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KAPITEL 6
ОглавлениеEMILY
Ich wusste nicht mehr genau, wie viele Tage ich in meinem Zimmer verbracht hatte. Aber es kam mir vor wie eine Ewigkeit.
Dennoch war der Schmerz des Verlustes meiner Mutter und meines Bruders genauso schlimm wie am ersten Tag.
Gerda sah mehrmals täglich in mein Zimmer und versuchte mir Trost zu spenden. König Elijah versuchte es ebenfalls, doch jedes Mal, wenn ich ihn sah, hatte ich das Gefühl, dass er mir etwas verkünden wollte. Als ob der Tod meiner Mutter und meines Bruders nicht das Einzige war, was in diesem Brief stand.
Ich hatte jedoch auch wenig Interesse, weshalb ich überhaupt nicht nachfragte. Doch als Gerda eines Tages erneut in mein Zimmer trat, gewann die Neugier über meine Trauer.
„Gerda, ich habe das Gefühl, wenn ich Elijah sehe, dass er mir noch mehr über den Brief zu verkünden hat. Sag mir, was steht noch drin?“
Gerda wirkte sehr erschrocken, dass ich sie danach fragte. Dann zog sie etwas zögerlich den Brief aus ihrer Rocktasche, als hätte sie ihn schon seit Tagen mit sich getragen, für den Fall, dass ich ihn sehen wollte.
Etwas zögerlich reichte sie mir den Brief und drückte dabei leicht meine Hand.
„Emily, ich weiß, im Moment ist die Trauer unermesslich und niemand will dich zu etwas drängen. Doch was in diesem Brief steht, wird deine Entscheidungen für deine Zukunft beeinflussen. Bitte lese ihn weise. König Elijah möchte, dass du danach zu ihm kommst. Er würde gerne mit dir darüber sprechen und einige Optionen erwähnen.“ Ich sah sie kurz schockiert an. Optionen? Entscheidungen über meine Zukunft? Wovon sprach sie? „Soll ich bei dir bleiben? Oder möchtest du lieber, dass ich gehe?“, fragte sie sanft und etwas zögerlich.
„Gerda, du bist die Einzige auf dieser Welt, der ich mein Leben anvertraue. Bitte bleibe“, sagte ich mit schwacher Stimme und öffnete den Brief mit zitternden Händen. Ich räusperte mich und las den Brief dann laut durch.
Eure Majestät, der König Friedrich von Grafenburg lässt ausrichten, dass seine Frau, Königin Rawena von Grafenburg, und sein einzig verbliebener Thronfolger, Prinz Benjamin von Grafenburg, Opfer des schwarzen Fiebers wurden. Mit tiefer Trauer bittet er um Eure Hilfe.
König Friedrich von Grafenburg lässt Ihnen ausrichten, dass er selbst schwer krank ist und König Adelbrecht der III die Situation für einen Krieg nutzen könnte, sobald er davon erfahren würde.
Er bittet Euch darum, Eure Soldaten zum Kampf bereitzustellen, um sein Königreich zu beschützen.
Solltet Ihr ihm diese Bitte erfüllen, so wird der König sein Königreich auf Euren erstgeborenen Sohn übertragen, welches Recht ab dem Tod seiner Majestät, dem König Friedrich von Grafenburg, in Kraft gesetzt werden wird.
Er bittet Euch persönlich beim Königsschloss zu erscheinen, um Eure Entscheidung mitzuteilen.
König Friedrich von Grafenburg
Ich schluckte, bevor eine weitere Träne meine Wangen hinunterlief. Als ob es nicht schon schlimm genug war, dass ich eben meine Mutter und meinen Bruder verloren hatte, musste ich nun erfahren, dass ich bald auch meinen Vater verlieren musste.
„Ach, Emily. Es tut mir so leid. Ich weiß, du liebst deinen Vater trotz allem, was geschehen ist.“ Sie strich zärtlich über meine Hand. „Es ist nicht leicht für dich, ich weiß. Aber du bist Prinzessin Emilianda von Grafenburg. Dich in ein Zimmer einzuschließen und zu trauern, das ist nicht das, was dein Schicksal mit dir vorhat.“
„Was hat es denn mit mir vor? Ich schätze, alles, was mir lieb ist, nimmt man mir. Genau wie es mir auch Lucian genommen hat.“
Gerda lächelte mich bemitleidend an. Schließlich stellte sie sich hin und streckte mir die Hand entgegen.
