Читать книгу Gol - Friedrich Schmidt-Roscher - Страница 16
Kapitel 13
Pfingstsonntag, 8. Juni, später Nachmittag, deutsches Quartier
ОглавлениеPfingsten war der Familientag im deutschen Quartier. Das Trainingslager in Mexiko war beendet und die Spieler konnten zwei freie Tage mit Ehefrauen, Freundinnen oder Angehörigen verbringen. Die meisten nutzten die beiden Tage, um die Altstadt von Olinda zu besichtigen. Einige reisten zu den weltberühmten Wasserfällen von Iguaçu im Grenzgebiet zu Argentinien. Wenige Funktionäre und Betreuer blieben in der Ferienanlage zurück. Monsignore Michael Braun nahm mit anderen Offiziellen an der Heiligen Messe in der Basilika von Salvador teil.
Cacau machte Forte den Vorschlag, einen evangelischen Pfingstgottesdienst zu besuchen. Zu seiner Überraschung schloss sich ihnen Thorsten Grasse, der Busfahrer der Nationalmannschaft, an. Mit dem Leihwagen des Hotels chauffierte Cacau die beiden Männer in die Innenstadt von Porto Seguro. Schon von weitem sahen sie das lila Leuchtkreuz der „Assembléia de Deus“.
„Die Assembléia de Deus gibt es in ganz Brasilien. Sie hat im Ganzen mehr als 8 Millionen Mitglieder. Hier ist die Gemeinde nicht so groß“, erzählte Cacau. „Ohne diese Pfingstgemeinde hätte ich den Weg zu Jesus nicht gefunden. Dann würde ich heute in einer Baracke wohnen oder im Gefängnis sitzen. Die Gemeinde hier kenne ich nicht.“
Das Kirchengebäude unterschied sich äußerlich nicht von einer Fabrikhalle. Im Foyer hörten sie laute Musik. Ein Mann begrüßte den Fußballer mit einer Umarmung. Im Gottesdienstraum standen viele Menschen und streckten die Arme nach oben. Auf der Bühne spielte eine Band laute lateinamerikanische Rhythmen. In der Halle herrschte eine ausgelassene Stimmung. Die drei Männer suchten sich im hinteren Bereich einen Platz auf einem weißen Plastikstuhl. Cacau stand auf und sang viele Lieder mit. Als die Musik endete, gingen vier Menschen auf die Bühne, um von ihren Erfahrungen mit Gott zu sprechen. Forte wusste, dass man das „Zeugnis ablegen“ nannte. Cacau übersetzte leise einige fromme Statements.
Nun betrat der Pastor die Bühne. Er stellte sich als Bruno vor und gewann die Herzen der Leute durch eine humorvolle Bemerkung. Der Pastor trug ein weißes Hemd über seiner blauen Hose. Er sprach über das Geschenk des Geistes. Seine Rede wurde immer wieder von Applaus unterbrochen. Der zierliche Mann besaß die Gabe, Menschen in seinen Bann zu ziehen.
Cacau flüsterte Forte ins Ohr: „Er hat früher Fußball gespielt. Dann hat er ein schlechtes Leben geführt bis er zu Jesus gefunden hat. Nun ist er ein neuer Mensch.“
Am Ende der Predigt erinnerte Bruno seine Gemeinde an den Zehnten. Mit pathetischer Stimme beschwor er die Menschen 10 Prozent des Verdienstes an Gott zu geben. Wer den Zehnten nicht bezahle, riskierte Gottes Segen zu verlieren. Als einige Mitarbeiter mit dem Klingelbeutel herumliefen, sah Forte, dass sie gut mit brasilianischen Banknoten gefüllt waren.
Zwei Stunden später diskutierten die drei Männer nach dem Mittagessen bei einem Glas chilenischem Cabernet Sauvignon über ihre Eindrücke.
Grasse meinte. „So etwas habe ich noch nie erlebt. Als Konfirmand dauerten mir die Gottesdienste bei uns in Eberstadt immer zu lang. Der Pfarrer war aber ein cooler Typ. Mit dem konnte man sogar zur Eintracht ins Stadion gehen.“
„Ich war ja auch ein paar Mal in Stuttgart in einem Gottesdienst der Landeskirche. Da ist zu wenig Rhythmus für mich. Hier in Brasilien beten die Leute nicht nur mit dem Kopf, sie beten mit dem ganzen Körper, auch mit ihren Gefühlen“, meinte Cacau.
