mutter einen Führerschein besaß. So fuhren wir alle zwei Tage nach Karlsruhe um meinen Bruder zu besuchen. Sonntags fuhr auch Papa mit und wir begaben uns anschließend ins Elsass zum Mittagessen. Da aber lenkte Papa seinen geliebten Mercedes selbst. Mit meiner Mutter fuhr ich gern nach Karlsruhe, denn nach dem Besuch bei meinem Bruder, ging's zum Einkaufen. Da fiel immer etwas für mich ab. Bei einem Cash & Carry Geschäft wurden die Lebensmittel eingekauft und dann ging es anschließend die Kaiserstraße rauf und runter. Dort kaufte sich meine Mama etwas Hübsches und ich bekam die gerade gängigen Klamotten. Solche hatte niemand in Wössingen und Bretten je gesehen. Da konnte ich glänzen.

Mit dem Geschäft in Wössingen ging es aufwärts. Die Werbeträger, wie Glasplakate, Zahlteller und Aschenbecher wurden anfänglich lithografisch, also im Steindruck manuell hergestellt. Ein Glasplakat war bis zu zwei Meter hoch und mit einem eisernen und lackierten Rahmen versehen. Die Werbeglasfläche wurde oft verspiegelt und mit lithografischem Werbedruck, wie z.B.: „Adler Bräu, dein Herz erfreu“, präsentiert. Es entstanden wahre Kunstwerke. Es gab auch Spiegel mit dem hinter Glas Werbeaufdruck „Gala Mieder, Göppingen“. Der Drucker war Karle, der Sohn von Onkel Karl. Aschenbecher und Zahlteller wurden in der Regel mit Abziehbildern beklebt und später in einem Brennofen bei etwa 550 Grad Celsius eingebrannt.

Nach dem Gymnasium absolvierte mein Bruder eine Lehre als Industriekaufmann. Er wurde bei der Farbenfabrik Marabu in Tamm ausgebildet. Da er den Abschluss mit Erfolg bestand, durfte er den Führerschein machen. Danach studierte er bei Professor Werner Weißbrodt in der Kunst- und Werkschule in Pforzheim, Grafikdesign.

Weil Hermann den Führerschein hatte, ging es auf große Fahrt in Ferien nach Südfrankreich. Mein Papa besorgte extra einen Wohnwagen, so dass dieser mit dem Mercedes einen herrlichen Anblick bot. Mein Bruder fuhr, Papa saß daneben, und Mama und ich hinten. Hermann bemühte sich alles aus dem Mercedes rauszuholen. Besonders in den französischen Seealpen war die Kurvenfahrt derart anstrengend, dass man manchmal meinte, der geliehene Wohnwagen käme nicht hinterher. Hermann sagte immer lachend: „Regt euch nicht auf, schaut auf´s Massiv“. Mehr tot als lebendig, kamen wir dann in Antibes auf einem Campingplatz in Südfrankreich an. Es war brütend heiß. Meine Mama sagte immer „Jetzt sind wir zwischen Kahn und Nieza (Cannes und Nizza)“. Papa holte sich am nächsten Tag einen Sonnenbrand, so dass er nicht mehr schlafen konnte. Um die Schmerzen zu lindern, wälzte er sich in Mehl.

In dieser Zeit gab es nur Franzosen auf dem Campingplatz, es war deren Hauptferienzeit. Diese zogen für sechs Wochen mit Sack und Pack, also Oma, Eltern, Kindern, Enkeln sowie Hühnern und Katzen auf dem Campingplatz. Die Oma kochte und die anderen gingen an den Strand. Wir wurden öfter zum Essen eingeladen, was Papa gut schmeckte.

Mein Bruder, obwohl er französisch kaum konnte, wirbelte und blöffte enorm bei den jungen französischen Mädchen. „Les petites demoiselles“ waren ihm zugetan, „attention!“ Noch lange nach dem Urlaub kamen französische Briefchen und Karten, die er mir übergab. Beantwortet hat er diese nie. Da er glaubte, dass ich besser französisch spreche, erwartete er, dass ich diese Arbeit übernehme. Dazu hatte ich aber keine Lust.

Nach dem Urlaub bekam Papa einen Schlaganfall. Er hatte einfach zu viel gegessen. Dies war ein böses Erwachen für die Familie und die Firma. Die Zukunft stand auf der Kippe.

Weltreise in 70 Jahren - Band I

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