Читать книгу Die Raben Kastiliens - Gabriele Ketterl - Страница 27
4.
Оглавление»He, kannst du nicht aufpassen?«
Seinen Blick nur auf die Mauern der Stadt gerichtet, war Angel zwischen einigen Sträuchern, hinter die er sich geflüchtet hatte, direkt in einen Mann gelaufen, der offensichtlich das Gleiche tat wie er: Sich vor Blicken aus der Stadt verbergen.
Angel hatte sein Schwert gezogen, bevor der andere sich auch nur wieder aufrichten konnte. »Wer bist du und was tust du hier?« Die Schwertspitze zeigte auf den Hals des Mannes, der vor ihm auf der Erde lag.
Der kniff die Augen zusammen, musterte Angel eine kleine Weile, dann ging ein etwas schuldbewusstes Grinsen über sein Gesicht. »Angel, nimm die Klinge weg. Begrüßt man so alte Freunde?«
»Alte Freunde? Ich befürchte, ich habe hier keine Freunde mehr. Zeig dein Gesicht! Sofort!« Angel dachte gar nicht daran, sein Schwert zurückzuziehen.
Der Mann seufzte daraufhin leise, zog aber folgsam die Kapuze vom Kopf und sah zu Angel auf. »Isaia? Du kommst mir gerade recht. Warst du es nicht, der Sarah weggeschickt hat, ohne ihr Hilfe zu gewähren? Und du wagst es, dich ›Freund‹ zu nennen?« Wütend ruckte Angels Schwertspitze an Isaias Hals nach oben.
»Gemach, Angel. Ich kann gut verstehen, dass du wütend bist. Aber ich hatte keine Wahl. Sie fortzuschicken war das geringere Übel. Adolfo hätte sie wahrscheinlich vom Hof geprügelt.«
»Das glaube ich dir nicht. Er ist ein dummer, ungehobelter Klotz, aber seit wann würde er einer Frau etwas antun?« In seiner Überraschung ließ Angel sein Schwert sinken, woraufhin sich der noch immer am Boden sitzende Isaia doch merklich entspannte.
»Du hast ihn nicht erlebt, nachdem Severin gestorben war und Nunzio sein Amt angetreten hat. Die beiden haben sich gesucht und gefunden. Nunzio ist ein skrupelloser Tyrann, der nur durch seine guten Beziehungen hierher kam. Mit der Lehre Christi hat er nichts am Hut, das darfst du mir glauben. Ich bin sicher, Severin würde aus seinem Grab zurückkommen, wenn er nur könnte, um ihm die Leviten zu lesen.« Isaia erhob sich vorsichtig, immer mit einem wachsamen Seitenblick auf Angels Schwertarm.
»Kannst du mir erklären, warum du ihr dann nicht geholfen hast?«
»Wie hätte ich das tun sollen?? Mit Nunzio im Rücken und Adolfo vor Augen? Angel, du hast keine Ahnung, wie schlimm es dort geworden ist. Als sie jetzt auch noch alles abgesperrt haben, wurde mir klar, dass das mit Menschlichkeit nichts mehr zu tun hat. Geschweige denn mit der viel beschworenen Nächstenliebe.«
Angel runzelte nachdenklich die Stirn. »Warum bist du dann noch bei ihm? Du willst sicher nicht die Hand beißen, die dich so gut füttert, habe ich recht?«
»Hombre, es wäre sehr liebenswert, wenn du deine Umgebung kurz wahrnehmen könntest. Wonach sieht das hier für dich aus? Nach einer abendlichen Promenade im Mondschein?« Isaia musterte Angel fragend.
Endlich kam diesem der Gedanke, den einstigen Freund genauer zu betrachten. Isaia war in einen weiten, schwarzen Umhang gehüllt und trug ein großes, geschnürtes Bündel bei sich.
Langsam dämmerte es Angel. »Du flüchtest aus dem Bischofssitz? Übertreibst du damit nicht? Kannst du nicht einfach den Dienst quittieren?«
»Ich sehe schon, Angel, du warst lange weg. Zu lange. Nur zu ›quittieren‹ ist leider nicht mehr denkbar. Wer im direkten Umfeld Nunzios ist, der weiß zu viel von seinen dunklen Machenschaften, davon, wie er die Leute ausbeutet, sich unrechtmäßig fremdes Gut aneignet, unschuldige Menschen der Hexerei und Teufelei bezichtigt, um seine Untaten zu verbergen. Glaub mir, der Mann ist unberechenbar und gänzlich rücksichtslos. Was ihm aber vor allem fehlt, sind Respekt und Ehrfurcht vor dem Leben anderer.« Isaia rückte das Bündel auf seinem Rücken zurecht. »Ich löse mich hier und jetzt in nichts als Luft auf. Diesen Despoten werde ich keinen Tag länger unterstützen und ihm dabei helfen, seine Unmenschlichkeit auszuleben.«
Angel sah Isaia ein wenig schuldbewusst an. »Ich hätte dich um ein Haar getötet. Verzeih, aber es klang so, als hättest du Sarah ihrem Schicksal erst ausgeliefert.«
»Nein, das habe ich nicht. Im Gegenteil. Ich habe sogar versucht, ihr mit den Kutschknechten der Leichenwagen ein wenig Arznei zu schicken, aber diese Schwachköpfe waren zu dumm, um sie zu finden.«
»Du sagst, die Fuhrwerke der Totengräber dürfen hinein?«
»Sachte, sachte! Ich ahne, was du denkst. Das musst du sofort wieder vergessen. Das sind ergebene Knechte Nunzios, die lediglich dazu auserkoren sind, die Toten einzusammeln, sie vor den Toren der Stadt in ausgehobene Gruben zu werfen, nach Mitternacht anzuzünden und diese Gräber zuzuschütten, sobald die Sonne aufgeht. Und um nicht den Anschein zu erwecken, dass man ihnen ein ›christliches Begräbnis‹ versagt, leiert der gute Anselmo ein paar Gebete herunter.«
»Also führt auch auf diese Weise kein Weg hinein?« Angel war enttäuscht.
