Читать книгу Die Raben Kastiliens - Gabriele Ketterl - Страница 37

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Der Sitz des Bischofs von Toledo lag ein wenig abseits der Stadt. Auf einem sanften Hügel, mit wundervollem Blick über die Landschaft. Aus der Ferne konnte man die Feuer in den Wachtürmen erkennen, ebenso Feuerschein aus den inneren Höfen des weitläufigen Anwesens. Nunzio schien die Finsternis zu fürchten.

Nach einem kurzen Ritt erreichten die fünf Kinder der Dunkelheit das einem Schloss ähnliche Gebäude und die dazu gehörenden Ländereien. Sie ließen die Pferde im Wald zurück und traten hinaus auf die freie Ebene.

»Wir sollten vorsichtig sein, sie werden uns erkennen.« Angel war besorgt.

»Nein, das werden sie nicht, sie können nicht so schnell sehen, wie wir laufen können. Alles, was sie wahrnehmen werden, sind dunkle Schatten, auf die sie sich keinen Reim machen können.« Vittorio deutete auf die Wachtürme, die die vier Ecken des Hauptgebäudes kennzeichneten. Die Mauer um das Gelände vor dem Sitz war nur etwa drei Meter hoch und zog sich gewunden um die Gärten und Wiesen. »Seht ihr? Dort! Wir müssen genau dort hinein. Leise wie immer. Seid vorsichtig. Die meisten der Männer, die ihr dort antreffen werdet, sind einfache Wachleute in den Diensten des Bischofs. Hört auf eure Instinkte und tötet keine Unschuldigen. Ihr könnt fühlen, wenn es Mörder sind, also handelt weise. Es wird kein unschuldiges Blut vergossen. Habt ihr mich verstanden?«

Alle nickten, nur Angel war verunsichert.

»Wie soll ich spüren, wer schuldig und wer unschuldig ist?«

»Du wirst es erkennen, vertrau mir. Seht ihr die drei hell erleuchteten Fenster im oberen Teil des Hauptgebäudes? Dort sind Nunzios Privaträume. Ich kenne die Räumlichkeiten noch aus Severins Zeiten, ich habe ihn mehr als einmal besucht. Nehmt also den Weg über die Außenmauern, dann durch die Gärten und über die vier Türme ins Innere. Sucht mir die Wachtruppen dieses Adolfo und eliminiert sie, so wie euch euer Instinkt leitet. Ich denke, Nunzios Schicksal legen wir in Angels Gutdünken.« Vittorio wandte sich fragend um.

»Das wäre sehr freundlich, doch fast noch wichtiger ist mir dieser feige Hund Adolfo. Bitte überlasst ihn mir.« Angels Hände begannen vor Ungeduld zu zittern.

»Kein Problem. Lasst uns gehen. Nunzios letzte Nacht soll keine allzu lange werden.«

Sobald sie losgelaufen waren, wusste Angel, warum man sie nicht würde sehen können. Sie liefen tatsächlich so schnell, dass kein menschliches Auge sie entdecken konnte. Ungehindert überwanden sie mit geradezu spielerischer Leichtigkeit die äußere Mauer. Als sich ihnen auf den Gängen zwischen den gepflegten Blumenbeeten erste Menschen in den Weg stellten, wurden diese entweder in Sekundenschnelle getötet, oder, sofern sie einfache Wächter waren, mit gezielter Kraft und Präzision niedergeschlagen, dass sie erst viel später das Bewusstsein wieder erlangen würden.

Leise und flink wie Salamander kletterten sie die Schutzmauer hoch und erreichten die vier Türme. Die Wachen waren so überrumpelt, dass sie keinen Laut mehr von sich geben konnten, weil sie bereits in ihrem Blut lagen oder ohnmächtig zu Boden sanken. Mit Bewunderung beobachtete Angel, wie Reyna ohne auch nur mit der Wimper zu zucken ihren Turm einnahm. Die beiden Wächter starben durch einen einzigen, wuchtig geführten Schwertstreich.

In Angel brodelte es. Das Gefühl der Macht, der Kraft, als er sich mit seinen neuen Gefährten gut sieben Meter in die Tiefe in den Burghof fallen ließ, war ihm neu. Er hätte es gern genossen, doch tief in ihm saß dieser unbeschreibliche Schmerz. Zorn und Hass drohten seine Sinne zu vernebeln. Immer wieder schob sich das wächserne Antlitz seines toten Kindes vor sein inneres Auge. Nur mühsam gelang es ihm, diese Flut an Eindrücken im Zaum zu halten. Als Vittorio ihn auf eine kleine Gruppe jenseits des Rasens aufmerksam machte, erkannte er den einstigen Freund sofort.

