Читать книгу Einführung in die Theorie der Sozialpädagogischen Dienste - Gaby Flößer - Страница 11
ОглавлениеB Theorien und Konzepte
2 Das schwierige Geschäft mit der Theoriebildung
Definition
„Theorien stellen jene Begriffe, Argumentationen und Gussformen des Denkens bereit, in denen und mittels welcher man einen Gegenstandsbereich gedanklich ordnen, ihn beschreiben und über ihn kommunizieren kann. Die Wahl einer bestimmten Theorie oder die Kombination verschiedener Theorien ist dabei ungemein folgenreich: (…) Theorien wirken wie Scheinwerfer, die einen interessierenden Gegenstand anstrahlen und dergestalt aus dem Dunkel hervorheben; und je nach Art und Anzahl der Scheinwerfer, nach Art und Farbe des benutzten Lichts sieht ein und derselbe Gegenstand dann höchst verschieden aus. Deswegen sollte man nicht den erstbesten Scheinwerfer verwenden, sondern grundsätzlich verschiedene Scheinwerfer ausprobieren und gegebenenfalls gemeinsam nutzen. (…) Manchmal können (…) wissenschaftliche Theorien im (…) Alltag bisher benutzte (…) Theorien auch verdrängen. Dabei streifen sie ihren wissenschaftlichen Charakter genau dann ab, wenn ihre Perspektivität und Selektivität, auch ihre Verbesserungsfähigkeit und wahrscheinliche Mangelhaftigkeit nicht mehr reflektiert wird.“ (PATZELT 1992, S. 88ff.)
Alltagstheorie- und wissenschaftliche Theorie
Mit diesen grundsätzlichen Überlegungen zur Theoriebildung sind Merkmale angesprochen, die auch für eine Theorie sozialpädagogischer Dienste Relevanz beanspruchen: Theorien bündeln Begriffe und Aussagen zu einer kohärenten Argumentation und beanspruchen, für einen bestimmten Wirklichkeitsausschnitt Geltung zu haben. Es ist zu unterscheiden zwischen wissenschaftlichen und Alltags-Theorien, der Unterschied liegt hier in der (Selbst)Reflexionsfähigkeit der Theorien. Während Alltagstheorien im wesentlichen unhinterfragt Geltung beanspruchen, sind wissenschaftliche Theorien geradezu aufgefordert, sich selbst und ihren Geltungsanspruch permanent in Frage zu stellen. Und: Um Dogmatiken oder ideologische Verbrämungen zu minimieren, sind Theoriekonzepte plural anzulegen, unterschiedliche Theoriestränge auf Synergieeffekte wie auch Differenzen zu befragen. Damit lassen sich Theorien auch als nicht unwiderlegbar charakterisieren. Im Gegensatz zu Alltagstheorien zielen wissenschaftliche Theorien auf eine Systematisierung eines definierten Gegenstandsbereiches der Sozialen Arbeit, liefern Erklärungen und Deutungen von Prozessen und Entwicklungen und können als Orientierung für das alltägliche Handeln dienen, gleichwohl sie keine Anweisungen für das konkrete Verhalten geben. Eine interdisziplinäre Perspektive bietet hierfür einen fruchtbaren Nährboden. Zurückgegriffen wird dabei oftmals auf philosophische, soziologische und psychologische Theorien sowie auf die Rechts- und Wirtschaftswissenschaften.
Ungeliebte Theorien
Beliebt oder gar erwünscht, sind Theorien jedoch noch lange nicht. Die Frage danach, was eine Theorie Sozialer Arbeit ausmacht bzw. welche Theorie die Soziale Arbeit braucht, beschäftigt Studierende, Lehrende, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Praktikerinnen und Praktiker aber dennoch. Auch wenn es auf den ersten Blick nicht immer so scheint, in der Praxis wie der Wissenschaft operieren die Akteure mit Annahmen über soziale Zusammenhänge, liefern Prognosen über zu Erwartendes und verwerfen andere Denk- und Handlungsoptionen, sie arbeiten theoretisch. Dennoch überwiegen die Vorbehalte gegenüber einer blutarmen, im Elfenbeinturm praxisferner Wissenschaft ausgebrüteten Theorie:
„,Theorie‘ ist für Viele – nicht zuletzt auch für Studierende – so etwas wie der Inbegriff lebensferner Wissenschaft, ist begriffliche Abstraktion in einer formalisierten, fremden Sprache, ist eine Art Geheimcode, mit dem sich WissenschaftlerInnen – offenbar trotz aller sachlichen Differenzen – untereinander verständigen, ist aber auch eines der letzten Machtmittel, mit dem ProfessorInnen ohne Not Studierende traktieren und sich zugleich Respekt zu verschaffen suchen, kurz: ist eine allseits beliebte Projektionsfläche für alles Mögliche“ (RAUSCHENBACH/ZÜCHNER 2002, S. 139).
