Читать книгу Die Raben Kastiliens - Gabriele Ketterl - Страница 46
14.
ОглавлениеGeschickt stapelte Veronica, die von allen Vera genannt wurde, die Bestellungen ihrer Gäste auf dem Tablett auf. Heute war es voll, aber die Kunden waren angenehm. Da machte das Arbeiten wieder Spaß. Man kam auch auf andere Gedanken, wenn die Gäste fröhlich lachten anstatt zu mäkeln. Der Teller mit den Boquerónes, den kleinen frittierten Fischchen, musste noch oben drauf. Fertig! Nichts wie raus damit! Lächelnd jonglierte sie ihr Tablett über Sophias Kopf hinweg, was bei der geringen Größe der properen Spanierin nicht weiter schwer war.
»Irgendwann rammst du mir das Ding ins Hirn.« Sophia lugte besorgt nach oben.
»Keine Bange, soweit komme ich nicht runter.« Vera eilte schnell weiter, um den Neckereien der Kollegin zu entkommen. Als Vera vor drei Monaten nach dem Tod ihrer Mutter aus Mailand geflohen war, weil sie alles zu erdrücken drohte, war ihr das Jobangebot sehr gelegen gekommen. Sophia, die auch neu war, hatte sie sofort gemocht und Mauro, der Inhaber der Bodega, war ein freundlicher und geduldiger Arbeitgeber. Ihr Spanisch wurde von Tag zu Tag besser und Córdoba war eine wunderschöne Stadt. Mit elegantem Schwung stellte sie das Tablett am ersten Tisch ab.
»Zweimal Sherry, zweimal Tapas variadas, bitte sehr. Ich wünsche Ihnen guten Appetit.« Aus dem Augenwinkel nahm sie wahr, dass der Tisch am Rand jetzt auch besetzt war. Sie klemmte sich das leere Tablett unter den linken Arm, zückte Block und Stift und trat mit dem üblichen Lächeln näher.
Oh! Was war das denn? Woher kamen denn diese beiden Typen? So sehr sie auch darum bemüht war, das Lächeln weiterhin gleichmütig erscheinen zu lassen, es wollte nicht gelingen. Ihre Augen hatten Mühe, alles schnell und möglichst genau zu erfassen. Verdammt, sahen die gut aus. Der Blonde war ja schon niedlich, mit den stahlblauen Augen, den langen Haaren, diesem jungenhaft frechen Grinsen auf den schönen Lippen und dem nicht zu verachtenden Körper. Der Dunkelhaarige aber war eine absolute Unverschämtheit. Selten war ihr ein dermaßen attraktiver Mann unter die Augen gekommen. Au weia, jetzt lächelte er. Das war gar nicht gut. Dabei einigermaßen routiniert eine Bestellung aufzunehmen, würde schwer werden. Sie versuchte es dennoch. »Guten Abend, was darf ich euch bringen? Möchtet ihr die Karte haben?«
»Nein, vielen Dank, wir wissen schon, was wir wollen.«
Vera starrte den Dunkelhaarigen an, ohne einen klaren Gedanken fassen zu können. Alles, was sie in diesem Moment wollte, war, dass er weitersprach. Diese tiefe, warme Stimme durfte nicht einfach wieder schweigen.
»Ähm …«
»Ach so, Sie können ja nicht wissen, was wir wollen. Sie sind neu hier, nicht wahr?«
Der Kerl konnte wohl Gedanken lesen. »Äh, nein, ich meine ja … Ich bin seit fast drei Monaten hier, allerdings erst seit acht Wochen bei Mauro … und nein, ich weiß nicht, was Sie möchten.« Vera atmete tief durch.
Verdammt! Komm wieder runter!
»Das ist schön, neue Gesichter sind immer etwas Gutes. Und wir wollen viele Dinge, vorerst aber hätten wir gern zwei Licor 43 und eine Flasche Wasser, bitte.« Der Dunkelhaarige zeigte ein charmantes Lächeln.
Das konnte sie sich merken, ohne es aufzuschreiben. Hui, waren die beiden Kerle toll. Sie hatte ihre liebe Not, sich annähernd normal zu benehmen. Was für Sahneschnitten! Rasch lief sie zurück ins Lokal und orderte bei Mauro die Getränke. Sophia kam und wuchtete ein Tablett mit leeren Tellern auf den Tresen.
