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13.
Córdoba, August 2011

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TIEF SOG ANGEL DIE WARME, mit den Düften des Sommers durchsetzte Luft in seine Lungen. Seit er wieder nach Córdoba zurückgekehrt war, genoss er die angenehme Ruhe. Nur ungern war er aus Venedig abgereist, doch nachdem Raffaele und Vittorio sich entschlossen hatten, Craighs Angebot anzunehmen, mit ihm nach Schottland zu fahren, um sich dort mit den Fürsten zu treffen, war auch er aufgebrochen. Ares und Selda hatten es ihm gleichgetan, auch wenn Ares das erneute Treffen mit dem gestrengen Fürsten Mustafa, Seldas Vater, gern noch etwas hinausgezögert hätte. Es amüsierte Angel zu sehen, wie sich der fast tausend Jahre alte Sohn des Perdikkas davor fürchtete, seinem zukünftigen Schwiegervater unter die Augen zu treten. Alles schien jedoch gut gelaufen zu sein – kein Wunder, bedachte man die Tatsache, dass es ohne Ares und seinen Sinneswandel keine Selda mehr geben würde. Wäre es nach seinem wahnsinnigen Vater gegangen, hätte keine der entführten Fürstentöchter die Gefangenschaft auf der alten Burg in den Bergen Andalusiens überlebt.

Angel schloss die Augen und legte seine Handflächen an die noch warmen Außenwände des Domizils. Die heiße Sonne Spaniens hatte die Mauern über den Tag aufgeheizt und obwohl sie schon untergegangen war, konnte man ihre Kraft noch im Mauerwerk spüren. Der goldene Stern fehlte ihm, das würde sich auch nie ändern. Er stieß sich sacht ab und sah hoch zum Himmel. Noch war es nicht dunkel genug, um die Myriaden Sterne am Himmel zu sehen. So sehr er Italien und Venedig lieben gelernt hatte, hier würden auf ewig seine Wurzeln sein.

Er wandte sich ab und schlenderte, die Mauern der altehrwürdigen Mezquita zu seiner Rechten, durch die engen Gässchen der historischen Altstadt. Als er um die Ecke der hohen Mauer kam, sah er ihn. Der blonde Vampir saß auf einem großen Stein und wie so oft flogen seine Finger, die ein Stück Zeichenkohle hielten, über den Skizzenblock. Seine halblangen Haare hatte er im Nacken zu einem Mozartzopf, wie er ihn nannte, zusammengebunden und die langen Ärmel seines schwarzen Shirts waren bis zu den Ellbogen hochgekrempelt. Die schmalen Silberreifen an seinen Handgelenken klapperten bei jeder Bewegung leise.

»Guten Abend, Lian.«

»Oh, Angel, ich hab dich gar nicht bemerkt.« Ein schuldbewusstes Grinsen huschte über das schmale Gesicht.

»Kein Wunder, du warst wieder mal ganz weit weg. Was zeichnest du denn? Die Mezquita?« Angel beugte sich vor, um auf das Blatt sehen zu können.

Lians Grinsen wurde breiter. »Nicht so ganz, aber sie dient mir immerhin als interessanter Hintergrund.«

»Was? Zeig her!« Angel schob Lians Hand beiseite und sah sich sein Werk an. Eine ausgezeichnet getroffene junge Frau stand mit träumendem Blick im Eingang einer Bodega. Sie hielt die Arme verschränkt und sah mit leisem Lächeln hinaus auf die Gasse. Ihr langes, glänzendes dunkles Haar fiel ihr leicht ins Gesicht und verdeckte zur Hälfte ihr linkes Auge. Ihr Mund war ein absoluter Hingucker, wunderschön geschwungene Lippen, die beim Lächeln ebenmäßige Zahnreihen erkennen ließen. Die leicht schräg stehenden Augen verliehen ihr ein fast schon indianisches Aussehen. Sie hätte jederzeit problemlos und ohne großen Aufwand für die Maske eine Priesterin der Inka darstellen können.

»Sag mal, deine Fantasie in allen Ehren, aber wo hast du denn diese rassige Schönheit gesehen?« Angel ließ seinen Blick suchend über die Häuserfront schweifen, sah aber nichts außer ein paar fröhlich plaudernden Touristen, die sich in Mauros Bodega an frischen Tapas gütlich taten.

»Na, dort ist sie doch. Sieh halt hin, du ungeduldiges Wesen!« Nachsichtig lächelnd zeigte Lian wieder auf die Bodega. Tatsächlich! Im selben Augenblick kam die junge Frau, ein großes Tablett geschickt in den Händen balancierend, aus dem Lokal. Lian hatte sie perfekt getroffen.

Verflixt, war sie hübsch. Angel hätte um ein Haar gepfiffen – so ganz konnte er den feurigen Latino eben nie ablegen.

»Rück mal ein Stück, die Aussicht hier gefällt mir.«

»Das kann ich mir vorstellen. Schau mal her. Ist ja nicht so, dass ich die Lady zum ersten Mal zeichne.« Vorsichtig blätterte Lian einige Seiten zurück. Von der jungen Frau gab es fünf Bilder in unterschiedlichen Posen. Beim Blättern in einem Magazin, beim Servieren von Getränken, beim Zusammenstellen der Tische in später Nacht und in zwei unterschiedlichen Momentaufnahmen, in denen sie lächelnd auf ihre Gäste blickte. Dank Lians Fähigkeit, so schnell zu malen, dass er Augenblicke in Sekundenschnelle auf das Papier bannen konnte, waren es wundervolle und lebendige Bilder geworden.

