Читать книгу Tod im Salz - G. T. Selzer - Страница 7
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ОглавлениеFriedrich Mommsen hielt vor seinem Haus in der Holbeinstraße, von dem er das Erdgeschoss bewohnte, und ging um seinen Toyota SUV herum, um Sheriff herauszulassen. Er hatte ihn nach dem Treffen mit Richard draußen am Stadtwald noch einmal ausgiebig laufen lassen. Der Hund machte einen Satz aus dem Kofferraum und verfiel augenblicklich auf der breiten Grünanlage in bewegungslose Sitzposition.
Ein spätabendlicher Gassigeher mit zwei bellenden Jack-Russel-Terriern an der Leine hangelte sich im großen Bogen um Sheriff herum, der sich von dem Gekläff völlig unbeeindruckt gab und nur Augen für sein Herrchen hatte. Friedrich hatte nicht übertrieben, wenn er sagte, dass er seinen Liebling fest im Griff hatte; anders wäre der Riese nicht zu handhaben gewesen, schon gar nicht in der Stadt. Der große Wagen war nur eines der Zugeständnisse an den Hund, ein weiteres die Masse an Zeit, die er mit dem Vierbeiner verbrachte, damit dieser genügend Auslauf bekam.
Doch der Stadtwald war nicht weit, und Zeit hatte Dr. Friedrich Mommsen genug.
Er genoss die Gespräche mit seinem alten Freund Richard Immelshausen in den Ebbelwoi-Kneipen der Stadt oder die langen Spaziergänge mit ihm, Sheriff natürlich eingeschlossen. Sie kannten sich schon fast dreißig Jahre, und dieser Bekanntschaft war es zu verdanken, dass Richards Tochter Isabella und sein Enkel Ralph sich kennengelernt und schließlich geheiratet hatten. Dass es nur ein kurzes, tragisches Zwischenspiel im Leben aller Beteiligten bleiben würde, konnte damals keiner ahnen.
Heute war es besonders schlimm mit den vermaledeiten Erinnerungen. Er seufzte tief auf, während er die Haustür aufschloss. Vom geräumigen Vorplatz führte geradeaus eine Holztreppe mit kunstvoll gearbeitetem Geländer nach oben, links ging es durch eine Glastür im Jugendstil zu seiner eigenen Wohnung.
Sheriff blieb abrupt stehen und brummte.
Friedrich schrak aus seinen Gedanken hoch und lauschte nach oben. Die Mieter waren in Urlaub, das wusste er.
Legte das Ohr an seine Wohnungstür.
Nichts.
Das Brummen ging zum Knurren über.
„Still, Sheriff“, flüsterte Friedrich und legte seine Hand um die Hundeschnauze, während die andere kurz seinen Kopf streichelte.
„Feiner Hund.“
Tür und Schloss waren unversehrt.
Friedrich nahm einen Stuhl von der Wand und klemmte ihn vorsichtig unter den Türgriff.
„Komm, Sheriff, Fuß!“
Den Hund am Halsband gefasst, wandte er sich leise wieder der Haustür zu, von dort nach links Richtung Garten. Als er um die Hausecke bog, sah er es: Der schwache, flackernde Lichtschein einer Taschenlampe huschte durch die offene Glastür über Rasen und Terrasse.
Das Arbeitszimmer!
Wieder knurrte der Hund, und diesmal ließ Friedrich ihn los.
Sheriff preschte laut bellend Richtung Terrasse vor, dann jaulte er plötzlich qualvoll auf. Gleichzeitig fiel ein Schuss.
„Um Gottes Willen – Sheriff.“
Als Friedrich endlich die offene Terrassentür erreicht hatte, sah er aus den Augenwinkeln eine Gestalt in einiger Entfernung im Garten an ihm vorbeihuschen, doch er achtete nicht darauf. Er registrierte kurz, dass sein Hund vor dem Schreibtisch auf dem Bauch lag – was ihm kurz ein beruhigendes Gefühl gab – und sich unter leisem Winseln abwechselnd beide Vorderpfoten leckte.
Mit zitternden Fingern holte Friedrich sein Handy aus der Tasche und wählte. Unter der Nummer der Tierarztpraxis vermeldete eine Computerstimme, dass er außerhalb der Praxiszeiten anrufe, die da seien …
Verdammt. Er atmete tief durch. Ruhig jetzt. Hysterie nutzte jetzt niemandem. Schließlich fand er die Privatnummer der Tierärztin. „Marianne, komm sofort. Sie haben auf Sheriff geschossen!“
Es folgte eine kurze Pause, dann die beruhigende, tiefe Stimme der Veterinärin: „Bin sofort da.“
Eine halbe Stunde später packte Marianne Möller bereits ihre Sachen wieder zusammen. Sheriff war inzwischen geschmückt mit zwei blauen Stretch-Verbänden an den Vorderpfoten und lag in einer sicheren Ecke des Zimmers ohne Glasscherben.
