Читать книгу Die Raben Kastiliens - Gabriele Ketterl - Страница 38

10.

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Es hatte sich gut und richtig angefühlt, Nunzios Blut zu trinken. Es erwies sich für ihn als vollkommen natürlich, sich von dem sterbenden Bischof zu nähren, wohlwissend, dass dieser es bis zu seinem letzten Atemzug miterlebte. Gut so, Nunzio war mit der Gewissheit gestorben, dass einer der von ihm so verabscheuten »Dämonen der Dunkelheit« sein Leben aussaugte.

Angel reinigte seinen Mund und seine Hände an Nunzios Waschschüssel, ehe er über den toten Bischof hinwegstieg und hinaus auf die Galerie trat. Weit und breit war niemand zu sehen, daher lief er die große Freitreppe hinab und machte sich auf, seine Freunde zu suchen. Sein Werk hier war getan. Als sein Blick suchend über den Innenhof wanderte, erblickte er Etna, der einen leblosen Körper aus den Kellerräumen herauf trug. Es würde doch wohl nicht einer von ihnen sein? In großen Sprüngen überwand Angel die Treppe und eilte auf Etna zu. Doch schon von Weitem erkannte er, dass es keiner aus ihrer Truppe war. Der blonde Mann hatte eine der Steinbänke erreicht und legte den Körper dort vorsichtig ab.

»Ich hab ihn aus den Kerkerräumen herausgeholt. Er war dort mit zwei anderen eingeschlossen. Die hatten aber leider weniger Glück als er und hingen bereits zu Tode gefoltert in ihren Fesseln. Ein reizender Zeitgenosse, dieser Bischof, wahrlich reizend!« Etna war wütend. Er strich dem bewusstlosen Mann sachte über das zerschundene Gesicht.

Leise trat Angel näher und fuhr erschrocken zurück, als er erkannte, wer da lag. »Isaia! Um Himmels willen, das ist Isaia!«

Etna wandte sich fragend um. »Ein Freund von dir?«

Angel nickte. »Ja, einer der wenigen, die ich noch habe. Er half mir, in die Stadt hineinzukommen. Wie kommt er nur hierher? Er wollte weg von Toledo, ist von hier geflohen, da er Nunzios Machenschaften nicht mehr ertrug.«

»Das scheint dem edlen Herrn nicht gefallen zu haben. Ich schätze, seine Häscher haben ihn ergriffen und zurückgebracht. Es steht nicht besonders gut um ihn. Sie haben ihn gefoltert.«

Angel ließ sein Schwert scheppernd zu Boden fallen und ging neben Isaia in die Knie. »Was können wir tun?«

Etna zuckte die Schultern. »Wir müssen Vittorio rufen und gleichzeitig vorsichtig sein. Hier schleicht noch jemand herum, ich kann es fühlen.«

Dann ging alles rasend schnell.

Angel fühlte, wie sich jemand von hinten näherte, er hörte Etnas warnenden Ruf und wollte nach seinem Schwert greifen, doch das lag in zu großer Entfernung.

Vittorios lauter Schrei erklang vom Wachturm direkt hinter ihnen. »Angel, fang!«

Wie von selbst erhob sich Angel und fing in der Drehung das herbeifliegende Schwert auf. Es lag so leicht und perfekt in seiner Hand, als sei er damit verschmolzen. Der Angreifer, ein großer, ausnehmend kräftiger Soldat, der den Kerker bewacht hatte, brach enthauptet zusammen, ehe er einen klaren Gedanken zu fassen vermochte.

Angel starrte fasziniert auf die wundervoll gearbeitete Waffe in seiner Hand. Noch nie hatte er ein solch schönes Schwert gesehen. Er bestaunte die in mehreren Farben schimmernde Klinge und die glänzenden Edelsteine, mit denen der Griff verziert war. So versunken war er, dass er gar nicht bemerkte, wie ihn Reyna, Vittorio, Esteban und Etna umringten und mit neugierigen Augen musterten.

Erst als Reyna die Hände vor den Mund schlug und mit erstickter Stimme flüsterte: »Vittorio, du hattest wirklich recht«, erwachte er aus seiner Trance.

Ohne zu verstehen was los war, irrte sein Blick von einem zum anderen. »Womit hatte Vittorio recht? Was meint ihr? Was ist los? Wieso seht ihr mich alle so an? Habe ich etwas falsch gemacht?«

»Aber nein, ganz im Gegenteil. Du hast alles richtig gemacht. Mehr als das, du erfreust uns gerade über alle Maßen, oder denkst du, dass ich jeden Tag vor Freude weine?« Reyna lachte und gleichzeitig liefen ihr Tränen über die Wangen.