Seine Stimme bebte vor Zorn. »Ja, das ist das Schwein. Überlasst ihn mir, bitte.« Es fiel ihm schwer zu flüstern, lieber hätte er seine Wut hinausgeschrien.

»Geh, hol ihn dir, wir kümmern uns um die hier.« Vittorio deutete auf die Wachtruppe und bedeutete Etna, sich von der anderen Seite anzuschleichen. »Los, mach schon, wir kommen hier problemlos klar.«

Angel kannte inzwischen die tödliche Präzision seiner neuen Freunde und daher beeilte er sich, Adolfo ins Haus zu folgen.

Drinnen waren die Gänge von unzähligen Kerzen erhellt, doch es gab genug dunkle Winkel, in denen er sich verbergen konnte.

Das war jedoch nicht lange notwendig. Adolfo kontrollierte vier Wachmänner, die am Fuße einer Treppe Stellung bezogen hatten. Danach eilte er die Stufen nach oben. Er schien sich zu Hause zu fühlen in Nunzios Prunkbau.

Angel schlich sich seitlich an die Wachen heran, die, als er zwei von ihnen in Sekundenbruchteilen tötete und zwei weitere niederschlug, nicht einmal verstanden, was geschah, so schnell war er.

Wie ein Panther sprang er hinter Adolfo die Treppe hoch, schwang sich mit einem Riesensatz über das Geländer und kam direkt vor dem gänzlich überrumpelten Hauptmann zum Stehen.

Angel hatte das Haupt gesenkt und seine langen Haare waren vor sein Gesicht gefallen.

»Was soll das? Wer seid Ihr? Einer der neuen Wachleute? Ihr habt hier nichts verloren.« Adolfo straffte seine Schultern und umfasste unruhig den Knauf seines Schwertes mit der Rechten.

Angel lachte leise in sich hinein. Reynas Kleiderwahl schien Eindruck zu machen. Er tat einen tiefen Atemzug, dann warf er seine dunkle Mähne zurück und zeigte Adolfo sein blasses Antlitz. Der erstarrte voll ungläubigem Entsetzen, als er nach einer Weile erkannte, wer ihm hier gegenüber stand. Zeit, die Angel auszukosten wusste, ehe Adolfo seine Stimme wiederfand.

»Angel, das ist absolut unmöglich. Du bist tot! Ich sah dich sterben. Ich habe dich getötet. Du bist ein Trugbild der Unterwelt. Scher dich weg!«

»Oh, das würde ich nur allzu gern. Mich in Luft auflösen, um dann zu erwachen und festzustellen, dass alles nur ein finsterer Traum war. Das war es aber nicht, nicht wahr, Adolfo? Was ist los? Hat es dem sonst nie um eine Ausrede verlegenen Hauptmann die Sprache verschlagen?« Angel trat noch einen drohenden Schritt näher an den ihn fassungslos musternden einstigen Freund heran. »Du hast Sarah in den sicheren Tod geschickt, du hast meinen Sohn sterben lassen.« Wütend stieß Angel seinem Gegenüber die Faust vor die Brust, was dazu führte, dass Adolfo einige Meter weit über die Galerie flog und dort gegen eine Wand mit teuren Gemälden krachte.

Im Nu war Angel wieder über ihm und zog ihn unerbittlich auf die Füße. »Glaub nicht, dass es so schnell geht. Erinnere ich mich etwa falsch, oder hast du nicht immer wieder lauthals verkündet, wie sehr du Sarah liebst und wie miserabel sie es mit mir getroffen hat? Du hast eine seltsame Art, deine Liebe zu zeigen, du von Neid zerfressener Mistkerl.« Angel hatte seine Hände um Adolfos Kehle gelegt und begann langsam zuzudrücken.

»Ich habe Sarah geliebt, ich musste sie wegschicken. Es war Nunzios Order.« Adolfo krächzte erbärmlich und Angel lockerte seinen Griff ein wenig. Die kurzfristige Unsicherheit glaubte Adolfo für sich nutzen zu können. Er zog in Windeseile einen Dolch und stieß ihn Angel zwischen die Rippen. Ein verächtliches Grinsen erschien auf Adolfos Zügen. »Ha, ich habe dich einmal umgebracht, ich schaffe es auch ein zweites Mal!«

»Wenn du dich da mal nicht täuschst.« Mit der Rechten nun wieder den Hals des Hauptmannes gnadenlos umfassend, zog Angel mit der Linken sein Hemd aus der Hose und hob es ein wenig an. Deutlich sah man die tiefe Stichwunde, die Adolfos Dolch hinterlassen hatte. Angel konzentrierte sich und binnen weniger Sekunden hörte die Wunde auf zu bluten und begann sich zu schließen. Angel drückte den in fassungslosem Staunen auf die schon fast nicht mehr sichtbare Wunde stierenden Adolfo tiefer in den Schatten der Galerie.