So verwundert es auch nicht, wenn aus einer strikten Trennung von Theorie auf der einen und Praxis auf der anderen Seite „das scheinbar so treffende Bonmot seitens der Praktikerinnen und Praktiker folgt:, Theorie ist, wenn man alles weiß und nichts funktioniert – und Praxis ist, wenn alles funktioniert ,und keiner weiß warum‘.“ (HERWIG-LEMPP 2003, S. 2). Aber nicht nur Studierende und Fachkräfte in der Sozialarbeit stöhnen, wenn sie in Seminaren und Vorlesungen mit der Theoriefrage der Sozialen Arbeit konfrontiert werden. Auch ein Blick in Aufsätze und Bücher zur Theoriefrage der Sozialen Arbeit hat den Anschein, dass selbst in der Wissenschaft, von der ursprünglich die Theorien kommen, die Frage, was eine Theorie Sozialer Arbeit ausmacht oder auch nicht, nicht geklärt zu sein scheint. So schreibt Hans Thiersch in einem Aufsatz zu Theorien Sozialer Arbeit: „Theorieansätze der Sozialarbeit/Sozialpädagogik zu örtern, ist z.Zt. (…) ein schwieriges Geschäft“; das hat Gründe in Problemen des Gegenstandes ebenso wie im Stand der wissenschaftlichen Diskussion“ ( THIERSCH 19964, S. 618). Ebenso verweist Michael Winkler darauf, dass „die Lage kompliziert (ist); sie lässt sich nur in der widersprüchlichen Aussage fassen, dass es Theorie der Sozialpädagogik gibt und zugleich doch nicht gibt“ (WINKLER 1988, S. 15). Und auch noch Jahre später wird auf ein „ungeklärtes Theorieverständnis“ verwiesen (vgl. RAUSCHENBACH/ZÜCHNER 2002, S.145).
Theorien Sozialer Arbeit
Die Theoriefrage erscheint weiter unübersichtlich, unbefriedigend und riskant zu bleiben. Ebenso wenig wie für den gesamten Bereich der Sozialen Arbeit von „der Theorie der Sozialen Arbeit“ gesprochen werden kann, lässt sich „eine Theorie sozialpädagogischer Dienste“ formulieren. Zwar gab es in der Vergangenheit immer wieder Versuche einer Theoriebildung Sozialer Arbeit (vgl. z.B. NATORP 1974; NOHL 1927; MOLLENHAUER 1959; SCHERPNER 1962; THIERSCH/RAUSCHENBACH 1984; WINKLER 1988, DEWE/OTTO 1996; BÖHNISCH/NIEMEYER/SCHRÖER 1997; BOMMES/SCHERR 2000), letztendlich resultieren aus den grundlagentheoretischen Auseinandersetzungen Konstruktionsmerkmale einer Theorie Sozialer Arbeit. Angesichts der unterschiedlichen Traditionslinien und Referenzsysteme von Theorien und je nach „Scheinwerfereinstellung“ werden unterschiedliche „Kristallisationspunkte“ ( THIERSCH / FÜSSENHÄUSER 20053, S. 1882) beleuchtet.
Fragen nach der gesellschaftlichen Funktion Sozialer Arbeit,
Fragen zu Lebensführungsweisen von Adressatinnen und Adressaten Sozialer Arbeit,
Fragen zu Institutionalisierungsprozessen und Organisationsformen Sozialer Arbeit,
Fragen nach methodischen Konzepten und Arbeitsansätzen professionellen Handelns,
Fragen zur wissenschaftlichen Verortung der Sozialen Arbeit.