Читать книгу Die Raben Kastiliens - Gabriele Ketterl - Страница 39

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Den Rest der Nacht und einen ganzen Tag lag Isaia nun schon in diesem tiefen Schlaf. Langsam machte Angel sich Sorgen. Er war nicht von der Seite des Freundes gewichen, seit sie zurück auf die Rabenburg gekommen waren. Vittorio hatte Isaia ein kleines, gemütliches Gästezimmer zugewiesen und Etna hatte Angel geholfen, den Bewusstlosen zu waschen und ihn in ein frisches Hemd zu kleiden. Angel saß in einem der Lehnsessel und betrachtete Isaia nachdenklich. Im Kamin brannte ein wärmendes Feuer und die Flammen zauberten rotgoldene Schatten auf Isaias Gesicht. Allmählich wurde Angel bewusst, mit welch einer Gabe er gesegnet war. Er würde Menschenleben retten können, wäre sogar in der Lage, Menschen in Not zu erspüren. Was, wenn er diese Gabe schon früher entwickelt hätte? Doch er verscheuchte diesen Gedanken sofort, er wollte den Schmerz nicht noch größer werden lassen.

Das leise Klopfen an der Tür war ihm daher höchst willkommen.

»Darf ich hereinkommen?« Fragend streckte Vittorio seinen Kopf ins Zimmer.

»Natürlich, ich freue mich, dass du da bist. Um ehrlich zu sein, mache ich mir einerseits große Sorgen, weil er noch immer nicht erwacht ist, andererseits habe ich Angst davor. Wie soll ich ihm nur alles erklären?«

Vittorio setzte sich auf den Stuhl ihm gegenüber und lächelte Angel beruhigend an. »Davor musst du dich nicht fürchten. Ich spüre, dass das hier ein recht tapferer und aufgeschlossener Kerl ist. Er wird zwar weiter ein Mensch sein, aber im Moment hat er so viel Blut von mir im Körper, dass er einiges wird vertragen können.«

Wie auf Kommando begann Isaia sich in seinem Bett zu strecken und gähnte herzhaft. Sofort erhob sich Angel und trat neben das Lager des Freundes. Der atmete gerade tief aus und öffnete langsam die Augen. Sein Blick wanderte suchend und sichtlich verwirrt durch den Raum, bis er an Angels Gesicht hängen blieb.

»Angel!« Überrascht riss Isaia die Augen auf. »Angel? Was ist denn geschehen? Ich war in Nunzios Kerker, sie haben mich gefoltert. Ich hatte Zangen an den Fingern und ich wurde ausgepeitscht. Oh weh, das heißt, ich bin tot. Denn das bist du auch.« Er setzte sich ebenso schnell auf, wie er prompt wieder zurück in die Kissen fiel. »Das war zu hastig. Oh Mann, ist mir schwindlig.«

Angel grinste. »Du redest immer noch so viel wie damals, als wir Kinder waren.«

»Du wirst entschuldigen, alter Freund, aber in der Hölle aufzuwachen und als erstes dich in deiner ganzen Pracht zu sehen, wird mich wohl etwas neugierig machen dürfen, oder etwa nicht?«

»Hat sich was mit Jenseits. Das könnte dir so gefallen. Ich muss dich enttäuschen, du bist noch auf der Erde. Und du bist auch nicht tot.«

»Aber du bist tot! Das hat Adolfo mir selbst gesagt. Zwei Tage, nachdem du dich durch den Tunnel gequält hast, hat er dich umgebracht.« Isaia zog die Decke etwas höher.

»Nein, auch ich bin nicht tot. Zumindest nicht so, wie Adolfo das gern gehabt hätte. Ich wurde von einigen sehr faszinierenden Wesen gerettet.« Angel druckste herum. »Und dich haben sie auch gerettet.«

»Ich verstehe kein Wort!«

Angel blickte hilfesuchend zu Vittorio hinüber, der die Szene neugierig, aber schweigend betrachtete.

Erst jetzt erkannte Isaia, dass noch jemand im Raum war. »Oh, und wer ist das?«

Es war Vittorio selbst, der ihm antwortete, während er sich erhob. »Mein Name ist Vittorio. Wir haben dich letzte Nacht in den Kerkern des Bischofs gefunden. Du hattest nicht mehr allzu viel Leben in dir. Angel wollte aber unbedingt, dass du wieder gesund wirst. Er sagte, du wärst ein Freund.«

»Ja, das bin ich auch, denke ich.« Isaia blickte Vittorio bewundernd an. »Verzeih mir, wenn ich dich so anstarre, wenn ich Euch so anstarre, aber Ihr seht nicht gerade aus wie ein durchschnittlicher Heilkundiger.«

»Lass gut sein, nicht so förmlich. Angels Freunde sind auch meine. Und du bist ein kluger Mann. Es stimmt, ich bin ein wenig anders als durchschnittliche Heiler – heilen und helfen kann ich trotzdem.« Vittorio grinste. »Ich mache es kurz. Du bist hier auf der Rabenburg und …«

»Und du bist der legendäre Anführer der Raben Kastiliens! Wahnsinn! Es gibt euch also doch! Ich wusste es!« Isaias Augen leuchteten.

