Читать книгу Die Raben Kastiliens - Gabriele Ketterl - Страница 34

8.

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Sein Blick glitt über die Ebene und verlor sich in der Ferne. Angel versuchte all das, was er in der letzten Stunde erfahren hatte, zu verarbeiten. Reyna und Etna waren während Vittorios Erzählung irgendwann still und leise verschwunden. Welch Wunder, sie kannten die Geschichte ja seit so langer Zeit. Für ihn aber war alles neu, verwunderlich, teils verstörend, und doch war er bei weitem nicht so aufgewühlt, wie sein Retter es erwartet hatte. Langsam und nachdenklich wandte er sich zu Vittorio um, der in einem Ledersessel mit hoher Lehne saß und ihn neugierig musterte.

»Wie wird mein Leben weitergehen? Ich habe all die Menschen verloren, die mir lieb waren.« Angel lehnte seine Stirn an die kühle Wand. »Ich fühle, dass dieses neue Leben etwas Besonderes für mich bereithält, aber werde ich es meistern können?«

»Du kannst, Angel. Hab keine Furcht und sprich endlich das aus, was dir schon seit geraumer Zeit auf der Seele brennt. Wenn du dich diesem inneren Dämon nicht stellst, wird er dich auffressen.« In einer geschmeidigen Bewegung erhob sich Vittorio und trat neben ihn. »Sprich es aus, mein Sohn!«

Angels Schultern zitterten, doch er sprach leise und beherrscht. »Ich will Rache für meine Frau und mein Kind. Ihnen wurde kein Ausweg gelassen. Sie wurden in einen gnadenlosen Tod gejagt. Ich will die leiden sehen, die ihnen Hilfe versagten, will die brennen sehen, die sie dem Tod auslieferten.« Fragend wanderte sein Blick zu Vittorio hinüber. »Meine Angst ist lediglich, dass ihr mich aufhalten werdet.«

Der große Mann stieß sich von der Wand ab, an die er sich nachlässig gelehnt hatte. »Wer hat etwas von aufhalten gesagt? Wie ich bereits erwähnte, wir haben Nunzio und seine Machenschaften schon eine ganze Weile im Blick. Er hat mehr Menschenleben auf dem Gewissen, als du erahnen kannst. Dieser so genannte ›Mann Gottes‹ ist ein ruchloser Mörder. Sicher, er mordet nicht selbst, dafür hat er seine Handlanger, doch das ist uns vollkommen egal. Für uns zählt, dass er in der Position, die er derzeit innehat, eine Gefahr für zu viele Menschen ist. Daher darf ich dich beruhigen. Du hast gänzlich freie Hand, mein Sohn.«

Angel atmete befreit auf. »Ich füge euch damit keinen Schaden zu? Bringe euch nicht in Gefahr?«

»Du? Uns in Gefahr bringen? Ähm, nein. Ich glaube, wir müssen hier noch etwas klarstellen. Komm mit.« Vittorio drehte sich auf dem Absatz um und verließ, ohne sich noch einmal nach Angel umzudrehen, das Kaminzimmer. Dieser beeilte sich, seinem Lebensretter zu folgen, der bereits am großen Eingangstor der Burg angelangt war.

Die Schnelligkeit und Eleganz, mit der Vittorio sich bewegte, faszinierten Angel.

Als sie in die kühle Nachtluft hinaustraten, erschnupperte er sofort wieder den Duft der Blumen, der schon bei seinem Erwachen all seine Sinne berührt hatte. Doch er roch so viel mehr! Es war unglaublich. Er konnte das Gras im Burghof riechen, die Pferde im Stall und die doch recht weit entfernten Bäume des Waldes. Er hatte schon immer gut riechen können, doch jetzt war sein Geruchssinn um ein Hundertfaches besser.

»Na, woran denkst du gerade?«

»Ich bin überwältigt davon, dass ich Gerüche wahrnehmen kann, die ich eigentlich gar nicht bemerken dürfte. Ich kann den Duft von Kräutern dort im Wald riechen, das ist doch unmöglich.« Angel schnupperte erneut in Richtung Wald, eindeutig, er konnte sie riechen.

»Deine Sinne sind um ein Vielfaches schärfer als die eines Menschen. Du kannst Dinge riechen, die andere nicht einmal erahnen. Deine Sehfähigkeit wird sich ebenso vervielfachen. Das ist aber bei weitem nicht alles. Warte.« Sein Begleiter eilte die Treppe hinunter in den Burghof. Dort blieb er stehen und flüsterte leise in die Nacht. Angel verstand seine Worte, die für einen Normalsterblichen nichts als leises Gemurmel gewesen wären, problemlos.

Die letzte Silbe war kaum verklungen, als ein großer, kräftiger Mann mit wilden schwarzen Locken und einem glänzenden Schwert in seinen Händen aus dem Schatten der Ställe trat. »Vittorio, du hast mich gerufen?«

»Ja, ich möchte dich unserem neuen Familienmitglied vorstellen. Angel, komm herunter.«

Er kam der Aufforderung unverzüglich nach.

