Читать книгу Gol - Friedrich Schmidt-Roscher - Страница 18
Kapitel 15
Montag, 9. Juni, vormittags, deutsches Quartier
ОглавлениеForte lief den Weg von seinem Appartement zu dem Frühstücksraum. Er knöpfte sein Hemd zu. Es war kurz nach 10 Uhr. Er hatte verschlafen. Das passierte ihm sonst nie. Bevor er den großen Frühstücksraum betrat, zog er schnell den Reißverschluss seiner Jeans hoch. Nur noch wenige Personen saßen an den Tischen. Er nickte einem Funktionär zu und ging ans Buffet. Trotz des späten Zeitpunkts war die Auswahl paradiesisch. Er schnappte sich eine kleine Schale und schaufelte einige Löffel Müsli hinein. Darüber streute er ein paar Trockenfrüchte und goss Milch dazu. Forte hatte keine Lust auf Gespräche und setzte sich an einen leeren Tisch mit Blick auf die Terrasse. Eine junge Kellnerin brachte ihm einen Espresso und ein Glas Wasser.
Es war gestern spät geworden, weil er mit Samuel über Skype in Kontakt stand. Sabine hatte ihm eine E-Mail geschrieben, dass ihr Sohn ganz ungern zur Schule ging. Als er mit ihm um 6:45 mitteleuropäischer Zeit sprach, war es in Brasilien 1:50 Uhr. Er erzählte Samuel, dass gestern Abend die Spieler der Nationalmannschaft in der Ferienanlage eingetrudelt waren. Sein Sohn wollte wissen, ob Klose und Schweinsteiger in Form waren. Was sein eigenes Gefühlsleben anging, blieb er jedoch verschlossen. Er musste an den Umschlag denken und die rätselhafte Botschaft des Journalisten. Gestern Abend hatte er ganz lange über den Zahlen gegrübelt, war jedoch zu keinem Ergebnis gekommen.
„Ach der Kollege ist auch schon wach.“
Forte glaubte eine gewisse Häme in den Worten Michael Brauns zu hören. Der Monsignore stand neben ihm und wirkte sehr aufgeräumt. In seiner Hand hielt er eine Tasse.
„Ich habe nach dem Frühstück einen kleinen Spaziergang am Atlantik unternommen und genieße nun diesen leckeren Kaffee.“ Braun schaute ihn an. „Sie sehen etwas mitgenommen aus. Sie werden doch nicht etwa Heimweh haben?“
Forte fiel keine schlagfertige Antwort ein. „Wie war die Messe mit dem Bischof?“
Braun strahlte: „Es war eine sehr feierliche Messe. Auch der Kaiser nahm daran teil und hat mich später dem Bischof vorgestellt. Als Übersetzer war ich ein gefragter Mann.“
Der Monsignore setzte sich ungefragt an seinen Tisch und schaute Forte aufmerksam an: „Ich muss heute noch zu einem Gespräch mit dem Sekretär des Bischofs. Wir müssen die Vorbereitung für den ökumenischen Gottesdienst am Mittwoch auf heute Nachmittag verschieben. Das ist doch kein Problem?“
Forte schüttelte den Kopf. „Kein Problem. Wie sollen wir die Aufgaben verteilen. Kümmern Sie sich um die Liturgie und ich mich um die Predigt?“
„Einverstanden. Dann sehen wir uns heute Nachmittag um 15 Uhr auf der Terrasse.“ Er räusperte sich. „Eine Frage hätte ich schon noch.“
„Ja?“
„Sie haben so einen seltsamen Namen. Und sie wirken auch nicht unbedingt wie ein Deutscher. Ich meine natürlich nur rein äußerlich, mit ihren schwarzen lockigen Haaren. Eher wie ein Spanier.“
„Fast!“ Forte grinste. „Mein Vater ist Kalabrese, meine Mutter kommt aus der Pfalz. Deshalb sehe ich nicht so typisch Deutsch aus. Aber da bin ich in der Nationalmannschaft ja in guter Gesellschaft.“
„So ist das also.“ Braun erhob sich. Seine Neugierde war für das Erste gestillt.
Forte ließ sich ein Glas Orangensaft und einen weiteren Espresso bringen. Vom Buffet holte er ein Croissant und eine Birne. Inzwischen war er der einzige Frühstücksgast. Er schlang das Croissant hinunter und nahm die Birne mit in sein Ferienappartement.
In der kleinen Wohnung griff er nach seiner Bibel und blätterte durch das Neue Testament. Er brauchte einen passenden Text für die Predigt beim ökumenischen Gottesdienst am Mittwoch. Zunächst dachte er an Pfingsten, das Fest des Heiligen Geistes. Ihm fiel „Teamspirit“ ein oder der berühmte „Geist von Spiez“, damals in den fünfziger Jahren, als Deutschland Weltmeister wurde. In der Mannschaft spielten fünf Spieler des 1. FC Kaiserslautern.