»Was wusstest du?« Angel war, vorsichtig ausgedrückt, überrascht. Solch eine Reaktion hatte er nicht erwartet.

»Na, dass es die Raben wirklich gibt. Mein Großvater hat mir, als ich ein kleines Kind war, immer die Geschichte der Untoten, der Dämonen der Nacht erzählt. Er wollte damit erreichen, dass ich mich vor lauter Angst in den Nächten verkrieche und nicht mehr andauernd aus der Stadt abhaue. Leider hat er sich da aber verrechnet. Ich habe mir nichts sehnlicher gewünscht, als die gefährlichen Dämonen mit eigenen Augen sehen zu dürfen. Wann immer ich es geschafft habe, rannte ich bei Einbruch der Dunkelheit durch den alten Tunnel nach draußen. Ich habe nie einen gesehen.« Isaia klang noch heute enttäuscht, wenn er an seine Abenteuer zurückdachte.

»Und was ließ dich so felsenfest daran glauben, dass es uns gibt?« Vittorio klang interessiert.

Isaia grinste vielsagend. »Meine Großmutter war eine wunderbare Frau. Sie war selbst in hohem Alter noch eine Schönheit und verrückten Dingen keinesfalls abgeneigt. Irgendwann, als ich etwa dreizehn Jahre alt war, kurz bevor sie dann leider starb, erzählte sie mir eine Geschichte aus ihrer Jugend. Beim Holzsammeln war es einmal später geworden, als sie eingeplant hatte. Auf jeden Fall war es bereits dunkel und sie wollte gerade wieder zurück in die Stadt, als sie merkte, dass sie sich verlaufen hatte. Sie suchte verzweifelt ihren Weg, als sie plötzlich einen Reiter vor sich sah. Sie hatte zuerst Angst, weil sie dachte, es wäre ein Soldat oder irgendein Wegelagerer, doch es war ein sehr gut aussehender großer Mann, blass, mit langen schwarzen Haaren und – wie sie meinte – den wundervollsten, hellsten Augen, die sie jemals gesehen hatte. Der Mann beruhigte sie, hob sie vor sich auf sein Pferd und brachte sie bis zum Waldrand. Offenbar hatte meine Großmutter Eindruck auf ihn gemacht und so fragte er sie, ob er sie am nächsten Abend wiedersehen dürfe. Ich sagte schon, sie war verrückten, waghalsigen Dingen nie abgeneigt, also bejahte sie und so haben sie sich einige Male getroffen. Tja, und dann zeigte er ihr sein Zuhause: die Rabenburg. Ich glaube, meine Großmutter war ziemlich verliebt in den Kerl, aber sie liebte auch meinen Großvater. Also hat sie die Liebelei irgendwann beendet. Aber sie hat diesen Fremden bis zum letzten Tag ihres Lebens nie vergessen.«

»Ich sie auch nicht. Pilar war eine wundervolle Frau.«

»Was?« Angel und Isaia drehten sich gleichzeitig zu Vittorio um, der diesen Satz leise vor sich hingemurmelt hatte.

»Nun ja, ich sagte, deine Großmutter war eine wundervolle Frau. Kein Wunder, dass sie einen so wagemutigen Enkel hat.«

»Ha, herrlich! Ich bin begeistert. Endlich weiß ich, dass alles gestimmt hat. Du warst also der Geliebte meiner Großmutter.« Isaia lag breit grinsend in den Kissen.

»Wenn du das so sagst, klingt es irgendwie seltsam, aber ja, das war ich wohl.« Vittorio ging zum Fenster und sah nachdenklich hinaus.