„Das mag ja alles stimmen“, sagte Forte. „Mir fehlt in diesen Pfingstgottesdiensten ein wenig die Ruhe und die Andacht.“
Sie waren die einzigen Gäste im Hotelrestaurant. Die anderen Tische waren leergeräumt. Ein Kellner saß weiter hinten vor einem großen Fernsehschirm. Er zappte sich durch die Kanäle bis er einen Nachrichtensender fand.
„Für mich muss ein Gottesdienst zu Herzen gehen“, sagte Cacau. „In Deutschland sind die Gottesdienste oft ein bisschen steif. Bei uns in Brasilien ist mehr Lebensfreude, vor allem bei den ‚Pentecostales‘.“
Forte wollte gerade nach den finanziellen Unregelmäßigkeiten bei einigen Gemeinden fragen, als er erstarrte. Im Fernsehen sah er das Bild eines Mannes. Er rannte zum TV-Apparat. Der Kellner sah ihn erstaunt an. Forte bat ihn, den Ton lauter zu stellen. Im Fernsehen zeigten sie ein Foto des Mannes, der ihm in der Kirche den Umschlag gegeben hatte. Der Mann hieß Max de Lima und war tot. Die Sprecherin sprach davon, dass er Opfer einer Gewalttat geworden war und die Polizei ermittelte. Forte war geschockt. Er hätte gerne noch mehr gehört, doch inzwischen sprach sie über das Trainingslager der Nationalmannschaft und Bilder der Seleção flimmerten über den Schirm.
„Ist alles in Ordnung? Sie sehen ganz bleich aus,“ fragte Cacau besorgt.
„Ich kann es einfach nicht fassen. Eben haben sie gesagt, dass dieser Mann, dieser de Lima tot ist. Ich habe ihn am Mittwoch in Curitiba in der Basilika gesehen. Dann kamen Polizisten und haben ihn verhaftet. Und jetzt ist der Mann tot.“
Der Spieler des VfB Stuttgart fragte auf Portugiesisch den Kellner. Dann wandte er sich an Forte: „Der Mann hier sagt, dass der Journalist tot in Curitiba gefunden wurde. Sturz vom Fabrikgebäude. Die Männer, die ihn mitnahmen, waren keine Polizisten. Sie hatten die Uniformen gestohlen.“
„Es waren keine Polizisten?“
Cacau räusperte sich: „Leider kommt das in Brasilien vor. Es gibt immer noch viel Gewalt. Max de Lima ist ein bekannter Sportjournalist. In den letzten Jahren hatte er Probleme mit dem Alkohol. In einer Pfingstgemeinde ist er wieder geheilt worden und hat bei einem Sender wieder als Journalist gearbeitet.“
„Soll ich mich bei der Polizei melden? Wo müsste ich dann hin?“
„Für Mordermittlung ist die Polícia Civil zuständig.“ Der Fußballer zögerte. „Ich weiß nicht, ob ich Ihnen empfehlen soll, mit der Polizei Kontakt aufzunehmen. In Brasilien ist der Polizeiapparat manchmal etwas unangenehm. Sie müssen entscheiden, ob Sie sich das zumuten wollen.“
Forte nickte. Ihm war der Appetit vergangen. Gedankenverloren verabschiedete er sich von den beiden Männern und lief den gepflasterten Weg zu seinem Ferienappartement. Das rot angestrichene Holzhaus war in vier Appartements unterteilt. Neben Monsignore Braun wohnten hier noch zwei Physiotherapeuten. In der kleinen Wohnung zog er seine Schuhe aus und legte sich auf das Bett. Die Geschichte mit dem Journalisten ging ihm nicht aus dem Kopf. Er musste unbedingt mehr über Max de Lima herausfinden. In seinen Laptop gab er den Namen des Journalisten in die Suchmaschine ein. Er fand 26790 Einträge. Leider waren fast alle Artikel auf Portugiesisch. Die meisten Einträge beschäftigten sich mit seinem gewaltsamen Tod. Was sollte er nun tun? Er holte den Umschlag aus dem Schrank und nahm den Zettel heraus. Was bedeutete die Abfolge von Buchstaben und Nummern? Ihm kam ein Gedanke. Konnten das Nummernschilder sein? Er ging ins Internet, um sich über brasilianische Nummernschilder zu informieren. Es war eine falsche Fährte. Sorgfältig legte er den Umschlag wieder in den Schrank. Konnte man der Polizei in Brasilien trauen?