In der Bibel gab es natürlich keinen Text über Fußball. Paulus verglich im Korintherbrief das Leben eines Christen mit einem Wettlauf. „Wisst ihr nicht, dass die, die in der Kampfbahn laufen, die laufen alle, aber einer empfängt den Siegespreis? Lauft so, dass ihr ihn erlangt. Jeder aber, der kämpft, enthält sich aller Dinge, jene nun, damit sie einen vergänglichen Kranz empfangen, wir aber einen unvergänglichen. Ich aber laufe nicht wie aufs Ungewisse; ich kämpfe mit der Faust nicht wie einer, der in die Luft schlägt, sondern ich bezwinge meinen Leib und zähme ihn, damit ich nicht anderen predige und selbst verwerflich werde.“
Das war ein guter Text, denn es ging um Kampf und Leidenschaft. Das war eine Sprache, die auch Sportler verstehen mussten, sogar Funktionäre. Der Pfarrer machte sich Notizen für die Ansprache. Ihm kamen einige Gedanken, die den Bibeltext mit den Erfahrungen der Sportler in Verbindung brachten. Schuster hatte vor ein paar Tagen den beiden Geistlichen gesagt: „Rechnen Sie nicht damit, dass zum ökumenischen Gottesdienst besonders viele Fußballer kommen.“ Vermutlich kamen eher einige Funktionäre oder andere Mitarbeiter. Abwarten.
Forte ging an das Regal und nahm ein Buch heraus, das ihm am Pfingstsonntag Cacau an dem Büchertisch der Assembléia de Deus gekauft hatte. Es war eine Bibel in portugiesischer Sprache. Er blätterte durch das Inhaltsverzeichnis und las Mateus, Marcos, Lucas, João, Atos, Romanos, Coríntios, Galatos, ..... Wie klang eigentlich die Bibelstelle aus dem 1. Korintherbrief in Portugiesisch?
„Não sabeis vós que os que correm no estádio, todos, na verdade, correm, mas um só é que recebe o prêmio? Correi de tal maneira que o alcanceis.....“ Er hatte eine Idee. Er ging zum Schreibtisch und suchte unter seinen Unterlagen nach dem Papier mit der Abschrift der Buchstaben und Zahlen, die der Journalist hinterlassen hatte.
AP118
MA718
ZA117
EF623
Konnten das Abkürzungen für biblische Bücher sein? Dann könnte „ZA“ vielleicht Zacaria sein, also Sacharja. Er schlug den Propheten im Alten Testament auf. Die Zahl 117 konnte eventuell Kapitel 1, Vers 17 oder Kapitel 11, Vers 7 bedeuten. Kapitel 1 Vers 17 lautete:
„Und weiter predige und sprich: So spricht der Herr Zebaoth: Es sollen meine Städte wieder Überfluss haben an Gutem und der Herr wird Zion wieder trösten und wird Jerusalem wieder erwählen.“
Kapitel 11, 7 lautete:
„Und ich hütete die Schlachtschafe für die Händler der Schafe und nahm mir zwei Stäbe, den einen nannte ich ‚Huld‘, den anderen nannte ich ‚Eintracht‘ und hütete die Schafe.“
MA718 musste dann Mateus, also Matthäus Kapitel 7 Vers 18 bedeuten: „Ein guter Baum kann nicht schlechte Früchte bringen und ein fauler Baum kann nicht gute Früchte bringen.“
Forte kratzte sich am Kopf. Was wollte dieser de Lima damit nur sagen? Oder war dies ein falscher Ansatz?
Mit EF623 konnte nur Epheser Kapitel 6,23 gemeint sein:
„Friede sei mit den Brüdern und Liebe mit dem Glauben von Gott, dem Vater und dem Herrn Jesus Christus!“
AP war nicht Apostelgeschichte wie er zunächst meinte, sondern Apocalipse, also Offenbarung Kapitel 1, Vers 12 lautet:
„Ich war tot und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle.“
Forte lief im Zimmer auf und ab. Er grübelte lange nach. Das war eine Möglichkeit. In der Pfingstkirche hatte sich de Lima sicher mit der Bibel beschäftigt. Er konnte durchaus mit Bibelstellen eine Botschaft verstecken. Aber welche?
Sein Magen machte sich bemerkbar. Er hatte heute Morgen definitiv zu wenig gefrühstückt. In der Minibar befand sich eine Tüte mit Erdnüssen. Gierig riss er die Tüte auf und schob einige Nüsse in den Mund. So würde er auf keinen Fall abnehmen. Er las die Texte nochmals durch. Was konnte der ermordete Journalist damit sagen wollen?
Inzwischen war die Tüte leer. Forte wusch seine Hände, dann schrieb er die Texte in seinen Computer. Durch das offene Fenster hörte er die Spieler vom Trainingsgelände zurückkommen. Bald war Zeit für das Mittagessen. Was wollte de Lima mit den Bibelstellen sagen?