Vittorio wies auf den schwarzhaarigen Mann. »Dies hier ist Esteban, aber dank seiner flinken Hände und seiner Treffsicherheit, nennen ihn alle nur El Cazador. Ich denke, ihm ist es egal, wie du ihn nennst, nicht wahr, Esteban?«

Der Schwarzhaarige nickte leicht und sein ernstes Gesicht ließ den Hauch eines Lächelns erkennen. »Der Mann, den meine kleine Schwester unbedingt retten wollte, kann sich gern aussuchen, wie er mich zu nennen gedenkt.« El Cazador trat zu Angel und streckte ihm die Hand entgegen. »Willkommen, Angel.«

Angel hatte kaum die Hand ergriffen, als schon Vittorios ungeduldige Stimme erklang. »Gut, damit haben wir die Förmlichkeiten hinter uns gebracht. Esteban, ich möchte, dass du herausfindest, wie gut und wie schnell Angel ist. Ich habe da so eine Ahnung.«

»Eine Ahnung? Möchtest du mir irgendetwas sagen? Sollte ich etwas wissen?« El Cazador fixierte Vittorio fragend. »Als du das letzte Mal eine ›Ahnung‹ hattest, hat mich das mein bestes Schwert gekostet.«

»Oh nein, alles in Ordnung. Gib Angel ein Schwert und dann lass uns herausfinden, was er kann.«

»Hm, auf deine Verantwortung. Angel, hör mir zu, ich würde diese Nacht gern unversehrt überstehen. Also, wenn du Fähigkeiten hast, von denen ich wissen sollte, dann sprich mit mir.«

Angel lächelte. »Nun ja, ich kann, seit ich aufgewacht bin, hervorragend riechen und sehen. Ich weiß nicht genau, wie ich damit dein Leben gefährden könnte.«

»Das klingt vernünftig, aber ich muss hin und wieder fragen, denn Vittorio sieht das alles ein wenig, sagen wir mal, großzügig. Die Tatsache, dass ich schnell wieder heile, heißt nicht, das ich es genieße, in Scheiben geschnitten zu werden.« El Cazador warf Vittorio einen vielsagenden Blick zu, den dieser schlicht ignorierte.

»Genug, Leute. Wir haben nicht die ganze Nacht Zeit. Esteban! Gib ihm jetzt ein Schwert. Und dann möchte ich einen guten Kampf sehen. Angel, du wirst schneller und wesentlich kräftiger sein als vorher. Bitte denk daran, dass du deine Hiebe ein wenig abschwächst, zumindest zu Anfang. Alles verstanden?« Vittorio schien ungeduldig zu werden, daher lief El Cazador eilig in eine große Kammer neben den Stallungen und kam mit einem schönen, schweren Schwert zurück.

»Da, nimm. Es ist so schwer, dass du vorerst keinen allzu großen Schaden anrichten kannst. Zumindest hoffe ich das.«

Angel griff andächtig nach der edlen Waffe. »Ich werde vorsichtig sein, ich verspreche es.«

Dann ging alles ziemlich schnell. El Cazador hob sein eigenes Schwert, forderte Angel heraus und schickte sich an, seinen ersten Hieb abzuwehren. Angel aber wich nicht nur dem Schwertstreich des Gegners mit unfassbarer Schnelligkeit aus, er handhabte die riesige Klinge mit schlafwandlerischer Sicherheit und ehe El Cazador wusste, wie ihm geschah, lag er im Staub.

»Vittorio!«

»Stell dich nicht so an. Dir ist doch nichts geschehen. Angel, du bist tatsächlich unglaublich. Ist dir bewusst, dass du soeben einen unserer schnellsten, geschicktesten und auch tödlichsten Schwertkämpfer mit nur einem Hieb zu Fall gebracht hast?« Vittorio war sichtlich begeistert.

Angel starrte verblüfft auf die Waffe in seiner Hand, dann half er dem kopfschüttelndem El Cazador auf die Beine. »Verzeih mir, ich wollte das nicht.«

»Schon gut. Das hat er schon öfter mit mir gemacht. Irgendwann kommt meine Rache, hörst du mich, Vittorio?« El Cazador klopfte sich schimpfend den Staub von der Kleidung.

»Ja, ich höre dich, aber heute kann mir fast nichts mehr die gute Laune verderben. Denn wenn ich das Gesamtbild ansehe, dann fehlt mir eigentlich nur noch ein kleines Mosaiksteinchen und dann weiß ich, dass ich von Anfang an recht hatte.«

»Womit?« Angel begriff nicht ganz.

»Noch nicht, hab noch ein klein wenig Geduld. Ihr beiden wisst nun, was ihr von eurem Gegenüber erwarten dürft. Angel, du übst weiter mit Esteban, ich möchte, dass du in der nächsten Nacht gewappnet bist für das, was wir dann tun werden.« Vittorio wollte sich gerade abwenden, doch Angel war zu neugierig, um ihn einfach gehen zu lassen.

»Verzeih, ich will ja nicht in dich dringen, aber was wird nächste Nacht geschehen?«

»Morgen gegen Mitternacht, mein Sohn, werden wir dem Bischof von Toledo einen Besuch abstatten. Ich denke doch, dass du dabei sein möchtest?« Vittorios sehr spezielles Lächeln verhieß eine interessante Begegnung mit Nunzio.

»Oh ja! Nichts wird mich davon abhalten können. Werden wir denn in die bischöfliche Burg hinein gelangen?«

Angel wunderte sich nicht wenig über das schallende Gelächter, in das seine beiden neuen Freunde ausbrachen.

»Glaub mir, Angel. Wir kommen überall hinein.« Mit diesen Worten stapfte Vittorio, eine fröhliche Melodie vor sich hinsummend, in die Nacht.

Die Raben Kastiliens

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