»Bitte redet mit mir. Was ist los?« Angel wurde es langsam etwas unheimlich.

Vittorio trat auf ihn zu und legte die Hand auf seine Schulter. »Das, was ich von Anfang an geahnt habe, hat sich als wahr erwiesen. Das Schwert, das du da in Händen hältst, ist ein besonderes Schwert, es gibt davon nur sechs Stück, gefertigt vor über zweitausend Jahren und wohl verwahrt von den Ältesten der Kinder der Dunkelheit. Eine uralte Prophezeiung unseres Volkes besagt, dass in Zeiten der Bedrohung die sechs Hüter geboren werden, um das Geheimnis der Kinder der Dunkelheit zu bewahren. Nur ein Hüter ist in der Lage, dieses Schwert zu führen, nur einem Hüter gehorcht es. Dir gehorcht es. Du, mein Junge, bist der fünfte Hüter der Dunkelheit.«

Angel versuchte zu begreifen, was er da gerade gehört hatte, doch etwas anderes drängte mit aller Macht in sein Bewusstsein und dann fiel es ihm wieder ein. »Isaia, er wird sterben, wenn wir ihm nicht helfen!«

Vergessen war sein neuer Titel, es zählte nur der schwer verwundete Freund.

»Ich kann ihm helfen, wenn du das möchtest.« Vittorio kniete sich neben Angel und Isaia.

»Bitte hilf ihm, er war für mich da, als kein anderer es war. Er darf nicht so sterben.« Angel sah Vittorio flehend an.

Der schob den Ärmel seines Hemdes etwas nach oben, drehte sein Handgelenk und biss in seine Pulsader. Langsam und zäh quoll burgunderrotes Blut aus der Wunde.

Vittorio hob sanft und vorsichtig Isaias Kopf ein wenig an und legte sein Handgelenk auf dessen Mund. »Trink, Junge, trink, das wird dich heilen.« Ganz leise flüsterte Vittorio diese Worte an Isaias Ohr und offenbar wurde er gehört.

Isaia schluckte. Zuerst nur zaghaft, doch dann immer stetiger und kräftiger, bis Vittorio behutsam seinen Arm zurückzog, die Wunde verschloss und Isaias Kopf langsam wieder zurück auf die Bank legte.

Fasziniert beobachtete Angel, wie sich Isaias Wunden ebenfalls zu schließen begannen, wie Farbe in sein todesbleiches Gesicht zurückkehrte und er wieder ruhig und gleichmäßig atmete.

»Wann wird er erwachen?«

»Wenn sein Körper sich so weit wieder hergestellt hat, dass sein Geist es ihm gestattet, zu erwachen.« Vittorio zupfte seinen Ärmel zurecht und lächelte Angel an. »Du bist ein wahrer Hüter der Dunkelheit, mein Sohn. Selbst in dem Moment, als du erfährst, dass du einer der Auserwählten bist, denkst du nur daran, deinen Freund zu retten. Gut gemacht!«

»Wenn wir hier alles erledigt haben, könnten wir dann wieder nach Hause? Ich mag dieses Anwesen nicht. Zu viele dunkle Schatten der Vergangenheit.« Reyna fühlte sich sichtlich unwohl.

»Etna, hast du aufgeräumt?«

»Aber sicher!« Etna grinste Vittorio vielsagend an.

»Was meint ihr damit?« Nun war Angel neugierig.

»Ach, das ist nur so eine Redensart. Wenn wir so etwas wie in dieser Nacht tun, dann lassen wir hinterher meist keinen Zweifel daran offen, wer tatsächlich getroffen werden sollte.«

»Und das bedeutet?«

»Das bedeutet, dass unten im Kerker der tote Nunzio nun in den Ketten hängt, aus denen wir deinen Freund herausgeholt haben. Gleich daneben hat es sich dieser Adolfo gemütlich gemacht. Ehre, wem Ehre gebührt, du verstehst?« Etna lächelte vielsagend in die Runde.

»Ja, danke. Jetzt habe ich verstanden. Gut so!« Angel war zufrieden. Zwar wurden Sarah und sein Kind davon nicht mehr lebendig, doch zumindest würden andere nicht mehr das gleiche Schicksal durch Nunzios Hand erdulden müssen.

Die Raben Kastiliens

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