»So ein hübsches Kind. Donnerwetter, guter Blick, Kleiner.«

»Sag noch einmal Kleiner und ich male das nächste Mal dich in einer verdammt verfänglichen Situation, ich schwör’s dir!« Lian versuchte bedrohlich auszusehen, was Angel eher amüsierte.

»Alles klar, Kleiner. Ich fürchte mich jetzt schon!«

»Na warte!«

»Apropos warten, hast du Reyna in letzter Zeit mal gesehen? Soweit ich mich nicht irre, wart ihr doch zusammen? Hab ich was verpasst?«

Lians Gesicht verdüsterte sich zusehends. Er schob die Zeichenkohle in ein dafür vorgesehenes Lederetui und klappte den Block zu. »Ja, du hast was verpasst.«

»Wieso, was ist passiert?« Angel war überrascht. Als er Córdoba verlassen hatte, um zu Raffaele und Luca in Venedig zu stoßen, schien bei den Freunden noch alles bestens zu laufen.

»Ich kann es dir beim besten Willen nicht sagen. Ist ja nicht so, dass ich es verstehen würde. Eines Abends kam sie nach Hause und war in einer seltsamen Stimmung. Sie trug eine Tageszeitung unterm Arm. Es standen eine Menge miese Nachrichten drin. Attentate in Afghanistan, Bomben im Irak, verhungernde Kinder im Sudan und was weiß ich was alles. Du kennst sie. Reyna packt Hass und sinnloses Morden einfach nicht. Die Welt macht es ihr alles andere als leicht – eigentlich sollte sie keine Nachrichten lesen oder sehen. Aber man kann es ihr ja schlecht verbieten. Und ich hatte mich noch so gefreut. Die kleine Galerie hinten am Fluss lief prima. Die Hilfe, die sie für den Tag eingestellt hatte, war fleißig und sehr fähig. Meine Bilder haben sich meist verkauft wie von selbst. Es hat ihr Spaß gemacht, den Laden zu führen, zu dekorieren, Ausstellungen, auch von anderen Künstlern, zu organisieren. Aber sie war auch oft – ich kann es fast nicht erklären – traurig, müde, einfach nicht mehr die kesse und schlagfertige Reyna. Bevor Vittorio zu euch gefahren ist, hat er noch mit ihr geredet. Danach schien sie besser drauf zu sein, aber leider nur für drei Tage, dann kam besagter Abend. Sie meinte, sie sei müde. Hallo, Reyna und müde! Wir waren noch unten am Fluss, haben geredet und ich habe ihr sogar ein sehr hübsches Dessert gesucht, du verstehst?« Lian schwieg eine Weile.

»Und dann?«

»Ja, dann kamen Armando und Etna und haben mich abgeholt. Es gab wieder zu viele Zwischenfälle mit Taschendieben. Diese Junkies werden immer dreister und so haben wir ein klein wenig ›aufgeräumt‹. Als wir zurückkamen, war Reyna verschwunden. Zuerst haben wir uns nichts dabei gedacht, du kennst sie besser als ich und Etna sowieso, sie neigt zu spontanen Aktionen.«

Angel seufzte. »Ja, das ist wohl wahr. Was habt ihr noch herausgefunden?«

»Wenig. In der übernächsten Nacht kam ein Anruf von Esteban aus Toledo. Sie hat den Tag dort verbracht, hat ihm erzählt, sie müsse mal ein wenig raus und dass sie den Kopf freibekommen wolle. Tja, und als er am Abend nach ihr sehen wollte, war sie auch schon wieder weg. Seitdem hat niemand mehr etwas von ihr gesehen oder gehört.« Enttäuschung klang aus Lians Stimme. »Wenn sie die Nase voll von mir hat, warum sagt sie das nicht einfach?«

»Spinnst du? Du bist nicht schuld daran. In den letzten Jahren ist Reyna öfter mal ein paar Monate ausgestiegen. Wie du selbst gesagt hast: Sie hat Probleme mit dieser Welt. Die aber können wir ihr nicht abnehmen. Da muss sie selbst durch. Also gib ihr die Zeit, die sie braucht. Ich weiß, wie sehr du sie magst, aber du weißt auch, dass sie ab und an etwas schwierig ist.« Angel klopfte dem Freund tröstend auf die Schulter. »Wird schon wieder!«

Angels Blick wanderte die etwa zweihundert Meter weiter zu dem kleinen, gemütlichen Lokal, das nun gut gefüllt war. »Hey Lian, was hältst du von einem Gläschen 43? Ein Likörchen in Ehren?«

»Ach, das liegt nicht zufällig an der hübschen Bedienung?« Lian kicherte leise. »Noch nicht richtig daheim und schon wieder auf der Jagd.«

»Schon wieder? Hey, das letzte wirklich Hübsche, das mir unter die Zähne kam, war eine bezaubernde Italienerin in der Nähe der Piazza San Marco.«

»So so, und sie kam dir nur unter die Zähne?«

»Halt deine Lästerzunge im Zaum, du bist ganz schön unverschämt für dein Alter.« Angel verpasste dem feixenden Vampir einen Klaps auf den Hinterkopf und stand auf. »Los, beweg dich, und wehe, du sagst etwas Falsches.«

»Ich werde mich hüten.«

Lachend spazierten sie auf die Bodega zu und suchten sich einen freien Tisch am Rand. Sie wussten, wie viel Aufmerksamkeit sie jedes Mal erregten, man musste es ja nicht herausfordern.

Die Raben Kastiliens

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