»Ja, ich bin nicht mehr lebendig, nicht mehr so, wie ich es sein sollte. Mein altes Leben hast du in den Tod geschickt. Bei mir selbst hattest du weniger Glück. Ich habe ein neues Leben geschenkt bekommen. Deines aber wird hier und heute enden.« Angel ließ Adolfo unvermittelt los und trat einen Schritt zurück. »Zieh dein Schwert, du feiger Bastard, versuch zumindest, wie ein Mann zu sterben.«

Angels hasserfüllter Blick schien Adolfo zu lähmen. Mit schweißnassen Händen zog der Hauptmann seine Waffe und hielt sie dem Totgeglaubten entgegen. »Dann stirb eben jetzt, du Ausgeburt der Hölle.«

Er griff Angel an, doch dieser roch die Angst, die Adolfos Poren entströmte. »Wehr dich richtig, du wertloses Stück Dreck. Nun komm schon. Zeig, was du kannst, du Beschützer derer, die keines Schutzes bedürfen.«

»Glaub nicht, dass ich das nicht könnte.« Mit aller Kraft ließ Adolfo das Schwert auf ihn niedersausen, doch er parierte den Schlag ohne die geringste Mühe. Wieder und wieder versuchte Adolfo ihn niederzustrecken, doch Angel atmete nicht einmal schneller. Mit bösem Lächeln wich er jedem Schlag aus, wehrte jeden Angriff ab und schließlich war er es, der sein Schwert hob.

»Du tust mir leid, Adolfo. Nun wirst du sterben, ohne jemals zu wissen, was es heißt, wirklich zu leben.«

Das Letzte, was Adolfo in seinem Leben erblickte, bevor sich das Schwert in seine Brust bohrte, war Angels tödliches Lächeln.

Fast schon bedauernd zog Angel die Klinge aus dem toten Körper. »Viel zu schnell durftest du sterben, andere hatten dieses Glück nicht.« Sein Schwert in der Hand, stapfte er durch die Gänge. Von draußen erklang der Schrei eines Raben, dann war es totenstill. Er wusste, was das bedeutete: Vittorio und die anderen hatten ganze Arbeit geleistet. Unter einer der schweren Holztüren stahl sich warmes Licht auf den Gang hinaus. Angel blieb stehen und lauschte. Er hörte jemanden atmen und als er die Augen schloss, um zu erspüren, um wen es sich handeln könnte, begriff er, wovon Vittorio gesprochen hatte. Er nahm eine dunkle Aura wahr, er konnte Falschheit erfühlen und auch Feigheit. Doch etwas anderes konnte er nicht spüren, sondern riechen: Tote. Wer immer dort im Raum war, hatte vielen Menschen das Leben genommen. Er musste nicht nachdenken. Dort hinter der Tür stand kein anderer als Nunzio. Angel versuchte es, doch er war nicht mehr in der Lage, seinen Zorn zu zügeln. Schon Adolfo hatte ihm viel Zurückhaltung abverlangt, doch das, was ihn hier erwartete, überforderte seine noch junge Fähigkeit zur Selbstbeherrschung. Ohne weiter zu überlegen, trat er gegen die Tür. Die aus schwerem Holz gefertigte Pforte gab sofort nach, flog aus den Angeln und donnerte an die gegenüberliegende Wand. Der Mann, der mitten im Raum stand und in einem Stapel Papiere las, ließ die Arme sinken und starrte den Eindringling sprachlos an. Der trat zornbebend in den Raum und ging direkt auf ihn zu. »Siehe da. Eure Eminenz, studiert Ihr Euren weiteren Werdegang? Glaubt mir, es lohnt die Mühe nicht. Ihr werdet nirgends mehr hingehen.«

»Wer … wer bist du?« Nunzio fand, wenn auch langsam, seine Stimme wieder.

»Mein Name ist Angel Cruz Trujillo, der Mann der jungen, hilflosen Frau, die Ihr vor wenigen Tagen vom Hof habt jagen lassen. Der Vater des kleinen Jungen, den Ihr, ebenso wie seine Mutter, in den sicheren Tod geschickt habt.«

Nunzio setzte zu einer Antwort an, doch Angel ließ ihn erst gar nicht zu Wort kommen.