»Nein, unmöglich.« Isaia legte die Stirn in nachdenkliche Falten. »Aber wenn du dich unbedingt umbringen willst, dann nimm doch den alten Tunnel, in dem wir als Kinder immer gespielt haben.«
»Leichter gesagt als getan. Genau den suche ich ja bisher erfolglos.«
»Da kann ich dir helfen, alter Freund. Den Eingang kenne ich noch. Ich habe zwar kein Bedürfnis, wieder in die Nähe dieser Stadt zu kommen, aber eingedenk dessen, was wir alles gemeinsam erlebt haben … Dann komm.« Isaia wartete Angels Antwort gar nicht erst ab, sondern wandte sich um und stapfte in die Nacht. Angel folgte ihm staunend. Sollte es doch noch Licht in der Dunkelheit geben?
Isaia umrundete den Hügel, der sich sanft in die Landschaft schmiegte und gänzlich unauffällig war. Er legte sein Bündel ab, begann Äste beiseite zu schieben und mit Dornen übersäte Zweige abzubrechen. Angel half ihm, so gut er konnte und schon bald erkannte er den schmalen Eingang. Er erschien sogar noch kleiner als vor etwa fünfzehn Jahren. Zweifelnd sah Angel auf den engen, dunklen Schacht.
»Sieht nicht sehr vertrauenswürdig aus, nicht wahr? Aber er ist stabil, zumindest war er das noch vor fünf Jahren. Da hatte ich einmal ein, nun ja, kleines Problem mit der Stadtwache und musste dringend aus Toledo verschwinden. Der alte Tunnel hat mir den Hals gerettet. Allerdings sah ich danach aus, als habe man mich ausgepeitscht. Du wirst wohl kaum besser wegkommen, noch dazu bist du ja etwas größer als ich.« Isaia sah mitfühlend an Angel hinunter. Man konnte sehen, dass er mit sich kämpfte. »Was denkst du? Soll ich mit dir kommen?«
Nur eine kleine Weile erwog Angel, das Angebot des Freundes anzunehmen. »Nein, ich weiß dein Angebot sehr zu schätzen. Es freut mich, dass du es tatsächlich tun würdest. Aber es genügt, wenn ich mein Leben aufs Spiel setze. Ich danke dir für den guten Willen.«
»Nun gut, es drängt mich nicht gerade danach, dort wieder hineinzukriechen. Aber lass dir gesagt sein, sobald du Sarah und dein Kind findest und falls sie beide so gut zu Fuß sind, dass du Ihnen die Strapaze zumuten kannst, geht sofort wieder heraus, auch wenn es eine Qual ist. Besser zerschunden und zerkratzt, als in die Hände von Adolfos Wache zu fallen. Er würde es genießen, dich leiden zu lassen.«
»Gut, ich danke dir. Aber jetzt muss ich dort hinein. Egal, was mich in dem Tunnel erwartet. Leb wohl, Isaia. Ich wünsche dir Glück für alles, was vor dir liegt.«
»Danke, Angel, ich hoffe, du schaffst es! Gib auf dich acht, alter Freund.« Isaia wollte sich gerade abwenden, als ihm doch noch etwas einfiel. »Warte! Wenn ihr herauskommt, etwa drei Kilometer südlich ist ein kleines Dorf. Dort lebt eine Cousine von mir, die in Heilkunde sehr bewandert ist. Bring deine Familie zu ihr. Ihr Name ist Marina, grüß sie von mir. Sie wird euch helfen.«
Angel, der schon halb in dem Tunnel verschwunden war, kroch bei diesen Worten wieder zurück, erhob sich und umarmte Isaia. »Du bist ein Freund geblieben, du hast mir geholfen und du lässt mich wieder hoffen. Hab Dank, Isaia.«
»Schon gut, schon gut. Wäre ich an deiner Stelle, du hättest nicht anders gehandelt, und jetzt verschwinde. Los, mach schon!«
Mit neuem Mut überwand sich Angel und quetschte sich mit aller Kraft in den stockdunklen Gang.