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ОглавлениеBoris Kemper war so gut wie nie im Verlagshaus zu sehen; die wenigsten Mitarbeiter dort würden ihn überhaupt erkannt haben als eines der Zugpferde ihres Hauses. In der Regel bemühte sich Walter Schering, Cheflektor der Belletristik, zu ihm in seine Sachsenhäuser Wohnung. Dies war Teil gewisser vertraglicher Vereinbarungen, auf deren strikte Einhaltung Immelshausen inzwischen die Macht hatte zu bestehen. Er hasste jede Form von Öffentlichkeit; der Gedanke, auf Lesungen zu erscheinen, verursachte ihm Übelkeit. Sein Pseudonym wurde strikt gewahrt. Abgesehen von Friedrich Mommsen, seiner Agentin, seiner Tochter, zwei, drei Leuten im Verlag und vielleicht vom Finanzamt wusste niemand – noch nicht einmal seine unmittelbaren Nachbarn in Sachsenhausen – dass sich hinter dem Klingelschild Richard Immelshausen der Schriftsteller Boris Kemper verbarg. Leichter gemacht wurde ihm das Versteckspiel durch die Tatsache, dass er unter seinem bürgerlichen Namen für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften als freiberuflicher Journalist arbeitete, so dass er nachweislich – da sein Name unter den Artikeln stand – einen Beruf vorzuweisen hatte, wenn er gefragt wurde.
Und der Verlag war geschickt genug, diese Geheimniskrämerei seines Starautors für Marketingzwecke auszuschlachten – bis zu einem gewissen Maße, denn man wollte natürlich vermeiden, dass durch eine allzu große öffentliche Neugier eine mediale Hatz nach dem bekannten Schriftsteller einsetzte.
Der nächste Tag begann mit einem derart strahlenden Morgen, dass Richard, im Begriff, Schering anzurufen, beim Blick auf das frische Grün der Platanen am Mainufer unter ihm den Telefonhörer spontan wieder hinlegte, kurz entschlossen seine Jacke aus dem Schrank holte und über den Eisernen Steg zum Roßmarkt marschierte, wo in einem eher unscheinbaren Haus aus der Gründerzeit der MOLAF-Verlag residierte.
Er hatte früh bereits Fritz angerufen und sich vergewissert, dass alles in Ordnung war.
„Und wie geht es Sheriff?“
„Oh,“ hatte Fritz durch den Hörer gelacht, „der findet es toll, mit Fleischwurst gefüttert zu werden.“
Zwei Stunden später schlenderte Richard aus der City wieder heimwärts. Schmunzelnd dachte er an Scherings völlig verdattertes Gesicht, als er urplötzlich in dessen Bürotür aufgetaucht war, eine offensichtlich neue Sekretärin hinter sich, die nicht wusste, wer er war, im vergeblichen Versuch, ihn aufzuhalten, und an das überraschend friedliche Gespräch mit dem Lektor, der sich sofort Zeit für ihn genommen hatte.
Eilig hatte er es auf dem Heimweg nicht.
Er gönnte sich einen kleinen Umweg über den Römerberg, bog zur Schirn ab und setzte sich schließlich an einen der Tische des Cafés, die bereits draußen aufgestellt waren. Wie in jedem Frankfurter Gastronomiebetrieb, der auf sich hielt und die entsprechenden Möglichkeiten hatte, wurde auch hier die Möblierung beim ersten übermütigen Sonnenstrahl ins Freie geräumt – unabhängig von Jahreszeit und Temperatur. An einem sonnigen Januartag mochte man das Zugeständnis einer warmen Decke und eines Gasstrahlers machen. Hauptsache, die Sonne schien.
Während er gedankenverloren in seinem Cappuccino rührte, ließ er seinen Blick ziellos über die Menge von Müßiggängern, Museumsbesuchern und Büroangestellten schweifen, die zwischen Dom und Römer hin- und herwogte.
Wie lange schon das halblaute, aufgeregte Zischeln hinter seinem Rücken durch alle sonstigen Hintergrundgeräusche in sein Unterbewusstsein gedrungen war, konnte er später nicht sagen – Tatsache war, dass er es mit einem Schlag bewusst wahrnahm und in der selben Sekunde wusste, dass er die Stimmen kannte. Er blieb regungslos sitzen, um sie einzuordnen – zeitlich, örtlich … dann wusste er es. Vorsichtig machte er eine halbe Drehung zu der sich über drei Stockwerke erstreckenden Glasfront der Ausstellungshalle hin, vor der sich der Außenbereich des Cafés befand und die wie eine riesige Kinoleinwand das Freiluftcafé widerspiegelte: Richtig – er hatte sich nicht getäuscht. Ein paar Minuten noch blieb er sitzen, in seinem Stuhl lässig zurückgelehnt, die Kaffeetasse in der Hand, den Blick immer noch schweifend, doch aufmerksam dem zuhörend, was hinter seinem Rücken gesprochen wurde.
Dann stand er auf, bewegte sich langsam auf den Eingang des Cafés zu und zahlte. Im seitlichen Vorbeigehen warf er nochmals einen Blick auf die Glasfont. Doch es bestand kein Grund zur Beunruhigung; man hatte ihn nicht gesehen.
Die beiden waren viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt.