Читать книгу Isegrim - G.A. HARDER - Страница 14
KAPITEL 9
ОглавлениеLUCIAN
Meine Jagd heute hatte sich wieder gelohnt. Das erwachsene Reh, das ich erlegt hatte und nun über meinen Schultern trug, würde mich in den nächsten Tagen reichlich mit Fleisch versorgen.
Seit dem Tag, an dem ich Sir Ludwig getötet hatte, waren bereits zwei Wochen vergangen. Der Rausch des Kampfes hatte sich damals sehr schnell gelegt, doch auch bei der Jagd hatte ich das Vergnügen nicht an Emily zu denken. Emily ... Mein Rosenschwan ... Sobald ich daran dachte, dass sie nicht Teil meiner Gedanken war, flogen die Erinnerungen in meinen Kopf zurück. Verdammt. Wieso musste sie mir nur so ans Herz wachsen? Wieso hätte ich sie nicht einfach in Sicherheit bringen können, ohne mich in sie zu verlieben? Ich verfluchte mich dafür, dass ich es zugelassen hatte.
Als ich endlich bei meiner Hütte ankam, erschrak ich kurz. Jemand stand vor meiner Tür. Eine Frau. Sie trug ein Kopftuch und hatte den Rücken zu mir gewandt. Ihr zierlicher Körper ließ mich plötzlich an Emily denken und mein Herz schlug immer schneller. Das war doch nicht etwa ... Das konnte doch nicht ....
„Lucian, alles in Ordnung?“
Veronas stimme riss mich aus meinen Gedanken und ich erkannte sie nun, als sie sich zu mir umdrehte. Jedoch konnte ich mir vorstellen, welch Schrecken in mein Gesicht gezeichnet war. Wie konnte ich nur glauben, dass es Emily sei. Ich hatte Verona noch nie mit einem Kopftuch und ohne ihre Schürze gesehen. Dennoch hätte ich nicht gleich fantasieren müssen. Das war unmöglich. Sie war nicht hier. Nachdem der Schrecken verflogen war, stapfte ich auf den Tisch zu, der sich neben der Hütte befand, wo ich meine erlegte Beute häuten und schlachten konnte.
„Kein Hallo? Kein schön dich zu sehen?“ Verona folgte mir und ich ließ das erlegte Reh auf dem Tisch nieder, um dann auch meinen Bogen abzulegen. Ich zog meinen Dolch und begann, ohne Verona zu beachten, mit dem Häuten des Rehs.
„Hm ...“, seufzte sie und setzte sich auf die Bank bei der Hütte. „Nun, da du dich schon zwei Wochen nicht mehr bei mir in der Küche blicken lassen hast, dachte ich, dass du vielleicht schon verhungert bist. Ich sehe aber, an Essen mangelt es dir nicht. Ich hoffe jedoch, dass du dich nicht nur von Fleisch ernährst. Oder ist mein Essen so furchtbar, dass du deshalb darauf verzichtest?“
Ich strich mit meinem Handrücken den Schweiß auf meiner Stirn weg, und bemerkte erst zu spät das Blut, das an meinen Händen klebte und nun auf meiner Stirn verschmiert war. Aber was war schon dabei. Dieses Blut war zumindest abwaschbar. Das Blut meiner Opfer, das seit Jahren an meinen Händen klebte, würde ich nie abbekommen. Ich stieß einen Seufzer aus und bemerkte Veronas leicht enttäuschten Gesichtsausdruck wegen meines Verhaltens.
„Es tut mir leid, Verona ... Ich ... Ich bin es nicht gewohnt, dass mich hier jemand besucht. Was deine Essenskunst angeht: Du weißt genau, dass ich deine Mahlzeiten vergöttere.“
Ein Lächeln bildete sich auf ihrem faltenfrohen Gesicht und somit schien sie mir bereits verziehen zu haben.
„Nun, das ist mir ein liebes Lob. Das erklärt jedoch nicht, weshalb du dich nicht mehr in meiner Küche blicken lässt. Sind es etwa die jungen Dienstmädchen? Fallen sie nun schon förmlich über dich her? Vielleicht wäre es gut, wenn du dir ein klein wenig Spaß gönnst. Wie lange ist es denn her, dass du ...“
„Ich habe Frauen, ja? Dazu brauche ich keine dieser unerfahrenen, beinahe verhungerten Mädchen aus dem Schloss.“ Damit hatte ich auch nicht gelogen. Hin und wieder gönnte ich mir meinen Spaß, denn ich war ja schließlich auch nur ein menschliches Wesen. Aber von richtigem Spaß war da nicht die Rede. Es war gefühlslos und schnell. „Außerdem kann ich mich gut gegen die jungen Dienstmädchen zur Wehr setzen. Ich brauchte einfach nur Abstand vom Schloss.“
Verona sah mich wieder mit ihrem durchdringenden Blick an.
„Du dachtest, ich sei jemand anderes. Ist es deswegen, weshalb du zuvor so ausgesehen hast, als hättest du einen Geist gesehen? Hast du mich für sie gehalten? Das Mädchen, das dein Herz einnimmt?“
„Ach, so ein Blödsinn.“ Ich wandte mich wieder meinem erlegten Reh zu und fuhr mit der Häutung fort, damit sie nicht meine Lüge erkennen konnte. „Ich dachte, du bringst mir die Nachricht, dass der König verstorben sei. Wie geht es ihm übrigens?“
„Schlecht. Es wird jeden Tag schlechter. Man munkelt, dass König Adelbrechts Soldaten in Kürze in das Königreich einmarschieren werden. König Adelbrecht weiß, dass König Friedrich nicht genug Soldaten für einen Kampf hat. Er fand es immer erschreckend, an einen Krieg zu denken.“
„Nun wird er deshalb gestürzt werden“, murmelte ich. „Was hast du vor, wenn König Adelbrecht unser Königreich einnimmt?“ Ich sah Verona an und wartete auf eine Antwort.
Sie zuckte jedoch nur mit den Schultern.
„Was soll ich denn schon machen? Ich bin eine alte Frau. Arbeit finde ich bestimmt nirgendwo. Vielleicht kann ich ja dann König Adelbrecht bekochen.“ Sie lachte scherzhaft.
„Der hat doch alles nur junge Dienstmädchen, damit er sie mit seinen dreckigen Händen begrabschen kann.“
„Ich glaube, für Prinzessin Emilianda war der Tod leichter, als die Heirat mit König Adelbrecht. Ich wäre auch geflohen an ihrer Stelle, selbst wenn das bedeutet hätte, mein Leben herzugeben.“
Ich unterbrach das Häuten des Tieres und blickte auf die leblosen Augen des Rehs. Den Namen, den Verona erwähnte, ließ mich wieder in eine andere Welt gleiten. In eine bessere. Dort, wo meine Erinnerungen an Emily noch Realität waren.
„Sie war nicht wie deine anderen Opfer, die du getötet hast. Habe ich recht? Immerhin war sie ein junges Mädchen, beinahe noch ein Kind“, seufzte Verona und unterbrach meine Gedanken.
„Sie hat Schande über das Königshaus gebracht. Sie wusste, was ihr drohte.“ Meine Stimme klang rau und gefühlslos.
„Du bist ja tatsächlich so eiskalt, wie es manche von dir behaupten ...“, erwiderte Verona enttäuscht, „und dennoch hat es eine Frau in dein Herz geschafft. Aber sag mir doch, was machst du, wenn König Adelbrecht das Schloss einnimmt? Es ist ja kein Geheimnis, dass nach dem Tod eines Königs der Occisor die größte Gefahr für den Gegner darstellt. König Adelbrecht wird nicht zögern, dich zu töten.“
„Das weiß ich“, brummte ich genervt. „Ich werde König Friedrich verteidigen, solange ich kann. Und wenn ich mein Leben dafür geben muss, dann sei es so. Denn mein Leben verdanke ich König Friedrich, sonst wäre ich schon längst tot. Erfroren, verhungert oder ermordet.“
„Du kannst König Friedrich aber nicht verteidigen, Lucian. Wenn er nicht durch König Adelbrecht stirbt, dann an seiner Krankheit. Er wird so oder so sterben. Wieso packst du nicht deine Sachen und reist in ein anderes Königreich. Du bist noch so jung. Beginne ein neues Leben. Lerne eine Frau kennen und habe Kinder.“
Spöttisch lachte ich über Veronas Fantasie und wandte mich wieder ihr zu.