„Ganz sicher keine Schussverletzung, Fritz, wirklich, du kannst dich beruhigen. Er ist in zwei Glasscherben gleichzeitig getreten und hingefallen. Möglich, dass ihm das das Leben gerettet hat, denn stehend hätte er ein gutes Ziel abgegeben, das wohl kein Schütze auf die geringe Entfernung verfehlt hätte. Wird schon wieder, mein Großer.“
Sie tätschelte dem Hund die lange Flanke und kramte in ihrer Tasche. „Gib ihm das drei Mal am Tag gegen die Schmerzen. Und komm übermorgen zum Verbandswechsel vorbei.“
„Ich danke dir, Marianne, dass du so schnell da warst.“
„Kein Problem. – Guter Gott, wie siehst du denn aus!? Du brauchst ja selber einen Arzt. Soll ich dir was für den Kreislauf spritzen?“
Friedrich wehrte ab. „Bewahre!“
Die Tierärztin kicherte. „Ich hätte auch was aus dem Bereich der Humanmedizin dabei. Nein? Wie du willst.“ Sie sah sich um. „Aber ich würde die Polizei rufen, schon wegen der Versicherung.“
Friedrich schien jetzt erst das Chaos zu bemerken, in das sich sein Arbeitszimmer verwandelt hatte. Offene Schubladen, Bücher auf dem Boden, Papier im Raum verstreut. Und doch machte die Szene nicht den Eindruck von blindem Vandalismus, sondern zeugte von gezielter Professionalität … Er ging in die Ecke des Zimmers zu einem kleinen Wandsafe. Er war unberührt. Dann rief er die Polizei an.
„Ich warte mit dir“, meinte Marianne Möller mit einem weiteren kritischen Blick auf ihn. „Hast du noch einen Schluck von dem guten Roten von neulich? Im Wohnzimmer? Dann setz dich mal hier hin. Dir bringe ich einen Cognac mit.“
Friedrichs Handy klingelte.
„Hoffe, du hast noch nicht geschlafen“, kam Richards Stimme durch den Hörer. „Aber ich hatte ganz vergessen, dir zu sagen ...“
„Richard, bei mir ist eingebrochen worden.“
„Wie bitte?“
Er kam nicht dazu, sein Abenteuer zu erzählen, denn Richard unterbrach ihn. „Ich komme.“
Richard brauchte nur wenige Minuten vom Mainufer zur Holbeinstraße – meist fuhr er mit dem Fahrrad – und blieb schließlich erschüttert vor dem Chaos im Arbeitszimmer stehen.
„Ach du lieber Gott!“ Er ließ sich kraftlos auf einen der Sessel sinken. „Mensch, Alter, dich kann man ja nicht eine Sekunde alleine lassen!“
Frau Möller stand auf und gähnte diskret. Sie hatte einen langen Arbeitstag in der Praxis hinter und voraussichtlich einen ähnlichen vor sich.
„Ich werde dann mal wieder, Sie bleiben noch einen Moment bei ihm, Herr Immelshausen, nicht wahr?“
Richard nickte. „Hast du eine Vorstellung, was die hier gesucht haben?“, fragte er, als die Tierärztin gegangen war. „Fehlt etwas? Hast du die Polizei angerufen?“
Fritz zuckte die Schultern. „Nichts. Im Wandsafe ist eine eiserne Reserve, dreitausend Euro, und ein paar Papiere, aber der Safe ist nicht angerührt worden. Mir scheint, dass er gar nicht gesucht worden ist. Sonst hingen wohl einige Bilder schief. – Und im Schreibtisch sind wirklich keine aufregenden Sachen.“
„Hinter den Büchern haben sie gesucht.“ Richard zeigte auf die Regale.
Es klingelte, und Fritz ließ zwei uniformierte Beamte ein. Sie ließen sich die Ereignisse schildern, protokollierten sie und wurden erst hellhörig, als Fritz von dem Schuss erzählte.
„Eine echte Waffe oder eine Schreckschusspistole?“
„Himmel, das weiß ich doch nicht! Mein Hund wurde gerade angeschossen – zumindest glaubte ich das – da hatte ich anderes zu tun, als darauf zu achten. Außerdem … klingen die denn verschieden? Schließlich habe ich die Waffe ja nicht gesehen. Und selbst wenn ...“ Er zuckte hilflos die Schultern.
Die Beamten sahen sich an. „Recht ungewöhnlich, dass Einbrecher Schusswaffen bei sich haben. Und sie dann auch benutzen“, meinte der erste.
„Jedenfalls ist das eine Sache für die Ermittlungsbehörden; bei Schusswaffen sind die eigen“, sagte der andere. „Die Spurensicherung wird morgen bei Ihnen auftauchen und nach dem Projektil und der Hülse suchen. Heute Nacht hat das keinen Sinn mehr. Sie lassen alles so, wie es ist und rühren nichts an.“
„Ja sicher.“
„Dann gute Nacht!“ Sie wandten sich zum Gehen.
„Andererseits.“ Der erste Polizist blieb an der Tür stehen und warf einen zweifelnden Blick zu Sheriff hinüber. „Wenn so ein Vieh in der Dunkelheit auf mich zugerast käme, würde ich wahrscheinlich auch schießen.“