»Was hast du denn da für Adonis-Kopien? Die sind ja zum Anbeißen.«
Mauro war die Begeisterung in Sophias Stimme nicht entgangen. Er spähte zwischen den Flaschen hindurch, um einen Blick auf die Objekte der Begierde zu erhaschen. Als er Angel sah, musste er lachen. »Mädel, das könnte problematisch werden. Das ist Angel Cruz Trujillo, ein sehr lieber, sehr alter Freund von mir. Und der blonde Knabe daneben ist Lian, ein begnadeter Künstler. Dreht euch mal um. Die Wand da drüben hat er vor etwa fünf Jahren gezaubert. Damals war er quasi noch … ähm … ein halbes Kind.«
Beide drehten sich gleichzeitig um, obwohl sie die Wand sicher schon tausendmal gesehen hatten. Plötzlich aber erschien ihnen die Malerei um ein Vielfaches interessanter. Darauf war die Szenerie unten am Fluss eingefangen und diverse Menschen darin verpackt. Darunter auch Mauro, der sich auf einem Mäuerchen am Ufer sitzend mit einer Frau unterhielt, die einer jungen Sophia Loren verblüffend ähnlich sah. Das Gemälde war wunderschön.
»Ich seh schon, euer Blick für die Kunst hat sich spontan verändert.« Mauro grinste in sich hinein, während er den beiden ihre Bestellungen über den Tresen schob. »Raus mit den Bestellungen und wundert euch über nichts. Die Beiden haben es faustdick hinter den Ohren.«
Sophia lächelte spitzbübisch. »Wenn du möchtest, übernehme ich den Tisch für dich.«
»Das könnte dir so passen.« Vera war bereits auf halbem Weg zu den zwei Männern, als sie abrupt bremste, um sie sich zuvor genauer ansehen zu können. Dieser Angel war offenbar noch ein ganzes Stück größer als Lian. Seine lässig von sich gestreckten Beine steckten in hellen, kunstvoll zerrissenen Jeans, dazu trug er ein weißes Hemd und hellbraune Bikerboots. Seine Arme zierten diverse Lederbändchen. Lian hingegen schien ein Silberfreak zu sein. Silberne Ohrringe, silberne Armreifen und der Gürtel, der die schwarzen Jeans schnürte, war geschickt mit silbernen Conchas verziert. Die Jungs hatten eindeutig Stil.
Noch langsamer konnte sie kaum gehen, sonst wäre sie rückwärts gelaufen, also kam sie wohl oder übel wieder an dem Tisch an.
»So, das Wasser und die beiden 43, kann ich sonst noch etwas für euch tun?«
Angels Grinsen war eine Unverschämtheit. »Ich überlege noch. Falls mir etwas Vernünftiges einfällt, rufe ich Sie einfach.«
»Öhm, ja, in Ordnung.« Vera hätte sich am liebsten geohrfeigt. Wo in aller Welt war ihre Schlagfertigkeit abgeblieben? Schlagfertig mit vier Stunden Verzögerung. Ganz toll. Grummelnd stapfte sie zurück in die Bodega, nachdem sie sich zuerst davon überzeugt hatte, dass alle Gäste versorgt waren.
Dass im Moment niemand etwas wollte, gab auch Mauro die Möglichkeit, kurz hinter seinem Tresen hervorzukommen. Er warf sich das bunte Küchentuch über die Schulter und eilte nach draußen.
»Angel, Mann, wo hast du denn gesteckt? Dich hab ich ja eine Ewigkeit nicht gesehen!«
»Geheime Mission in Venedig. Dabei waren wir eigentlich nah bei euch, oben in Arcos de la Frontera. Aber jetzt lass dich erst mal umarmen, alter Freund!« Angel freute sich sichtlich, Mauro zu sehen.
»Kannst du dich eine Weile zu uns setzen?«
Mauro wandte sich um und konnte feststellen, dass alle glücklich und zufrieden waren. »Ein paar Minuten kann ich mir gönnen. Erzähl die Kurzversion. Lian hat ein paar Andeutungen gemacht, von wegen Alexander dem Großen und so. Stimmt das?« Mauro sah Angel erwartungsvoll an.