»Dutzende hilfloser Menschen habt Ihr mit Eurer sogenannten quarantaine dem Tod überlassen. Wer nicht erkrankt war, der steckte sich unweigerlich an. Wer zu retten gewesen wäre, wurde dem Siechtum preisgegeben. Und wozu? Um Euch und Euresgleichen nur ja nicht in Gefahr zu bringen. Ihr wollt ein Mann Gottes sein? Nichts als ein feiger Mörder seid Ihr.«

»Es müssen manchmal Opfer gebracht werden. Das ist so. Sie werden ein besseres Leben haben, nun, da sie bei ihrem himmlischen Vater sind.«

»Verschont mich mit dem ›himmlischen Vater‹! Den lasst aus dem Spiel, der hat mit Euren Machenschaften nichts zu tun und wenn doch, dann täte es mir leid. Wobei … nein, es tut mir nicht leid. Was ist das für ein Gott, der solch unendliches Leid zulässt und nicht die Hand dessen abfaulen lässt, der dieses Leid mit verursacht.«

»Du Wahnsinniger, denkst du allen Ernstes, ich sei schuld an der Pest?«

»Wer weiß? Aber in jedem Fall – und du verzeihst, guter Nunzio, wenn ich jetzt etwas weniger umgänglich werde – hast du schon so viele Menschen auf dem Gewissen, dass deine Lebenszeit nicht mehr für all die Vaterunser ausreichen würde, die du zu deiner Absolution beten müsstest.«

»Was glaubst du, wer du bist? Meine Wachen werden dich töten. Hältst du dich für unverwundbar?« Nunzios Blick wanderte unruhig zu der zerstörten Tür seines Gemachs. Ihm wurde bewusst, dass etwas nicht stimmen konnte, der Lärm hätte seine Wachen längst in Alarmbereitschaft versetzen müssen.

Angel lächelte nachsichtig. »Ja, so etwas in der Art. Ich bin – zumindest für dich, edler Nunzio – heute der Tod. Du wirst leider sterben. Für meine Frau, für meinen Sohn und für zahllose in deinem Namen erfolgte Meuchelmorde und so vieles mehr. Ich denke, das genügt, um den Tod zu verdienen. Was denkst du, Nunzio?« Angel blickte den mittlerweile vor Angst schlotternden Bischof freundlich lächelnd an.

Und wieder war es dieses Lächeln, das Nunzio voller Entsetzen aufschreien ließ. Die Dokumente entglitten seinen Händen, die er abwehrend gegen Angel erhob.

»Du weißt nicht, was du tust. Ich kann alles erklären, ich kann dich bezahlen, nur geh zurück in das Höllenloch, aus dem du gekrochen bist!«

»Ach, Nunzio, du widerst mich an. Siehst du dein Schwert dort? Nimm es, wehr dich zumindest. Mach schon!« Wütend schubste Angel den Bischof in Richtung seiner Waffe, die auf einer Kommode lag.

Der flog allerdings halb durch den Raum.

»Hoppla, verzeih, edler Nunzio. Das war wohl etwas heftig. Steh auf, nimm dein Schwert. Nicht einmal dich will ich töten, wenn du unbewaffnet bist.«

»Dafür schmorst du auf ewig in der Hölle!« Nunzios Stimme überschlug sich fast, während er sich mühsam aufrappelte und zu seiner Waffe stolperte.

»Ich mochte Wärme schon immer. Glaub mir, wenn im Himmel Kreaturen wie du herumlungern, dann bevorzuge ich die Hölle.« Angel hob gleichmütig die Schultern.

Ohne Vorwarnung griff Nunzio ihn an, doch es war ein armseliger Versuch, der Angel lediglich ein enttäuschtes Kopfschütteln abnötigte. Nunzios verbissenes, tiefrotes Gesicht verschwamm schließlich vor seinen Augen und er sah statt Nunzio Sarahs schöne, ebenmäßige Züge. Er sah das kleine Grübchen in ihrer Wange und wie sich ihre vollen, roten Lippen zu einem liebevollen Lächeln verzogen. Das war selbst für seine neuen Kräfte zu viel. Mit wütendem Brüllen stürzte er sich auf den Bischof und stieß ihm mit brachialer Gewalt das Schwert zwischen die Rippen. Nunzio riss die Augen auf und blickte ungläubig an sich hinunter. Als er das Blut sah, das sein Gewand langsam rot färbte, verstand er.

»Das wirst du bereuen.«

»Wohl kaum, edler Bischof, im Gegenteil. Es ist mir ein Vergnügen, dich sterben zu sehen.«

»Der Herr wird dich und die Deinen bestrafen. Ihr werdet dafür bezahlen.«

Angels Zorn flammte erneut auf. Sein Gesichtsfeld verengte sich, bedrohliche Schwärze begann an den Seiten aufzuziehen und dann folgte er nur noch seinen neuen Instinkten. »Das werden wir nicht, doch du, Nunzio, wirst im Sterben erkennen, dass ich in allem über dich triumphiere.« Angel riss den langsam verblutenden Geistlichen vom Boden hoch und Nunzio musste mit seinen letzten Atemzügen sehen und fühlen, wie Angel ihm den Kopf zur Seite bog und mit einem wütenden Schrei die Zähne in seine Schlagader senkte.

Die Raben Kastiliens

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