„So siehst du mich? Als Ehemann und Vater? Das ist doch selbst für dich zu viel Fantasie, oder?“
„Es hat mir doch auch niemand verboten zu fantasieren. Aber um dir dieses Bild aus deinem Kopf zu nehmen, habe ich Neuigkeiten für dich. Nun, ich kam aber auch, um dir etwas Nahrhaftes zu bringen, das nicht aus Fleisch besteht.“ Sie deutete auf den Korb neben sich. „Eingemachte Bohnen, Ziegenkäse, Brot und frische Pilze, die ich auf dem Weg hierher gepflückt habe.“
„Mit den Pilzen hast du doch sicherlich vor, mich zu vergiften. Habe ich recht?“, neckte ich sie und sie lachte herzhaft. Das Alter zeigte sich stark auf ihrer Haut und an ihren grauen Haaren, doch die Ausstrahlung und das Lachen waren wie die eines jungen Mädchens.
„Und, was sind die Neuigkeiten?“ Ein wenig neugierig hatte sie mich nun doch gemacht.
„Es heißt, König Friedrich hat um Hilfe bei König Elijah von Petschora gebeten. Er hat ihm wohl ein unschlagbares Angebot gemacht.“
„Wenn König Elijah aber weiß, das König Friedrich machtlos ist ohne seine Hilfe, so kann König Elijah doch eine große Gefahr für König Friedrich werden.“ Ich wusste, dass König Elijah niemals einen Krieg gegen König Friedrich führen würde. Aber ich wusste auch, dass König Friedrich nicht gern um Hilfe bat. „Was hätte König Elijah also davon?“
„Das ist es ja gerade, was ich dir sagen möchte. Die Königin von König Elijah erwartet ihr zweites Kind. Alle sind sich sicher, dass es ein Thronfolger wird. Es wird gemunkelt, dass König Friedrich das Königreich an König Elijahs erstgeborenen Thronfolger übergeben möchte.“
„Was? Unmöglich! Das können doch nur Geschichten sein. So etwas ist noch nie im Leben vorgekommen. Außerdem, hat König Friedrich nicht noch einen Cousin? Eigentlich wäre er dann doch der Thronfolger.“
Verona schüttelte den Kopf und lächelte verräterisch, als ob sie noch einiges mehr wusste.
„Sein Cousin lebte im Bauernland im Süden. Man kann kaum von einem Zufall sprechen, denn vor einigen Wochen wurde er samt seiner Frau und Kindern ermordet. Man sagt, es war König Adelbrechts Auftrag, um den letzten Erben auszulöschen. Somit bleibt einzig und allein König Friedrich von Grafenburg aus der ganzen Blutsfamilie.“
Falsch! Emily war auch noch ein Nachfolger. Doch das konnte ich Verona ja nicht sagen. Außerdem würde es nichts an der Tatsache ändern, wer den Thron bestieg. Als Verona immer noch etwas verräterisch lächelte, gewann meine Neugier.
„Was weißt du noch?“
„Du sagtest, dass es nur eine Geschichte sein könnte, dass König Friedrich das Königreich an den erstgeborenen Thronfolger von König Elijah übergibt. Nun, es haben sich fünf Schiffe angekündigt, die in zwei Tagen am Ufer vor dem königlichen Schloss eintreffen werden. Es sind Schiffe aus dem Königreich des Königs Elijah von Petschora. Was auch immer König Friedrich ihm versprochen hat, er scheint es anzunehmen. Denn fünf Schiffe, das kann nur bedeuten, sie sind gefüllt mit Soldaten, um unser Königreich zu retten.“
„Oder um uns zu vernichten“, murmelte ich und wandte mich erneut meinem erlegten Reh zu, das mittlerweile gehäutet war.
„Ach, sei doch nicht immer so negativ“, fauchte mich Verona an und stand auf. „Ich muss nun wieder ins Schloss. Versprich mir, dass du die Bohnen und das Brot auch isst und nicht nur dein Vieh, das du da gerade erlegt hast.“
Ich schenkte ihr ein kleines verschmitztes Lächeln.
„Versprochen“, warf ich ihr zu und sie verschwand in den Wald, während ich mich wieder auf das Reh konzentrierte und mir tausend Gedanken durch den Kopf flogen.
Hatte König Friedrich tatsächlich das Angebot gemacht, das Königreich an den erstgeborenen Thronfolger von König Elijah zu übergeben? So etwas war noch nie in der Menschengeschichte vorgekommen, soweit ich mich erinnerte.