Читать книгу Die Raben Kastiliens - Gabriele Ketterl - Страница 26
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ОглавлениеDie Sonne stand tief und lange Schatten krochen über die Straßen und Häuser Toledos. Die Dämmerung ließ die fast verlassene Stadt noch gespenstischer erscheinen, als es am Tag der Fall war. Angel ritt, so schnell es irgend ging, zum höchsten Punkt des Ortes. Zwar begegneten ihm einige Wächter, doch niemand hielt ihn auf. Er war weit von den abgesperrten Stadtteilen entfernt, hier durfte er sich frei bewegen. Erst als er einen kleinen Hügel erreicht hatte, stellte er sich im Sattel auf und ließ seinen Blick in die Ferne schweifen. Von hier aus konnte man, sofern man gute Augen hatte, die Gasse sehen, in der sein Haus lag. Tatsächlich gelang es ihm, einen Blick darauf zu erhaschen. Doch was er außerdem zu sehen bekam, schnürte ihm schier die Luft zum Atmen ab. Feuer brannten dort, wo noch vor wenigen Tagen Kinder gespielt hatten, Menschen über die Straßen geeilt und Märkte abgehalten worden waren. Angel konnte erkennen, dass die Feuer an den Enden der Gassen entzündet worden waren. Sie erhellten alles in ihrer Umgebung. Niemals würde es ihm gelingen sich an den Wachen vorbeizuschleichen. Egal wohin er auch sah, überall war ihm der Weg abgeschnitten. Wachen der bischöflichen Garde, Soldaten, sie ließen keine einzige Lücke unbewacht. Wie sehr mussten sie um ihr Leben fürchten!
Angel sank im Sattel zusammen. Sicherlich hätte er kämpfen können, sein Schwert benutzen, doch mit welchem Erfolg? Er wäre tot, noch ehe er auch nur einen Schritt vorangekommen wäre. Damit würde er seinen Lieben kaum weiterhelfen.
Er zermarterte sich das Hirn. Irgendwo musste es einen Weg geben, irgendwo musste sich eine Lösung verbergen.
Endlich fiel es ihm ein. Warum hatte er nur nicht früher daran gedacht? Angel blickte ein letztes Mal zurück und ritt dann in gestrecktem Galopp fort von Toledo.
Erst als er den Rand des nahen Waldes erreichte und er sich sicher sein konnte, dass man ihn von der Stadt aus nicht mehr sehen konnte, zügelte er sein Pferd und wechselte die Richtung. Er blieb im Wald, abseits der Wege, musste es zulassen, dass die dürren Zweige sein Gesicht zerkratzten und seine langen Haare sich in den tief hängenden Ästen verfingen. Ganze Büschel seiner dunklen Locken blieben darin zurück, doch das scherte ihn nicht. Er konnte nur noch daran denken, den Tunnel zu finden und zu Sarah zu kommen.
Ohne Erbarmen jagte er seinen treuen Mercurio voran. Erst an einer kleinen Lichtung hielt er kurz an, um sich zu orientieren. Er war auf dem richtigen Weg zum Osttor und dem dahinter gelegenen Mauerabschnitt. Den langen Umweg musste er in Kauf nehmen, um nicht bemerkt zu werden.
Noch einmal spähte er zwischen den Bäumen hindurch, erblickte ein seltsames Glühen, das wohl von einem der Torfeuer kommen musste und wusste, dass es nicht mehr weit war. Wieder trieb er Mercurio zwischen die Bäume und ritt, so schnell es der Wald zuließ, weiter.
Es erschien Angel wie eine Ewigkeit, doch endlich lichtete sich der Wald und er konnte das Osttor Toledos erkennen. Rasch sprang er vom Pferd und band den treuen Mercurio an einem Baum fest. Liebevoll streichelte er ihm über die lange Mähne. »Es tut mir leid, mein Guter, doch ich muss dich zurücklassen. Du würdest mich verraten. Aber dein Zügel ist so leicht gebunden, dass du dich früher oder später befreien kannst. Ich hoffe, du verstehst das.« Noch einmal senkte er, wie so oft in den letzten Jahren, seine Nase in Mercurios Mähne und streichelte seine warmen Nüstern. Mit Mühe riss er sich von seinem treuen Gefährten los und rannte in gebückter Haltung auf die Mauern zu.
Den großen schwarzen Schatten, der hinter ihm aus dem Dunkel des Waldes glitt, nahm er nicht mehr wahr.