Angel wandte sich an den wieder genesenen Freund. »Wie fühlst du dich? Hast du noch irgendwelche Schmerzen?«

»Nein, nicht, soweit ich das zu erfühlen vermag, mir geht es wirklich gut. Aber Augenblick, alter Freund, du siehst anders aus als beim letzten Mal. Du bist etwas blass um die Nase, aber ansonsten …« Er ließ den Blick bewundernd über Angels Erscheinung wandern. »Wie kann man sich in so wenigen Tagen so unglaublich verändern? Du siehst aus als würdest du …« Und dann verstand Isaia. »Du bist wirklich kein Mensch mehr, nicht wahr? Du bist jetzt auch einer der Raben Kastiliens.«

»Ja, ich war so schwer verwundet, dass ich ansonsten gestorben wäre. Außerdem hatte ich mich bei Sarah mit der Pest angesteckt. Vittorio hat mich zu einem der ihren gemacht.«

»Ich verstehe. Aber wie sieht denn nun dein Plan aus? Was willst du tun?« Isaia dachte eher praktisch.

Angel zuckte die Schultern. »Ich denke, dass ich das ganz Vittorio überlasse.«

»Ach nein, was ich meine ist, wie willst du das Benito und Estella sagen?«

Angel runzelte die Stirn. »Daran habe ich, ehrlich gesagt, noch gar nicht gedacht. Ich denke nicht, dass es gut ist, wenn ich sie jetzt noch einmal sehe oder sie mich.«

»Das kannst du den beiden alten Leuten nicht antun. Wenn ich das richtig verstanden habe, dann haben sie gerade ihre Tochter und ihr einziges Enkelkind verloren. Sie glauben, du wärst auch tot. Wie sollen sie mit all dem weiterleben? Ihre Tochter liegt mit eurem Kind irgendwo in einem Massengrab, ebenso wie du. Wie sollen sie damit fertig werden? Wo sollen sie trauern?«

»Sarah liegt nicht in einem Massengrab. Ich habe sie und Juanito auf dem Friedhof begraben. Sie liegt unter dem großen Laubbaum neben der Mauer. Ich habe einen Strauch mit gelben Blüten auf ihrem Grab gepflanzt.« Angels Stimme war leise und er hatte Mühe, die aufsteigenden Tränen zurückzuhalten.

»Aber das müssen sie wissen! Angel! Was ist, wenn ich es ihnen sage, es ihnen erkläre? Du kennst die Beiden. Es wird ihnen lieber sein, dich als ein Geschöpf der Nacht anzunehmen, als mit dem furchtbaren Schmerz weiterleben zu müssen, euch alle verloren zu haben.« Isaia setze sich im Bett auf und sah Angel eindringlich an. »Gib ihnen die Möglichkeit, Lebewohl zu sagen. Das bist du ihnen schuldig. Ich helfe dir.«

»Er hat recht. Es wird auch dir dabei helfen, deinen ganz persönlichen Frieden zu finden.« Vittorio stand mit verschränkten Armen am Fenster und nickte Angel aufmunternd zu. »Hör auf deinen Freund.«

»Ja, hör auf mich! Aber jetzt im Augenblick, ich will ja nicht unverschämt erscheinen, habe ich einen unglaublichen Hunger. Auch wenn ihr nicht esst, habt ihr zufällig irgendetwas Essbares im Haus?« Isaia sah etwas schuldbewusst aus.

»Haben wir, wir sind immer auf liebe Gäste eingestellt.« Vittorio öffnete die Zimmertür und rief leise nach Etna.

»Wieso Etna? Kann denn nicht Reyna eine Kleinigkeit zaubern? Sie ist doch die Frau im Haus, oder?«

»Reyna? Das willst du nicht, glaub mir. Das wollen wir alle nicht.« Vittorio gab Etna einige kurze Anweisungen, um sich dann wieder den beiden Freunden zuzuwenden. «Gut, ihr habt Zeit bis morgen um Mitternacht. Bei Einbruch der Dunkelheit kannst du, Angel, dich von deinen Schwiegereltern verabschieden. Ich bitte dich, danach wieder zu mir zu kommen. Ich werde mit den Pferden warten, wir verlassen Toledo noch in dieser Nacht. Wir werden nach Valencia reisen und dort an Bord eines Schiffes gehen.«

Angel war ein wenig überrumpelt. »Wir verreisen?«

»Ja, Angel, es wird dir gut tun. Du wirst Abstand gewinnen und du wirst ein paar Leute kennenlernen, die sehr glücklich sein werden, dich zu treffen.« Vittorio schien sehr überzeugt.

»Verzeih mir, aber darf ich fragen, wohin wir fahren werden?«

»Aber sicher. Du wirst in die wunderbarste und bezauberndste Stadt der Welt reisen. Wir fahren nach Venedig! Dort wird mein alter Freund Raffaele sehr erfreut darüber sein, dass wir dich gefunden haben. Und nun nutzt die Zeit, die euch noch bleibt.« Mit diesen Worten verließ Vittorio den Raum und ließ die erstaunten Freunde allein zurück.

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