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Problemlos durchfuhren sie sämtliche Wachtposten an der Strecke. Sergej hatte mit der Mercedes-Benz-Nobelkarosse eine gute Wahl getroffen. Niemand wagte es, die drei riesigen »Offiziere« aufzuhalten. So gelangten sie zu dem schönen Hotel im nächsten Ort, das inzwischen von General Franco in einen Truppenstützpunkt umfunktioniert worden war. Sergej fuhr den Wagen ohne mit der Wimper zu zucken auf den rückwärtigen Parkplatz. Ihre Waffen lagen vorbereitet neben ihnen, ihre Schwerter steckten in den extra dafür gefertigten Schwertscheiden auf ihren Rücken. Als sie gleichzeitig aus dem Wagen stiegen, waren sie zu tödlichen Kampfmaschinen geworden, die nur ein Ziel kannten: Gerechtigkeit und das Verhindern von noch mehr Leid. Die drei Hüter der Dunkelheit kamen über die arglosen Offiziere und Soldaten wie ein Wirbelsturm aus heiterem Himmel. Wohl unterscheidend zwischen Angestellten, die sich zwangsweise in dem Hotel befanden und denen, die das Morden des vergangenen Tages angeordnet hatten, zogen sie eine Schneise des Todes durch alle, die sich ihnen in den Weg stellten. Zwar bekamen sie Gewehrschüsse ab, doch die Wunden heilten binnen weniger Augenblicke. Schließlich hob Sergej die Hand. »Leute, ich denke, das war’s.«

»Ja, ich glaube, hier haben wir gut aufgeräumt.« Angel reinigte sein Schwert und steckte es zurück ins Futteral. »Irgendwas ist hier noch. Moment, ich suche mal kurz.«

»Tu, was du nicht lassen kannst, aber komm wieder, bevor die Sonne aufgeht und wir hier festsitzen.« Sergej verspürte keine Lust, den nächsten Tag hier verbringen zu müssen.

»Schon klar.« Angel griff sich sein Gewehr und lief durch das große, stille Gebäude . Er hatte all seine Sinne geschärft und so entging ihm nichts. Auch nicht das unregelmäßig schlagende Herz unter einem der Treppenaufgänge.

Langsam umrundete Angel den Treppenantritt und sah suchend in das Dunkel darunter. Er benötigte kein Licht, um den Mann dort liegen zu sehen. Als er näher kam, erkannte er, wie jung dieser noch war. Zwanzig, wenn überhaupt. Das Gesicht unter dem blonden, kurz geschnittenen Haar war schmerzverzerrt. Blut lief dem Jungen in stetigen Fluss aus einer riesigen Platzwunde am Kopf. Offenbar hatte er einen Schuss in die Brust abbekommen, denn seine Uniformjacke klebte ihm, dunkel von Unmengen frischen Blutes, am Oberkörper. Er zitterte am ganzen Leib und seine Hände glitten fahrig über Brust und Gesicht. Das, was Angel noch erkennen konnte, waren die hübschen, aristokratischen Züge des Mannes. Was für eine Verschwendung! Aber er trug die ihnen so verhasste Uniform, daher stand der Knabe eindeutig auf der falschen Seite. Angel zog sein Schwert, auch wenn er ein Feind war, wollte er ihn nicht noch länger leiden lassen. Gerade als er die schimmernde Klinge über den Kopf hob, öffnete der Junge die Augen. Ohne zu verstehen, blickte er auf den großen Mann. Angel hatte seine Kopfbedeckung bereits abgelegt und so fielen ihm seine langen Haare bis auf den Rücken.

»Du bist keiner von den Unsrigen, nicht wahr?« Der Junge hustete und ein Schwall hellroten Blutes floss aus seiner Nase. Er schenkte dem keine Beachtung. »Bitte, wer auch immer du bist, töte mich. Dann ist es endlich vorbei … dann ist endlich alles vorbei. Endlich!«

Angel zögerte und ließ das Schwert sinken. Was er bei dem Jungen fühlte, war weder Angst vor dem Tod, noch sonst etwas Negatives, lediglich grenzenlose Erleichterung.

»Wieso wünscht du dir so sehnlichst den Tod?«, sprach er den Jungen auf Deutsch an.