„Auch wenn es hart ist, dass ich das dir jetzt sage. Aber: Schluss mit dem Trauern! Du stehst jetzt von deinem Bett auf und wir machen deine Haare. Danach ziehst du dir ein wunderschönes Kleid an und du gehst zu König Elijah, der mit dir über das weitere Vorgehen sprechen will. Du bist eine starke Frau. Zeig es!“
Gerdas Worte erinnerten mich an Lucians. Er hatte damals beim Abschied gesagt: ‚Du bist eine Kämpferin. Eine tapfere junge Frau. Du wirst so vieles in deinem Leben erreichen. Ohne mich.‘
Nun, bisher hatte ich noch gar nichts geschafft ohne ihn. Denn meine Freiheit hatte ich nur dank ihm und König Elijah erhalten. Vielleicht wurde es aber tatsächlich Zeit, dass ich etwas erreichen musste. Auch wenn das nur hieß, dass ich König Elijah mit einem Rat helfen sollte. Ich konnte nicht für immer in Trauer leben. Ich hatte drei Jahre lang um Lucian geweint. Die Trauer für meine Mutter und meinen Bruder würde viele Jahre länger dauern, wenn ich es zulassen würde. Es war Zeit, diese Gefühle abzuschieben. Zeit, mir selbst etwas zu beweisen.
Ich nahm Gerdas Hand und stand fest entschlossen auf. Sie führte mich vor den Spiegel und ich erschrak kurz, als ich ein Häufchen Elend darin erkannte. Eine Frau, die in den letzten Jahren viel Stärke bewiesen hatte, doch nun innerlich zerbrochen und verletzlich war.
Gerda begann sofort meine Haare zu bürsten und steckte sie hoch. Nachdem sie auch ein Kleid aus meiner Truhe gesucht hatte, schlüpfte ich hinein und sie schnürte mir das Korsett. Alles geschah in Schweigen, denn niemand wusste, was wir uns gegenseitig sagen sollten.
Als Gerda mich betrachtete, lächelte sie.
„Das ist meine Emily. Die, die vor wenigen Jahren aus ihrem Königreich geflohen ist.“
„Fast“, lächelte ich und nahm ein Lederband aus meinem Schmuckkästchen. Daran befanden sich zwei Wolfszähne und ich betrachtete sie für einen kurzen Moment, bevor ich mir das Band um meinen Hals band. Es mochte vielleicht nicht zu diesem teuren Stoff des Kleides passen, doch es erinnerte mich daran, wie stark ich sein konnte, wenn es darauf ankam.
Was auch immer König Elijah vorhatte, ich würde stark sein.
„So, nun bin ich die Emily, die alles hinter sich gelassen hat für ihre Freiheit.“
„Worum auch immer Elijah dich bittet, bitte denke daran, dass es nicht nur um dich oder deinen Vater geht, sondern um das ganze Königreich. Denke an das Volk. Denke daran, was gut für es ist.“
Ich schaute Gerda etwas verlegen an. Wusste sie, worum König Elijah mich bitten würde? Woher sollte ich wissen, was das Volk meines Vaters wollte? Wie sollte ich erkennen, was richtig oder falsch war?
Sie lächelte mich an, nahm meine Hand und wir machten uns auf den Weg zum Thronsaal.
Ich tastete die Wolfszähne mit meinen Fingerspitzen ab und umklammerte sie schließlich fest. Ich war einst so stark, dass ich zwei Wölfe getötet hatte. Ich war dem Occisor meines Vaters entkommen. Man hatte im Königreich meines Vaters geglaubt, dass der Occisor mich getötet hätte. Wahrscheinlich hatte er meinen Vater angelogen, um nicht Schande über sich zu bringen, da er mich nie gefunden hatte.
Ich musste meine Stärke nun wiederfinden, die ich verloren hatte, seit Lucian gegangen war.