»Das stimmt, ja. Zwar nicht er selbst, aber sein alter Feldherr Perdikkas. Stell dir vor, jemand lebt zweitausend Jahre lang, mordet, intrigiert und zerstört, alles nur, um sich dafür zu rächen, dass man ihn und diesen wahnsinnigen Eroberer um die Weltherrschaft gebracht hat.«
Mauro wiegte nachdenklich den Kopf. »Na ja, Angel, mal ganz im Ernst, ist es denn heute viel anders? Sie bringen sich doch nach wie vor um. Du hast das über die Jahrhunderte am eigenen Leib erlebt. Ich mit meinen fünfundvierzig Jahren kann da schwerlich mitreden, aber irgendwie nachvollziehen kann ich es schon. Gehe ich Recht in der Annahme, dass er jetzt bei seinen Vätern ruht?«
Angel grinste boshaft. »Davon kannst du ausgehen. Glaub mir, der Kerl hatte nichts Heroisches. Er war gemeingefährlich, brutal und vollkommen durchgeknallt. Das Beste an ihm war oder vielmehr ist sein Sohn. Ares ist jetzt einer von uns. Ohne ihn hätte es vermutlich ein wesentlich tragischeres Ende genommen. Wahrscheinlich hätten wir dennoch gewonnen, aber sechs unschuldige Frauen wären tot. Dank Ares geht es ihnen gut. Hat Lian dir auch das von Raffaele und Vittorio erzählt?«
»Dass die beiden Brüder sind und noch dazu so was wie Großfürsten bei euch? Ja, das finde ich großartig. Vittorio ist ein toller Kerl. Raffaele hab ich zwar nur einmal getroffen, aber er war auch sehr eindrucksvoll.«
»Ja.« Angel streckte sich in seinem Bistrostuhl. »Es war eine höchst aufregende Zeit. Jetzt beruhigt sich alles. Was gibt es hier Neues?«
»Leider nichts Gutes. Die Bandenüberfälle häufen sich. Deine Leute haben uns schon mehrmals geholfen. Die Polizei versucht zwar, Herr der Lage zu werden, aber das ist vergebliche Liebesmühe. Kaum glauben sie, Córdoba im Griff zu haben, verschwindet das Pack einfach nach Sevilla. Kaum wiegen sich die Menschen hier in Sicherheit, schon sind sie wieder da und es geht von vorn los. Was mir Angst macht ist, wie skrupellos diese Mistkerle vorgehen. Früher haben sie mit Messern rumgefuchtelt oder den Leuten vom Moped aus im Vorbeifahren die Handtaschen und Fotoapparate entrissen. Heute halten sie dir Pistolen unter die Nase oder stechen gleich zu. Mit zunehmendem Druck werden sie immer aggressiver. Ich mach mir jeden Abend Sorgen um die Mädels. Sie müssen ja nach Hause. Ich weiß, dass Armando und auch Lian hier schon oft heimlich hinter ihnen her liefen und aufgepasst haben. Dafür bin ich euch wirklich dankbar, hombres.«
»Nicht der Rede wert, machen wir gern.« Lian verbeugte sich leicht.
»Ja, vor allem bei Vera, was? Männer, verwirrt mir das Kind nicht so.« Mauro schmunzelte und stand seufzend wieder auf. »Ich geh dann mal wieder an die Arbeit.«
»Also bitte, Mauro, wann habe ich jemals eine Frau verwirrt? Ich bin die Unschuld in Person.« Angel grinste über das ganze Gesicht.
Mauro schüttelte nur den Kopf und schlug im Vorbeigehen spielerisch mit dem Küchentuch nach dem großen Vampir. »Halt dich zurück, du personifizierte Unschuld!«
Angel verschränkte die Arme hinter dem Kopf und wandte sich mit fragendem Blick an Lian. »Hast du eine Ahnung, was er meint?«
Der nippte genussvoll an seinem Likör, zog sein Skizzenbuch wieder hervor und schüttelte scheinbar ratlos den Kopf. »Nicht die blasseste Ahnung.«