»Warum denn nicht? Was soll ich denn noch hier? Ich habe in diesem Land nichts verloren, gehöre nicht her. Dass ich meine Schwester nie wiedersehen werde, das macht mich traurig, aber sonst? Nein! Ich freue mich über den Tod. Ich habe ihn so vielen gebracht, jetzt bring du ihn mir.«

»Warum, zum Teufel, bist du dann hier, wenn du schon weißt, dass es falsch ist?«

Der Junge sah ihn fast schon mitleidig an. »Ja denkst du denn, als Sohn meines Vaters hat mich jemand nach meiner Meinung gefragt? Glaubst du, ich hatte eine Wahl?« Wieder schüttelte ein Hustenanfall den Körper des jungen Mannes, noch mehr Blut schoss ihm aus der Nase und besudelte seinen Kragen. »Ich war sowieso immer das Sorgenkind. Malen statt jagen, Skulpturen bauen statt Hitlerjugend. Und das ist dann der Sohn eines Offiziers aus dem engsten Kreis um diesen komischen kleinen Kerl mit den seltsamen Ansichten und Plänen. Ich befürchte, er wird noch viel Leid über die Menschen bringen. Aber nicht mehr über mich.«

Angel war verunsichert. Er beugte sich zu dem Jungen hinunter und legte seine Hand auf dessen Rechte. Alles, was er fühlte, war Erleichterung, ja Freude. Keine Angst, keinen Hass – nichts. Allerdings fühlte er auch, dass – falls er nichts unternahm – dem Jungen nur noch wenige Augenblicke zu leben blieben.

»He, Junge, wie heißt du? Hörst du mich? Sprich mit mir.«

Mühsam öffnete dieser seine Augen. »Ich heiße Maximilian. Aber … mir ist Lian lieber. So hat meine kleine Schwester mich immer genannt, das ist so eine Sagengestalt aus einem ihrer Bücher.«

»Hör zu, Maximilian oder wie auch immer. Wenn ich eine Möglichkeit hätte, dir zu helfen, wenn du die Wahl hättest, ein neues Leben anzufangen. Wie würdest du entscheiden? Leben oder Tod?«

Maximilian hatte seine Augen jetzt geschlossen. Ein befreites Lächeln zog über sein Gesicht und ließ es noch jünger aussehen. »Eine Wahl? Ein Leben, das ich so leben dürfte, wie ich es gern hätte. Ein Leben mit Farben und Sonne, mit fröhlichen Menschen. Das wäre mein Traum, aber das wird es auch bleiben – ein unerreichbarer, wunderschöner Traum. Du bist nicht wie die anderen hier, das spüre ich. Wenn du jemals nach Nürnberg kommst, dann such meine kleine Schwester Marlies und sag ihr, dass ich das alles nicht gewollt hab.« Die Stimme des Jungen war nur noch ein leises Flüstern.

»Mann, was machst du denn da? Oh, der lebt ja noch, aber nicht mehr so richtig.« Sergej beugte sich interessiert über Angels Schultern. »Mist, das ist ja noch ein halbes Kind.«

»Sergej, hilf mir, ihn zu retten. Ich denke, das ist eine gute Entscheidung.«

»Augenblick mal, hat der Knabe nicht eben etwas von Farben und Sonne erzählt? Vergisst du da nicht eine Kleinigkeit?«

»Egal, er wird ein selbstbestimmtes Leben mit sinnvollen Dingen akzeptieren. Ich bin mir sicher. Aber wenn er jetzt stirbt, werden wir das nie herausfinden.«

Sergej seufzte. »Du und deine philanthropische Ader! Dann wollen wir uns lieber beeilen, wir müssen hier nämlich weg.« Er und Angel öffneten sich gleichzeitig die Pulsadern. Während Angel ihm sein Handgelenk an den Mund hielt, ließ Sergej sein Blut in die Wunden des Jungen laufen, deren Blutfluss zwar aufgehalten wurde, die aber nicht komplett heilten.

»Wir müssen ihn mitnehmen. Stabil genug ist der Bengel jetzt. Ich hoffe, er ist den Aufwand wert. Beeil dich, Angel. Wir fahren zu Domingos Residenz, dort wird er schnell wieder auf den Beinen sein. Ich bin gespannt, was er sagt, wenn er statt der Sonne den Mond malen darf.«

Angel sparte sich eine Antwort, nahm den blutüberströmten Körper auf die Arme und brachte ihn zum Wagen.

Luca zog nur die Augenbrauen hoch. »Ah, Angel war wieder einmal zu gut für diese Welt.«

»Wir reden bei Gelegenheit darüber, vertraut mir einfach.«

»Tun wir. Halt den Kleinen fest, ich geb jetzt Gas. Ich habe keine Lust, in der Morgensonne zu Domingo zu fahren.« Sergej setzte die Limousine zurück und gab Gas. Zurück blieben etwa vierzig Tote, die dafür ausersehen gewesen wären, am nächsten Tag einen mörderischen Fliegerangriff auf die arglose Stadt Cádiz auszuführen.

Die Raben Kastiliens

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