Читать книгу Die Raben Kastiliens - Gabriele Ketterl - Страница 25

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Angel ritt, so schnell es die Gassen zuließen; Menschen waren kaum unterwegs. Wohin er auch blickte, alle eilten mit gesenkten Köpfen durch das noch offene Viertel der Handwerker. Kein Wort, kein Laut, geschweige denn ein Lachen. Das Haus des ältesten Schmiedes, Carlos, war verbarrikadiert und anscheinend unbewohnt. Ob er die Stadt verlassen hatte?

Endlich kam das schöne Häuschen von Benito und Estella in Sicht. Die Blumen im Garten standen in voller Blüte, Wäsche flatterte auf einer im Garten gespannten Leine. Kinderkleidung! Jesús schien Recht zu behalten. Sie mussten hier sein! Hastig sprang er vom Pferd und schon als er auf das Tor zueilte, öffnete sich die Tür des Hauses und Angel hoffte, es sei Sarah, doch es war Benito, der herausgeeilt kam.

»Angel, mein Sohn, was bin ich froh, dich zu sehen! Wie gut, dass du hier bist.« Benito schloss den Schwiegersohn fest in die Arme.

»Benito, geht es euch gut? Seid ihr wohlauf?« Angel schob den vor Freude weinenden Mann sacht von sich.

»Wir sind nicht krank, die Seuche hat uns verschont. Doch gut geht es uns nicht. Dazu ist unsere Verzweiflung zu groß.«

»Wovon sprichst du? Und wo ist Sarah? Sie ist doch bei euch? Bitte sag, dass sie hier ist.« Angel umklammerte Benitos Arme und starrte auf dessen Mund, in der verzweifelten Hoffnung, die erlösenden Worte daraus zu vernehmen.

Benito aber war nicht imstande zu sprechen. Ein plötzliches Schluchzen schüttelte ihn.

»Sie sind nicht hier, Angel. Unsere Tochter und unser Enkelkind sind Gefangene in ihrem Haus.« Estella stand in der Tür, weiß und schmal. Noch nie hatte Angel seine Schwiegermutter so gesehen.

»Was sagst du da? Estella, das darf nicht sein. Was, wenn sie auch schon erkrankt ist?«

Estella neigte müde den Kopf. »Es ist zu spät, Angel. Wir haben alles versucht, um zu ihr zu gelangen. Sie haben uns weggejagt wie räudige Hunde.«

Angel klammerte sich an den letzten Hoffnungsschimmer, dessen er habhaft werden konnte. »Das bedeutet nicht, dass sie die Pest haben. Wenn sie im Haus bleiben, niemanden zu sich lassen, dann stecken sie sich vielleicht nicht an.«

Die Stimme seiner Schwiegermutter war so leise, dass Angel sie kaum verstehen konnte. »Nein, mein Sohn, du verstehst nicht. Sie sind bereits krank. Juanito hatte schon vor zwei Nächten hohes Fieber und Sarah trug die Krankheit auch bereits in sich. Nur ein Wunder könnte den beiden noch helfen. Doch an Wunder zu glauben, das wage ich nicht mehr.«

Alles in Angel krampfte sich zusammen. Seine Beine gaben unter ihm nach und er sank auf die Knie. »Das darf nicht sein, das darf nicht wahr sein.« Immer wieder flüsterte er diese Worte. Er spürte die leichte Berührung an seiner Schulter zuerst kaum.

»Angel, wir sind dazu verdammt, hier zu sitzen und zu warten. Gingen wir erneut zu den Wachen, würden sie uns erschießen. Adolfos Anweisung war mehr als deutlich.« Estella strich ihrem Schwiegersohn tröstend über sein langes Haar.

»Adolfo!« Angel spuckte den Namen beinahe aus. »Dieser herzlose Bastard. Und er behauptet, er habe Sarah geliebt? Überlässt er sie darum jetzt dem Tod?« Mühsam erhob er sich wieder. Seine Beine zitterten, ebenso wie sein restlicher Körper. Mit aller Kraft versuchte er, die Verzweiflung und den Zorn niederzukämpfen, die in ihm aufgestiegen waren.

Benito hatte sich auf ein kleines Bänkchen in seinem geliebten Garten fallen lassen und das Gesicht in den Händen vergraben.

Angel trat neben ihn und ergriff ihn an beiden Oberarmen. »Benito, du kannst doch nicht zulassen, dass sie dort sterben!«

»Sag mir, was ich tun soll. Ich bin ein alter Mann. Glaub mir, wir haben alles versucht, alle Schlupfwinkel, alle versteckten Gässchen. Denkst du denn, ich würde mein einziges Kind bereitwillig im Stich lassen?«

Schuldbewusst ließ Angel ihn los. »Nein, natürlich nicht. Aber ist es denn wahr, dass diese sogenannte quarantaine auf Anordnung des Bischofs ausgerufen wurde? Was ist dieser Nunzio nur für ein Mensch? Severin hätte die Tore seines Sitzes für die Kranken geöffnet und alles getan, um zu helfen.«

»Nunzio ist ehrgeizig. Sein Ziel ist Rom und die Kardinalswürde. Er wurde Bischof, weil er süchtig nach Ruhm und Anerkennung ist. Wir sind ihm egal. Severin war Bischof, weil er die Menschen liebte. Sein Tod war eine einzige Katastrophe für uns.« Estella setzte sich seufzend neben ihren Mann. »Das Schlimme ist, dass er auch die mit sich zieht, die früher gute Menschen waren. Isaia war immer für andere da. Er war ein guter Junge. Heute steht er in Nunzios Diensten und führt seine Anweisungen aus, ohne nachzudenken, was er damit anrichtet. Er hat Sarah weggeschickt, als sie um Hilfe bat. Hätte sie an jenem Tag Unterstützung erfahren, wer weiß, vielleicht wäre alles anders gekommen.«

»Isaia? Der auch? Ich kann es nicht fassen. Wir waren eine eingeschworene Gemeinschaft, füreinander da, Freunde …« Angel konnte nicht weitersprechen.

»Vorbei, alles vergessen und verloren. Aus Freunden wurden Fremde, Angel.« Benito erhob sich mühsam. »Komm mit herein, mein Sohn. Sobald es dunkel wird, schicken sie Patrouillen los. Sie kennen kein Pardon. Wer zu nahe an den »verbotenen Vierteln« ist, wird erschossen.«

»Niemals! Ich gebe nicht auf. Ich muss zu Sarah und ich werde es schaffen.« Angel straffte seine Schultern und schickte sich an, zu seinem wartenden Pferd zu laufen.

»Angel! Ich bitte dich! Wir wollen dich nicht auch noch verlieren.« Estellas Schrei hielt ihn nur kurz zurück.

Er wandte sich noch einmal zu den beiden verzweifelten Menschen um, die ihm so lieb waren, wie die eigenen Eltern es einst gewesen waren. »Ich werde zurückkommen! Das verspreche ich euch. Doch solange ich nicht weiß, was mit meiner Frau und meinem Kind ist, finde ich keine Ruhe. Nie mehr!« Angels Entschluss stand fest, dennoch hatte er für einen Moment Angst, dass er sich umentscheiden würde, wenn er zögerte. Rasch rannte er zu seinem Pferd, sprang auf dessen Rücken und rammte ihm die Fersen in die Flanken. Das Tier stob in einer Staubwolke davon und verwehrte Angel damit einen letzten Blick auf seine Arm in Arm vor dem Haus stehenden Schwiegereltern.

Die Raben Kastiliens

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