Читать книгу Die Raben Kastiliens - Gabriele Ketterl - Страница 51

17.

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»Guten Morgen!«

Vera rieb sich ungläubig die Augen. Hatte sie plötzlich Wahnvorstellungen? Wo war sie eigentlich und – ganz besonders wichtig – wie kam sie hierher? Wobei, wenn sie ehrlich war, das Wichtigste in einem Sessel neben ihr saß und sie entwaffnend anstrahlte.

Angel! Die beste Lösung erschien ihr in diesem Moment, die Augen nochmals zu schließen und zu versuchen, ihre wirren Gedanken einigermaßen auf die Reihe zu bekommen.

Also, sie hatte die Bodega verlassen, war hinunter zur Straße am Fluss gelaufen, abgebogen und dann … Ja genau, dann stand ihr wie aus dem Nichts plötzlich so ein großer, müffelnder Kerl gegenüber, der etwas von »Gib mir deine Tasche, sonst stech ich dich ab« nuschelte. Da sie wusste, wie schnell sie laufen konnte, wollte sie blitzschnell unter seinen Armen durchtauchen und wegrennen. Das Letzte, an das sie sich erinnern konnte, war sein ruckartig nach ihr ausgestreckter Arm. Und warum lag sie jetzt hier und ihr gegenüber saß diese unverschämt hübsche Halbgottkopie? Irgendwann musste sie wohl die Augen wieder aufmachen, also besser gleich als später.

»Na, wieder unter den Lebenden? Du hast uns ganz schön erschreckt.«

Veras Augen wanderten suchend durch den Raum. »Uns?«

»Ja, Armando, Lian und mich. Wir gingen letzte Nacht am Ufer entlang nach Hause, als wir einen Schrei hörten. Ein ziemlich großer Kerl warf gerade ein Bündel in den Fluss. Du kannst dir vielleicht vorstellen, wie erschrocken wir waren, als wir erkannten, dass es sich bei dem Bündel um einen Menschen handelte. Dich!« Angel beugte sich vor und sah Vera eindringlich an. »Um ein Haar wärst du uns ertrunken, da du ohne Bewusstsein warst. Aber Armando und Lian haben dich rechtzeitig rausgezogen. Bitte sei nicht böse, aber deine Klamotten waren hinüber. Lian hat den Kleiderschrank seiner Freundin geplündert. Uns war wichtig, dass du nicht nur ins Warme kommst, sondern auch trockene Kleidung am Körper hast.«

Vera war kurzfristig entsetzt. Was Angel erzählte, klang bedrohlich. Sie konnte froh sein, dass er und seine Freunde dort aufgetaucht waren. Doch dann dämmerte ihr noch etwas anderes und sie errötete heftig.

»Ihr habt mich ausgezogen?«

Angel war sprachlos, allerdings nicht lange. »Das ist mal wieder typisch Frau. Da erzählt man, dass man ihr das Leben gerettet hat und was interessiert sie? Ob wir sie ausgezogen haben, also wirklich!«

Vera musste schmunzeln. »Entschuldige, das war wirklich nicht nett. Was hast du eigentlich gemacht, nur rein aus Neugierde?«

»Oh, ich hab mich um den Knaben gekümmert, der dich angegriffen hat.«

»Gut, ich hoffe, er hat dich nicht verletzt. Ich glaube, er hatte ein Messer.«

»Keine Angst, ich weiß mich zu wehren.«

»Da bin ich froh. Habt ihr ihn der Polizei übergeben?«

»Öhm, ja, so was in der Richtung. Aber sag mal, wie fühlst du dich? Alles in Ordnung?«

»Ich glaube, mir geht es gut. Es tut zumindest nichts weh.«

»Eigentlich müsstest du eine Riesenbeule haben, du warst lange ohnmächtig. Scheint, als habe er dich anständig ausgeknockt. Kopfschmerzen?«

Vera setzte sich vorsichtig auf. »Nein, auch das nicht. Ich fühle mich, als hätte ich stundenlang tief und erholsam geschlafen. Seltsam.«

»Na ja, das hast du mehr oder wenig auch. Es ist fast Mittag.«

»Was? So spät? Tut mir leid, dass ich dich aufhalte.« Vera sprang sofort auf.

»Nein, nein, schon gut. Ich hatte gerade nichts anderes vor. Wir sind ja alle froh, dass nichts Schlimmeres passiert ist. Willst du wirklich gleich wieder los?«

»Leider«, rutschte es Vera heraus. Sie räusperte sich und setzte erneut an. »Ja, leider. Mauro macht um fünf Uhr auf. Heute hab ich die Nachmittagsschicht. Da ist nicht so viel los. Nur am Abend sind wir zu zweit.« Sie sah sich suchend um und klang etwas verzagt, als sie fortfuhr. »Mist! Mein Rucksack ist wohl auch im Guadalquivir gelandet? Da war mein ganzes Geld drin.«

Angel lächelte sie beruhigend an. »Nein, wart mal kurz.«

Er stand auf und holte aus dem Flur ihren Rucksack. Armando hatte die Weitsicht besessen, ihn ordentlich vom Blut zu reinigen und zu trocknen, so konnte er ihn einer grenzenlos erleichterten Vera mit gutem Gewissen in die Hand drücken.

»Super! Tausend Dank, auch den beiden anderen. Ich hoffe, ich kann mich einmal revanchieren!« Überglücklich drückte Vera ihre Habseligkeiten an sich.

»Ich könnte wetten, da fällt mir noch etwas ein. Wir werden dann heute Abend vorbeikommen und sehen, ob es dir wirklich gut geht.« Angel strich Vera sanft über den Arm und schenkte ihr ein vielversprechendes Lächeln.

Eine kleine Weile starrte sie ihn nur aus großen Augen an, ehe sie ihre Stimme wiederfand. »Ja, das würde mich freuen. Eine Frage, warum ist es hier so dunkel? Mögt ihr keine Sonne?«

Angel hüstelte leicht. »Doch, doch! Ich habe nur derzeit so eine Art Sonnenallergie. Blöde Sache, geht aber sicher wieder vorbei.«

»Du Ärmster. So ein herrlicher Sommer und du musst im Dunklen bleiben. Das tut mir wirklich leid.«

Angel seufzte herzerweichend. »Ja, ab und an könnte man schon depressiv werden. Ein wenig Aufmunterung kann bei so etwas nie schaden.«

Sie zog lächelnd eine Augenbraue hoch. »Vielleicht fällt mir ja bis heute Abend etwas ein.«

»Das ist eine sehr gute Idee! Ich erinnere dich daran, falls du es vergessen solltest.«

Da Angel sah, dass sie sich zum Aufbruch rüstete, ging er zu ihr und küsste sie sanft auf die Wangen. »Bis heute Abend, Vera. Ich freue mich.«

»Ich mich auch. Vergiss aber bitte nicht, meine beiden anderen Lebensretter auch mitzubringen. Ich würde mich gern dafür bedanken, dass sie mich aus den Fluten gefischt haben.«

»Natürlich bringe ich sie mit, bis dann!«

Vera schlüpfte hinaus in den heißen Sommertag und Angel schloss rasch die Tür, ehe die mittägliche Sonne ihm hätte schaden können.

»Sonnenallergie! Ich schmeiß mich weg!« Armando stand hinter dem Durchgang zu den Privaträumen der Vampire und krümmte sich vor Lachen.

Angel musterte den feixenden Armando mit leicht entnervtem Blick. »Solange ihr euch heute Abend rechtzeitig verkrümelt, hat meine Geschichte durchaus Stil. Und jetzt geh ich schlafen, basta!«

»Ja, geh mal. Nicht, dass diese dumme Sonnenallergie noch schlimmer wird.«

Armando wich lachend zurück, als Angel Anstalten machte, ihm an die Gurgel zu gehen. »Null Humor, der Kerl.« Weiter lachend verzog er sich in sein Domizil und das große Stadthaus versank in absoluter Stille.

Die Raben Kastiliens

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